Initiative gegen den Tabakkonsum:Viel Qualm um nichts

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Die Türkei will das Rauchen praktisch ganz verbieten - aber so wie es aussieht, wird das neue Gesetz die Bürger nicht völlig ungefiltert heimsuchen.

Kai Strittmatter

Einen Beruf hat Orhan Kural auch: Professor für Bergbau. Die Türken aber kennen ihn aus anderen Gründen. Kural wacht darüber, wer aus seinem Heimatland Eingang ins Guinness-Buch der Rekorde findet. Der Professor selbst zum Beispiel.

Ohne falsche Bescheidenheit zählt er seine Guinness-würdigen Leistungen auf: Erstens haben für sein Fachbuch "Kohle" nicht weniger als 22 verschiedene Staatschefs ein Grußwort beigetragen. Zweitens sei er türkischer Rekordhalter im Weltreisen: bislang 180 Länder.

Kein Rekord aber macht ihn so stolz wie dieser: 2700 Konferenzen und Aktionen gegen das Rauchen habe er bislang organisiert, erzählt der 55-Jährige. Orhan Kural hat nämlich eine Mission.

Seit drei Jahrzehnten kämpft Kural gegen das Rauchen. In der Türkei. Das bedeutete 30 Jahre Spott, 30 Jahre fruchtloses Stochern im Qualm, 30 Jahre, in denen sich der kleine, energische Professor einen Ruf als Quertreiber und Nervensäge erworben hat. Einmal fuhr er im Überlandbus nach Antalya. Alle rauchten. Orhan Kural stand auf.

"Ich habe meine Mitfahrer gebeten, das Rauchen einzustellen." Er bat dann so lange, bis sie ihn aus dem Bus warfen. Kural rief die Polizei. Die verfolgte den Bus. "Sie haben es gebüßt", sagt Kural zufrieden. Rauchen war da noch nicht verboten, Passagiere aus dem Bus werfen schon.

"Früher war es schwer", seufzt Kural, "jetzt endlich geschieht was"

Vor einigen Jahren dann verprügelte ihn ein militanter Raucher in Istanbul: "Ich musste genäht werden. Sieben Stiche!" Eine Kriegsverletzung, die sich gelohnt hat. Nach all den Schlachten ist ein Silberstreif am Horizont zu sehen. "Früher war es schwer", seufzt Kural. "Jetzt endlich geschieht etwas."

Das finden nicht alle toll. In der Hauptstadt schon gar nicht. Eigentlich sind die Parlamentarier der Regierungspartei AKP ein braves Volk. Meist folgen sie gehorsam ihrem Herrn, dem Parteichef und Premierminister Tayyip Erdogan.

Diesmal aber ist ein Grummeln und ein Bocken in den Kommissionen, zieht ein Murren und ein Schnaufen durch die Korridore von Ankara. "Wollen die uns denn den Garaus machen?", jammert Mahmut Durdu, der Abgeordnete aus Gümüshane. Irgendwie schon.

Dem Premier entgeht nichts. Wehe dem Leibwächter, erzählt man sich in der Hauptstadt, an dessen Anzug die Nase Erdogans noch kalten Rauch erschnüffelt. Normalerweise benutzt der Regierungschef auf dem Weg zu seinem Amtssitz die Eingänge A oder B; vor kurzem aber schritt er einmal durch Tor C, das von Besuchern benutzt wird.

Damit hatte keiner gerechnet. Und wie Erdogan so durch die Gänge schritt, da hielt er mit einem Mal inne. Er hatte etwas gerochen. Wollte es genau wissen. Und tatsächlich: Aus den Büros, so schildert die liberale Zeitung Radikal die Szene, drang Zigarettenqualm. "Was soll das?", rüffelte der Premier seine Begleiter: "Wir machen Gesetze dagegen-und hier wird überall geraucht?" Der Premier sei "traurig" gewesen, schreibt Radikal. Dann befahl er: Abstellen. Und für die Unbelehrbaren-ab in die Raucherkammer. Dahin sollen sie nun im ganzen Land.

Auch die Türkei will ihren Rauchern an den Kragen. Und weil Erdogan ein "radikaler Mensch" ist, wie seine Bewunderin Ikbal Cavdaroglu von der AKP-Frauengruppe in Kayseri mit leuchtenden Augen -und einer Schachtel Zigaretten vor sich- feststellt, wird es ein Gesetz so streng und so drakonisch, dass dem weniger begeisterten AKP-Abgeordneten Hüsrev Kutlu nur die verblüffte Feststellung bleibt: "Rauchen dürfen in Zukunft nur noch Singles, die alleine zu Hause sind. Überall sonst wird es verboten."

Nicht ganz, ergänzt sein Kollege Nuri Saygun von der Opposition: "In die Berge" könne man sich noch flüchten. Ausgerechnet die Türkei, einst eines der größten Tabakanbauländer der Erde! Wo zum Himmel steigende Wölkchen verglommenen Tabaks zur Landschaft gehören wie die Minarette. Wo man sich die Augen reiben würde, herrschte kein dichter Nebel in Kaffeehäusern und Restaurants.

Wo die Zigarette den Tee begleitet wie ordentlich Zucker und Tavla, das Backgammon-Spiel. Den türkischen Männern ist über die Jahrhunderte das Rauchen so sehr zur zweiten Natur geworden, dass der Ausdruck "Rauchen wie ein Türke" nicht nur im Englischen sprichwörtlich geworden ist.

Charles Dickens stellte sich die Skulptur eines Wasserpfeife rauchenden Türken ins Studierzimmer. Und als Johann Wolfgang von Goethe gegen das Laster wetterte, weil es dumm mache und "unfähig zum Denken und Dichten", da knöpfte er sich all jene "Schmauchlümmel" vor, die "ein Dritteil des Lebens verschlafen, ein Dritteil mit Essen und Trinken...hindudeln" und schließlich das letzte Drittel verplempern, indem sie behaglich Dampfwolken in die Luft blasen, Menschen also, die uns nicht per se als unsympathisch erscheinen - und schimpfte sie alle miteinander "faule Türken".

20 Prozent der türkischen Frauen und 60 Prozent der Männer rauchen

Fast meint man, die Schreiber der türkischen Gesetzesvorlage seien von ähnlichen Ängsten getrieben wie Goethe, der vor einer "Verkrüppelung" des Vaterlands warnte. In der Türkei soll Rauchen künftig verboten sein: in allen geschlossenen Räumen, in denen sich mehr als eine Person befindet. In Taxis und öffentlichen Verkehrsmitteln. In den Gärten und Höfen von Moscheen und Kirchen. In Film und Fernsehen.

Das Gesundheitsministerium hat keine schlechten Argumente. 20 Prozent der türkischen Frauen und 60 Prozent der Männer rauchen, fast doppelt so viele wie in Deutschland. Jedes Jahr sterben 110000 Türken an den Folgen. "In den USA nimmt die Zahl der Krebsfälle, die auf Tabakgenuss zurückzuführen sind, jedes Jahr um zwei Prozent ab", teilte das Anti-Krebs-Referat des Ministeriums mit. "In der Türkei sind es jährlich sechs Prozent mehr - das ist praktisch eine Epidemie".

Die Parlamentarier, die nächste Woche über den Gesetzesentwurf befinden müssen, sind nicht alle überzeugt. Im einen Lager stehen Leute wie Nuri Saygun von der oppositionellen CHP, der der SZ gegenüber schwört, am 28. März - dem Tag, an dem die Vorlage besprochen wird - werde er das Rauchen aufgeben. Im anderen Lager kämpft AKP-Mann Mahmut Durdu ein letztes Gefecht.

Für ihn ist der Entzug das eigentliche Drama, vergleichbar der "Trennung zweier Liebenden". Sein Parteigenosse Hüsrev Kutlu fand: "Es ist schlicht unmöglich, mit dem Rauchen aufzuhören, wenn man Politiker ist." Kutlu lästerte, das geplante Gesetz hätte auch Sultan Murat IV alle Ehre gemacht. Das ist allerdings ein wenig ungerecht: Besagter Sultan war so empört über das aus Amerika eingeführte Laster, dass er 1633 den Genuss von Tabak bei Todesstrafe verbieten ließ.

Raucher, die ihm unter die Augen kamen, darunter auch Offiziere seiner Janitscharen, ließ er schnurstracks aufhängen. Der Sultan erklärte auch den Weinkonsum zum Kapitalverbrechen, bevor er dann, gerade mal 27-jährig, verstarb - am Suff, wie böse Zungen munkeln. Kurze Zeit später wurden die Verbote wieder aufgehoben.

Ein Unglück für Aktivisten wie Orhan Kural. Was wäre der Türkei nicht alles erspart geblieben: niedergebrannte Wälder und Städte, Luftverschmutzung und Krankheiten. "Von Anfang an wurden die Türken abhängig gemacht vom Tabak", glaubt der Professor. Eine Verschwörung? "Selbstverständlich!", ruft Kural.

Bei Zuwiderhandlung: 662,05 Lira Strafe

Ob das neue Gesetz Erfolg hat? Ferhat Görgün, Besitzer des Cafés "Kasgar" am Bosporus, hat bis heute noch nicht einmal davon gehört. "Wie bitte?", entfährt es ihm zuerst: "Das glaube ich nicht." Und etwas später: "Naja, das wird doch bestimmt alles nicht so genau genommen."

Es gibt Orte, an denen das Rauchen schon seit einiger Zeit untersagt ist: in Krankenhäusern zum Beispiel oder Flughäfen, wo Schilder warnen, bei Zuwiderhandlung seien -wie in Kayseri- genau "662,05 Lira Strafe" fällig. Aber musste je wirklich einer zahlen? Ja, sagt der Parlamentarier Resul Tosun. Er hat nachgezählt: Seit dem letzten Rauchverbot wurden in der Türkei genau 49 Bürger bestraft. In zehn Jahren.

© SZ vom 23.03.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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