Indianische Geschenkriten:Machtkämpfe, hübsch verpackt

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Was wir vom Potlatsch-Ritual der Indianer lernen können - und warum der Kula-Handel im Südpazifik besser ist, als er klingt.

Martin Zips

Statt "schenken" sollte man heute besser "potlatschen" sagen. Das wäre wissenschaftlich nicht ganz einwandfrei. Aber ehrlicher wär's schon. Potlatsch - das kommt aus der Sprache der Chinook-Indianer und heißt "Gabe". Beim Potlatsch trafen sich einst Indianer-Stämme, Klans oder Familien zum rituellen Austausch von Geschenken.

Diejenigen, die beim Potlatsch reichlich geben konnten, waren fein raus. Sie wurden von Mitmenschen und Göttern gleichermaßen geschätzt. Daran glaubten sie zumindest und fürchteten selbst die Pleite nicht. Mit uneigennütziger Liebe hatte diese Art des Schenkens allerdings nichts zu tun. Es ging um Macht, um Ehre und um Anerkennung. Es ging um den Schenker, nicht um den Beschenkten.

Nicht "potlatschen", sondern "trobriandern"

Eine besonders drastische Variante des Potlatschs funktionierte so: Man verschenkte seinen Speer, sein Kanu oder seine Hühner nicht etwa jemandem, der sie brauchen konnte. Man verbrannte alles einfach. So zeigte der Schenker: "Guckt mal! Ich kann es mir leisten." Das kam an. Allerdings setzte dieses Verhalten - vergleichbar mit dem heutigen "Die nächste Runde geht auf mich" - eine unheilvolle Dynamik in Gang.

Macht es der eine, fühlt sich der andere ebenfalls dazu verpflichtet. Und so weiter. Wegen ruinöser Schenk- und Verbrennungsorgien verbot die kanadische Regierung 1884 den Potlatsch. Erst in den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts wurde das Verbot wieder aufgehoben.

Wer sich dieser Tage zurücklehnt und den weihnachtlichen Wichtel-, Feier- und Verschenkwahnsinn in Ruhe betrachtet, der kann nur zu folgendem Ergebnis kommen: Der Potlatsch ist wieder da. Und er ist überall. Das kann man begrüßen, schließlich diente er zumindest in seiner ursprünglichen Form unter anderem dazu, der meist männlichen Prestigesucht ein unkriegerisches Ventil zu geben.

Andererseits kann so ein Potlatsch auch Minderwertigkeitskomplexe und Schuldgefühle verursachen. Gerade bei denen, die mit den großzügigen Gaben anderer nicht mithalten können, weil es ihnen an Geld oder an Kreativität fehlt. Langfristig kann das sogar aggressiv machen.

Sollten die Menschen statt zu "potlatschen" also nicht besser "trobriandern"? Auf den Trobriand-Inseln, einer Inselgruppe im Südpazifik, ist das ganze Leben ein Geben und Nehmen. So beschrieb es zumindest der polnische Sozialanthropologe Bronislaw Malinowski im Jahr 1922. Vor allem der "Kula-Handel" dort wäre hierzulande nachahmenswert.

Soziale Komponente

Es handelt sich um einen Tausch von Armreifen und Halsketten, die zu besonderen Anlässen getragen werden. Während die Halsketten im Uhrzeigersinn von Insel zu Insel weitergegeben werden, zirkulieren die Armreifen gegen den Uhrzeigersinn. Bei der Weitergabe feiern die Insulaner ein Fest und erzählen sich Geschichten, wer welchen Schmuck zuvor wo und wann getragen hat.

Das ist kommunikativ und interessant zugleich. Natürlich geht es auch beim Kula-Handel um Prestige. Schließlich will jeder - zumindest mal kurz - die wertvollsten Stücke auf seiner Haut haben. Heute könnte man gar sagen: Kula-Handel ist eine Art Vorläufer des Networking. Nur, dass man nicht im Internet unter www.xing.com oder so nachschaut, wer von wem wie viele Wichtigkeits-Punkte erhalten hat, sondern nur auf seine Kette starrt.

Doch zum Nehmen gehört bei Kula immer auch Geben: "Hauptzeichen der Macht ist Reichtum, und Reichtum zeigt sich durch Großzügigkeit", beobachtete Malinowski. Kula-Handel hat also eine sehr soziale Komponente. Und mit ein bisschen Glück kommt hier jeder kurzzeitig in den Genuss einer schönen Kette.

Der Kula-Handel ist in seiner traditionellen Form Vergangenheit. Es waren die Europäer, die mit ihren Reichtümern und aggressiven Händlern den Sinn solcher Rituale aushöhlten. Mehr Waren brachten auch auf die Trobriand-Inseln mehr Wohlstand, und damit mehr Neid und mehr Egoismus. Zwar gibt es immer noch den Tausch unter Trobriandern - doch dient er heute dazu, die eigene Karriere voranzutreiben. Anders gesagt: Selbst das Trobriandern verpotlatscht immer mehr.

© SZ vom 23./24./25./26.12.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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