Hinrichtung einer jungen Türkin:"Ehrenmord"-Prozess soll erneut vor Gericht

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Es war eine Hinrichtung auf offener Straße: Die 23-jährige Hatun Sürücü ist von ihrem eigenen Bruder erschossen worden. Er sitzt jetzt im Gefängnis, doch diejenigen, die ihm womöglich bei der Tat geholfen haben, sind frei. Das solle sich ändern.

Constanze von Bullion

Es war eine Hinrichtung auf offener Straße, und sie traf eine Frau, die wusste, dass sie gefährlich lebte. Hatun Sürücü war 23 Jahre alt, sie hatte einen deutschen Pass, einen fünfjährigen Sohn und ihren Ehemann verlassen.

Auf offener Straße vom eigenen Bruder hingerichtet: Hatun Sürücü. (Foto: Foto: dpa)

Die Berlinerin war aus einer Zwangsehe in der Türkei geflohen, sie legte ihr Kopftuch ab, machte eine Lehre als Elektrikerin und suchte sich ihre Partner nun selbst. Hatun Sürücü war keine Heldin, sondern eine alleinerziehende Mutter, die ihr Leben in die eigenen Hände nahm, und nach Meinung ihrer kurdischen Familie gehörte es da wohl nicht hin.

Am Abend des 7. Januar 2005 schoss ihr jüngster Bruder Ayhan ihr vor ihrem Haus in Berlin-Tempelhof dreimal ins Gesicht. Er sitzt jetzt im Gefängnis, doch diejenigen, die ihm womöglich bei der Tat geholfen haben, sind frei. Das solle sich ändern, fordert die Bundesanwaltschaft.

Ein Fall, der die Republik beschäftigte

Am Dienstag verhandelt der Bundesgerichtshofs in Leipzig, ob der Berliner "Ehrenmord"-Prozess neu aufgerollt wird. Der Fall hatte bundesweit für Aufregung gesorgt. Eine kurdische Großfamilie, so glaubten viele, soll ihre ungehorsame Tochter zum Tode verurteilt haben.

Vor dem Landgericht Berlin wurden drei Brüder angeklagt: der Jüngste, Ayhan, war 18 und gab zu, dass er geschossen hatte. Sein 24 Jahre alter Bruder Alpaslan wurde beschuldigt, ihn angestachelt und während des Mordes Schmiere gestanden zu haben.

Mutlu, 26 und ein frommer Muslim, hatte angeblich die Waffe besorgt und die Bluttat gutgeheißen. Die Waffe wurde nie gefunden, die Familie schwieg und nach einem mühseligen Prozess wurde nur Ayhan, der Jüngste, zu einer Jugendstrafe verurteilt. Die älteren Brüder ließ das Gerichts aus Mangel an Beweisen laufen. Gegen diese Freisprüche legte die Staatsanwaltschaft Einspruch beim Bundesgerichtshof ein.

Aussage gegen Aussage

Wenn Bundesanwalt Hartmut Schneider nun für eine Revision plädiert, dann nicht wegen Verfahrensfehlern, sondern aufgrund einer Sachrüge. "Im Zentrum steht die Frage der Beweiswürdigung", sagt er. Angefochten wird vor allem die Bewertung der Aussage von Melek A., der Kronzeugin. Sie war damals 18 Jahre alt und lebt bis heute an einem geheimen Ort, denn sie hat die Sürücü-Brüder schwer belastet.

Melek A. war mit dem jüngsten Bruder Ayhan zusammen, als er ihr erzählte, dass er seine Schwester töten wollte. Er verriet ihr, so sagte sie vor Gericht, dass die Brüder die Tat unterstützten. Nach dem Mord sei sie mit ihnen U-Bahn gefahren, da habe Alapaslan den Schützen Ayhan gefragt, wohin er gezielt habe.

Als er es nicht wusste, habe Alpaslan ihn angefahren: "Ich hab' dir doch gesagt, schieß' ihr in den Kopf." Ein Satz wie ein Mordbefehl ist das, und weil die Kronzeugin ihn erst spät erwähnte, hat man ihn angezweifelt. Ihr Wissen stütze sich nur auf "Hörensagen", argumentierte die Verteidigung. Im Urteil hieß es, Melek A. sei zwar glaubwürdig, Details ihrer Aussage aber seien zu wackelig, um lebenslange Haftstrafen zu rechtfertigen.

Hier wird der Bundesanwalt wohl einhaken, denn eine Aussage kann nicht glaubwürdig und gleichzeitig erfunden sein. Auch der Begriff "vom Hörensagen" wird angefochten, denn die Kronzeugin beruft sich nicht auf Gerüchte, sondern auf eine eindeutige Quelle: auf Ayhan, den Mörder von Hatun Sürücü.

Er hat vor Gericht zugegeben, seiner Freundin von der Beteiligung der Brüder erzählt zu haben. Das aber sei gelogen gewesen, er habe sie nur beruhigen und ihr des Rückhalts seiner Familie versichern wollen. Tatsächlich habe er allein gehandelt. Melek A. sagt, Ayhan Sürücü lügt. Aussage steht da gegen Aussage. Ob die Richter am Dienstag bereits entscheiden, ist unklar.

© SZ vom 28.8.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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