Indien:Ein Herz für Stiere

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"Jallikattu" heißt die beliebte indische Variante des Stierkampfes. Nun aber ist die tamilische Dorfjugend schockiert, dass die Bullen nicht mehr losgelassen werden dürfen.

Von Arne Perras

Wo immer Stierkämpfer in die Arena treten, sind hitzige Debatten über Sinn und Unsinn kaum zu vermeiden. Man kennt das schon aus Spanien. Dieser Tage aber liegen die umstrittenen Schauplätze auf einem anderen Kontinent. Auch im Süden Indiens sind Kämpfe mit Bullen populär. Umso größer war der Frust der Anhänger, als das Verfassungsgericht sein Verbot der Kämpfe wegen Tierquälerei bekräftigte. Damit stellt sich die Justiz nicht nur gegen einen viel geliebten Brauch, sondern auch gegen die Regierung, die versucht hatte, den Stierkampf wieder aufleben zu lassen. "Jallikattu" heißt die indische Variante des Spektakels, das den Adrenalinspiegel der tamilischen Dorfjugend in die Höhe treibt. Viele hatten sich auf die bizarren Kämpfe während des Erntefestes schon gefreut. Nun sind sie schockiert, dass die Bullen nicht mehr losgelassen werden.

Felszeichnungen legen nahe, dass die Anfänge von Jallikattu mehr als 3500 Jahre zurückliegen. Vermutlich hatten die Iberer vom Stierkampf noch gar keine Ahnung, als die Tamilen schon anfingen, sich mit ihren Bullen zu messen. Anfangs war das nur ein Wettlauf, kein blutiges Spektakel. Doch der Brauch wandelte sich. Irgendwann reichte es nicht mehr, schneller als der Stier zu sein. Man musste ihn zu fassen bekommen, vielleicht nicht bei den Hörnern, aber doch an seinem Höcker, den der indische Stier trägt. Es galt, das Tier wenigstens für einen Moment zu bezwingen. So kam "Jallikattu" in die Welt.

Streit gibt es schon lange. Anhänger pochen auf die Tradition, Gegner prangern die Gefahr für Mensch und Tier an. Den Stier will zwar niemand töten, wie es bei der spanischen Corrida der Fall ist. Dennoch leiden die Tiere viel. Um die Bullen aggressiv zu machen, bekommen sie schon mal Alkohol eingeflößt oder Chili in die Augen gerieben. Sogar mit Elektroschocks an den Hoden hat man Stiere gequält. Die Richter entschieden, dass so viel Grausamkeit an Tieren zur Unterhaltung nicht sein darf.

Die Kämpfe konzentrieren sich auf Gemeinden im Bundesstaat Tamil Nadu, es gibt mehrere Varianten. Mal muss eine Gruppe Männer den Bullen packen, mal versuchen einzelne, sich festzuklammern. Früher haben sie das Preisgeld in Form von Münzen (Jalli) in kleinen Päckchen (Kattu) zwischen die Hörner gepackt. Das gab dem Kampf seinen Namen.

Einst war es auch üblich, dass der tapferste Kerl im Dorf die Tochter des Bullenbesitzers zur Frau bekam. So testeten Bauern, welcher Bursche kräftig genug war, den Hof weiterzuführen. Später haben dann Könige den Brauch in ein lärmendes Massenspektakel verwandelt, bei dem sich die Jugend sportlich beweisen sollte.

Beim Knuddeln der Bullen ließen schon viele Männer ihr Leben. Auch Zuschauer starben, als Tiere in Panik die Absperrungen durchbrachen. Seit 2010 gab es mindestens 17 Tote und mehr als tausend Verletzte, es ging schlimmer zu als bei der Stierhatz von Pamplona. Gegner blickten stets mit Abscheu auf die entfesselten Massen. Der Jurist Cohin Gonsalves will nicht gelten lassen, dass es um Mut geht. Er hat schon ganz andere Szenen gesehen: "1000 Männer gegen einen Bullen. Das ist Feigheit und nicht Männlichkeit."

Die Regierung in Delhi hat versucht, zumindest eine entschärfte Form des Jallikattu zuzulassen. Auch alle anderen politischen Parteien tönten unisono: Jallikattu muss sein. So viel Eintracht ist selten, aber kein Zufall. Denn im Frühjahr wird in der Region gewählt. Da traute sich kein Politiker, den Horden junger Machos ihre Stiere wegzunehmen. Das aber haben jetzt die Richter erledigt. Im Streit um die Bullen stehen sie ihren Mann.

© SZ vom 13.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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