Hitze-Abhilfe auf dem Abstellgleis:Bürokratie, dein Name ist Wien

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Bei 40 Grad Celsius stehen neun vollklimatisierte U-Bahnen still - es fehlt die Genehmigung.

Michael Frank

Hätten die Bürger von Schilda zu ihrer Zeit schon öffentlichen Personenverkehr zu betreiben gehabt, sie hätten ganz sicher für die Stadt Wien und die österreichische Bundesregierung eine prächtige Vorlage abgegeben.

Wien ächzt derzeit wie ganz Mitteleuropa unter einer Hitzewelle von nie dagewesenen Temperaturen. In den Röhren der U-Bahn, insbesondere der Linie 1, der ältesten der österreichischen Hauptstadt, glüht es. In den Remisen der Wiener Linien, wie sich die Verkehrsbetriebe nennen, warten neun nagelneue und - welch ein Fortschritt in Zeiten der Höllenglut - vollklimatisierte Garnituren zu je sechs Waggons auf ihren Einsatz.

Die Signale werden aber nicht auf Grün gestellt, weil Schildas Amtsschimmel gemütlich zwischen den Gleisen grast.

Mancherorts bringt es der stickige Muff in Wien unter Tage auf bis zu 40 Grad Celsius. Was das für ein Segen wäre, wenn die Klima-U-Bahnen im Einsatz wären, haben so manche Fahrgäste schon während sage und schreibe fünf Jahren in einem Probezug erfahren können.

Zorn des öffentlich fahrenden Volkes

Dieses Gespann sollte vielfältige Erfahrungen liefern, ist doch nicht nur die Klimaanlage neu: Die ganze Konzeption der Züge ist ziemlich fortschrittlich, gemessen an den bis heute relativ klaglos und ziemlich leise durch den Untergrund schnurrenden Garnituren, die der Volksmund mit gewissem Stolz die "Silberpfeile" genannt hat, ihres glänzenden Stahlblechkleides wegen.

Der Zorn des öffentlich fahrenden Volkes ist beträchtlich, dass bürokratischer Starrsinn es nicht schafft, binnen fünf Jahren eine saubere Genehmigung auf den Tisch zu bringen. Die Stadt selbst, die trotz oder wegen eines gewaltigen Beamtenapparates üblicherweise erstaunlich rasch zu agieren weiß, wollte mit Beginn der Sommerglut die Züge in den Tunnel schicken. Das Bundesverkehrsministerium verbat sich das jedoch als aufsichtführende Behörde.

Angeblich gab es keine ausreichenden Brandschutzvorkehrungen, keine Vibrationsprüfungen in den Führerhäusern, keine Evakuierungspläne für Unfallsituationen im Tunnel. Schwerwiegende Mängel also.

Tatsächlich, so hat die Stadt inzwischen nachgewiesen, sind fast all diese Dinge längst vollzogen worden. Manches davon aber ist entweder nicht im Ministerium angekommen oder aus Formulierungsgründen nicht akzeptiert worden, weil also bestimmte Angaben dem Ministeriumsdeutsch nicht genehm waren.

Übersetzer gesucht

Nun sollen gleichsam ministerienverständliche Übersetzungen der Prüfberichte nachgeliefert werden, so beschloss es Ende der vergangen Woche eine Art Krisengipfel zwischen Stadt und Bund. Irgendwie passt es ins Bild, dass das begriffsstutzige Ministerium von Vizekanzler Hubert Gorbach von Haiders BZÖ geführt wird, den Österreichs Medien als den absoluten und unumstrittenen Minusmann des Kabinetts von Bundeskanzler Wolfgang Schüssel führen.

Wer nun glaubt, die neuen Züge würden alsbald auf Strecke gehen, irrt. Bis zum 2. September hofft man, die Friktionen zwischen der Bundes- und der städtischen Bürokratie bewältigt zu haben. Dann wird feierlich eine Verlängerungsstrecke bis Leopoldau auf der transdanubischen Seite der Linie 1 in Betrieb genommen. Allerdings wird bis dahin auch wieder eine gewisse Normalität bei den Temperaturen eingekehrt sein.

Wiens Freiheitliche, die als extremistische Rechte nicht selten eine Gespür für den Kern mancher Probleme haben, höhnten am Wochenende: Der Skandal sei doch eigentlich, dass die alten Züge überhaupt noch fahren dürften.

Denn lege man die strittigen Punkte, die die neuen Bahnen bis heute am Prellbock festhalten, auf die alten U-Bahnen um, dann dürfte davon keine einzige mehr unterwegs sein. Erst wenn sich alles abgekühlt hat und die Klimazüge vorerst gar nicht mehr gebraucht werden, wird in Schilda die erfrischende U-Bahn-Epoche anbrechen.

© SZ vom 25.7.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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