Interview zum Rekord-Jackpot:Die große Illusion

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Der Soziologe und Lottoexperte Jens Beckert erklärt, warum die Deutschen vom Rekord-Jackpot so fasziniert sind und Lotto die Armen noch ärmer macht.

Christian Mayer

Die Ziehung der Lottozahlen am Mittwochabend ist für viele eine Offenbarung. Auf dem Spiel steht der dritthöchste Jackpot der Geschichte - 28 Millionen Euro. Diese Summe löste in ganz Deutschland ein Tippfieber aus, vor vielen Lotto-Annahmestellen bildeten sich Schlangen, der Spieleinsatz lag um 20 Prozent über dem der Vorwoche, als bereits 43,8 Millionen Euro eingesetzt wurden.

28 Millionen Euro: Der dritthöchste Jackpot in der Geschichte. (Foto: Foto:)

Ob es gelungen ist, den Jackpot zu knacken, wird am Donnerstag bekanntgegeben. Der Soziologe Jens Beckert, Direktor am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln, beschäftigt sich seit Jahren mit der Frage, wer vom Lottospiel wirklich profitiert.

SZ: Herr Beckert, wann waren Sie das letzte Mal in einer Lotto-Annahmestelle?

Beckert: Als ich zum letzten Mal im Supermarkt einkaufen war - dort gibt es eine Lotterie-Annahmestelle. Ich habe ein paar Mal gespielt, aber immer verloren.

SZ: Welche Menschen spielen denn am liebsten - und warum?

Beckert: Lotto ist ein gesellschaftliches Massenphänomen. 40 Prozent der Deutschen spielen mindestens einmal im Jahr, 23 Prozent sogar regelmäßig. Deshalb sind alle Schichten vertreten, aber wir haben auch festgestellt, dass Menschen mit niedrigem Bildungsabschluss und geringem Einkommen mehr Geld dafür ausgeben - prozentual verwenden sie auch einen größeren Anteil ihres Haushaltseinkommens dafür. Wer zum unteren Fünftel der Gesellschaft gehört, gibt mehr als drei Prozent für Lotto aus. Das ist eine Menge, wenn man wenig zum Leben hat. Bei den oberen Schichten sind es nur ein Prozent des Einkommens.

SZ: Wer viel Geld hat, kommt also eher zu dem Schluss, dass man mit Lottospielen statistisch gesehen nur ärmer wird.

Beckert: Ja, das ist ein Zusammenhang. Auf der anderen Seite lässt sich beobachten, dass Menschen mit einem niedrigen Bildungshintergrund zu Fehleinschätzungen neigen: Sie halten die Wahrscheinlichkeit, dass sie beim Lotto gewinnen können, für deutlich höher, als sie in Wirklichkeit ist - und verstehen nicht, dass sie eigentlich nur verlieren können.

SZ: Was motiviert den Lottospieler, immer wieder aufs Neue sein Glück mit Kreuzchen zu versuchen?

Beckert: Für alle Spieler gilt, dass sie irgendwie die Hoffnung haben, sie seien Auserwählte, dazu bestimmt, doch einmal zu gewinnen - es muss ja nicht immer der Hauptgewinn sein. Außerdem lässt sich belegen, dass Lottospielen gewisse Frustrationserfahrungen kanalisiert. Manche Menschen empfinden eine innere Spannung, weil sie selbst nicht so leben können, wie sie eigentlich möchten. Oft sehen sie im Spiel eine Möglichkeit, die materielle Sicherheit zu erreichen, die sie anstreben. Mit dem Kauf des Loses kann man zumindest in der Phantasie den Aufstieg erleben: Nächste Woche wird bei mir alles anders sein.

SZ: Ihre provozierende These lautet: Lotto ist ungerecht, weil sie eine Form der regressiven Steuer darstellt.

Beckert: Fakt ist, dass die soziale Ungleichheit durch die Verteilung der Lotto-Einnahmen verstärkt wird. In Bayern wird das Geld direkt in den Staatshaushalt eingespeist, aber in anderen Bundesländern gibt es besondere Verwendungszwecke. Beispielsweise wird mit Lottogeldern der Breitensport gefördert, von dem ja annehmen könnte, dass davon alle Bevölkerungsschichten profitieren. Tatsächlich nutzen vorwiegend Menschen aus der Mittel- und Oberschicht staatlich geförderte Sportangebote.

SZ: Was folgt daraus?

Beckert: Die Bundesländer könnten bei der Verteilung der Einnahmen aus Glücksspielen - im Jahr mehr als fünf Milliarden Euro - gezielt nach Projekten suchen, bei denen klar ist: Hier profitieren die unteren Einkommensschichten, die ja auch das meiste Geld ins System einzahlen. Man könnte etwa nichtgymnasiale Bildung fördern und damit etwas dafür tun, dass die gesellschaftlichen Chancen gerechter verteilt werden.

SZ: Ein Topf mit 28 Millionen Euro wirkt für viele wie ein Magnet, sie erliegen der Faszination der großen Zahl.

Beckert: Wenn der Staat wirklich daran interessiert wäre, das Glücksspiel zu begrenzen, müsste er eine Höchstgrenze für den Jackpot einführen, die deutlich niedriger liegt als 10 Millionen. In der Praxis könnte man nach vier oder fünf Ziehungen der Lottozahlen reinen Tisch machen, indem dann auch die zweite Klasse der Gewinner beteiligt würde - also Kombinationen mit sechs Richtigen.

SZ: Momentan erleben wir die Folgen eines irrationalen Finanzsystems. Investoren haben alles auf eine Karte gesetzt - und verloren. Ist Lottospielen der Casino-Kapitalismus für den kleinen Mann?

Beckert: Finanzmärkte sollten an sich Orte des rationalen Handelns sein. Allerdings haben wir zuletzt erlebt, wie Investoren - nicht nur die Großspekulanten, auch Kleinanleger - zu Spielern wurden. Man setzte auf Rohstoffe, auf dubiose Finanzprodukte, nur um einen schnellen Schnitt zu machen. Das hatte den Charakter eines Glücksspiels, weil es keine rationale Risikoabschätzung mehr gab. Man sollte es mit der Parallele nicht überstrapazieren: Aber die Hoffnung auf den schnellstmöglichen Gewinn verbindet den Lottospieler und den Spekulanten.

© SZ vom 29.01.2009/woja - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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