Israel:Die Saumdeuter

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Dürfen Kontrolleure am Eingang zur Knesset darüber entscheiden, welche Kleidung für Frauen angemessen ist? Nein, meinen auch Männer, und ziehen sich aus.

Von Dunja Ramadan

Sara Netanjahu kam in einem transparenten, eng anliegenden Spitzenkleid, natürlich sorgte das für Diskussionen, schließlich ging es hier um die Parlamentseröffnung. Drei Jahre ist das nun her, damals echauffierten sich vor allem orthodoxe Juden über den Dresscode der israelischen First Lady, sie hielten ihre Garderobe für unpassend, auch israelische Medien zogen über ihren Auftritt her. Jetzt wird erneut hitzig über Kleidung im Parlament diskutiert, wenn auch nicht über die von Sara Netanjahu.

In den vergangenen Tagen hatten Wachleute mehreren Frauen mit angeblich zu kurzen Röcken den Zutritt zur Knesset verweigert. Zum Beispiel Shaked Hasson, Mitarbeiterin der Politikerin Merav Michaeli. Mehr als eine Stunde war Hasson am Eingang des Parlaments festgehalten geworden, ihr blaues Kleid war offenbar nicht lang genug. Fünf Wächter seien um sie herumgestanden und hätten ihr Kleid beurteilt, berichtete Hasson später der israelischen Zeitung Haaretz. Eine neue Richtlinie schreibt eine Saumlänge von weniger als fünf Zentimetern über dem Knie vor. Hasson beschrieb die Situation als entwürdigend. Erst als die Abgeordnete Michaeli ihr zu Hilfe eilte, wurde ihr der Eintritt gewährt.

Auf Facebook teilte die Knesset-Abgeordnete kürzlich ein Bild von ihrer Mitarbeiterin und deren Outfit und schrieb dazu: "Ich bin nicht damit einverstanden, dass wir Sittenwächter am Eingang der Knesset stationieren." Es könne nicht sein, dass Wächter Frauenbeine begutachten und darüber philosophieren, ob die Länge des Kleides angemessen sei oder nicht. Männer müssten dieses Prozedere ja auch nicht mitmachen. Die Knesset reagierte auf die Kritik und versprach, künftig nur noch weibliche Kontrolleure für Frauen einzusetzen. Außerdem sollten lange Wartezeiten besser vermieden werden.

Männer sollen sich allerdings auch an die neuen Kleidervorschriften halten, erklärte dazu ein Knesset-Sprecher. Der Generaldirektor des israelischen Parlaments, Albert Saharovich, hatte nach Angaben der Zeitung Haaretz bereits vor einem Monat die Kleidervorschriften im Parlamentsgebäude überarbeitet. In einem neuen Dokument steht, dass das Tragen von Tanktops, Spaghettiträgern, Dreiviertelhosen, zerrissenen Hosen, T-Shirts mit politischen Slogans, kurzen Röcken oder Kleidern, Flip-Flops oder Pantoffeln im israelischen Parlament verboten sei. Diese Regeln gelten von einem Alter von 14 Jahren an, auch Besucher müssen sich daran halten. Es gehe um den Respekt vor dem Parlament, sagte ein Knesset-Sprecher.

Doch der Unmut blieb. Innerhalb weniger Tage formierte sich eine Protestbewegung: Überall erschienen Frauen plötzlich in kurzen Röcken zur Arbeit. Der 66 Jahre alte Knesset-Abgeordnete Manuel Trajtenberg von der Zionistischen Union solidarisierte sich mit seinen Kolleginnen auf eine recht medienwirksame Art: Er entledigte sich kurzerhand seines Hemdes und forderte die Frauen auf, am nächsten Tag in einer Burka bekleidet zur Arbeit zu kommen. Dafür erntete er viel Beifall. Im Netz kursiert ein Video von seinem Auftritt im weißen Unterhemd. Und auch der israelische Politiker Ilan Gilon der linksgerichteten Partei Meretz schaltete sich ein. Man säße hier doch nicht im iranischen Parlament, sagte er.

Die Knesset wehrt sich weiter gegen die Vorwürfe. Knesset-Sprecher Yotam Yakir sagte der Times of Israel, es handele sich doch lediglich um bereits bestehende Bestimmungen, die bislang nur nicht umgesetzt worden wären. Er findet: "Die Kleiderordnung ist sehr moderat, sie nimmt Rücksicht auf die israelische Kultur und auch auf die heißen Sommer." Bislang habe es auch nur einen einzigen Fall gegeben, in dem eine Besucherin vom Kontrollpersonal auf ihre Kleidung angesprochen worden sei, berichten israelische Medien. Die Frau habe später ganz ohne großes Aufsehen ihre Kleidung gewechselt.

Einige der insgesamt 33 weiblichen Abgeordneten nutzen die aktuelle Debatte nun, um auf sexistische Vorfälle im israelischen Parlament aufmerksam zu machen. So erklärte unter anderem die Abgeordnete Meirav Ben Ari von der zentristischen Kulanu-Partei, als alleinstehende Frau in der Knesset werde man immer wieder "in unangenehme Situationen" gedrängt.

© SZ vom 15.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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