Hilfe für Hurrikan-Opfer:Tage der Schande

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Katrinas Schockwellen haben die USA zutiefst getroffen, vergleichbar wohl nur mit der kollektiven Erschütterung nach dem 11. September - doch die Reaktionen sind diesmal völlig anders.

Reymer Klüver

Kinder, die in Mülleimern nach Essen suchen. Wasserleichen, um die sich niemand schert. Babys und Greise, die vor den Kameras der Nation wegsterben. Plündernde, vergewaltigende Marodeure, denen sich keiner in den Weg stellt. Anarchie und Rechtlosigkeit, Verzweiflung und Überlebensnot allerorten. Szenen einer Höllenfahrt.

Späte Hilfe: Militärs verteilen Wasserflaschen an die Opfer der Flut. (Foto: Foto: AP)

Die Amerikaner haben so etwas bis vor einer Woche überall in der Welt für möglich gehalten, nicht aber im eigenen Land. Nun ist die Nation schockiert: über das Ausmaß der Heimsuchung, die der Hurrikan Katrina über den Süden ihres Landes gebracht hat, aber auch, und mit zunehmender Tendenz, über die Dimension des Dilettantismus, mit dem auf die Katastrophe reagiert wurde.

Schon sprechen Leitartikler der großen amerikanischen Zeitungen von der "gedemütigten Nation" oder den "Vereinigten Staaten der Schande".

Katrinas Schockwellen haben die USA zutiefst getroffen, vergleichbar wohl nur der kollektiven Erschütterung nach dem 11. September. Aber Amerika reagiert ganz anders als nach den Anschlägen. Die Sympathie mit den Opfern, die Empathie für das menschliche Leid ist ohne Zweifel gleich groß.

Bis zum Wochenende hatte allein das amerikanische Rote Kreuz fast 200 Millionen Dollar an Spenden gesammelt. Damals aber scharte sich die Nation um ihren Präsidenten. Diesmal schaut sie entgeistert auf ihr Führungspersonal.

Selbst Republikaner kritisieren offen die mangelhafte Vorbereitung und die behäbige Reaktion der Bundesbehörden auf die Katastrophe sowie das zynische Eigenlob der Verantwortlichen für das Hilfsdesaster in diesen Tagen nach dem Sturm. So etwas mag man bei Katastrophen in der Dritten Welt vermuten, aber nicht im eigenen Land, nicht bei der Führungsnation der Welt.

Damals reagierte die Regierung nach wenigen Stunden der Kopflosigkeit entschlossen und schnell. Die Nation fand in New Yorks Bürgermeister Rudy Giuliani einen Helden und in Präsident Bush einen Anführer, der mit einem Megafon in der Hand vor den rauchenden Trümmern des World Trade Center den Helfern, den Amerikanern, der ganzen Welt ein Bild der Entschlossenheit lieferte.

Auch diesmal gibt es ein bezeichnendes Bild: Es zeigt einen sinnierenden George W. Bush, der am Tag zwei nach der Katastrophe Louisiana und Mississippi in der Airforce One überfliegt und aus dem Flugzeugfenster heraus Katrinas Ground Zero begutachtet, das überschwemmte New Orleans und die platt gewalzte Golfküste - ein abgehobener Präsident, einer, der nicht mitten drin steht.

Diesen Eindruck hat auch sein Besuch am Tag vier nach dem Sturm, haben seine Umarmungen und Tränen für die Trauernden und Obdachlosen nicht wirklich verändert. Zu offenkundig war es der Versuch politischer Schadensbegrenzung. Die Bilder vermittelten keineswegs den Eindruck, dass der Präsident die Sache im Griff hat. Eher umgekehrt: Ein Sturm der öffentlichen Entrüstung in den USA über das beklagenswerte Katastrophenmanagement treibt ihn vor sich her.

Damals, nach dem 11. September, erstickten Patriotismus und ein verbissener Trotz jede politische Diskussion über die nachlässige Nonchalance, die vor den Anschlägen gegenüber der Terrorgefahr geherrscht hatte. Diesmal aber bricht sofort die Frage nach der politischen Verantwortung auf.

Der Präsident steht im Zentrum des Sturms, und der schwillt noch an. Über George W. Bush könnte sich das bislang gefährlichste politische Unwetter seiner Amtszeit zusammenbrauen.

Vor allem aber trafen die muslimischen Terroristen damals Arme und Reiche gleichermaßen. Diesmal geht es um Rasse und Klasse. Darum, dass diejenigen, die kein Auto und kein Geld hatten zu fliehen, die zu krank waren oder geistig zu unbeweglich, dem heranwirbelnden Unheil einfach überlassen wurden.

Und dass, als die Katastrophe dann da war, zwar Hilfe versprochen wurde, aber tagelang nicht kam. Schwarze Kongressabgeordnete sprechen offen von Rassismus, und sie machen einen dafür verantwortlich: George W. Bush.

Schon vor der Flut hatten immer mehr Amerikaner wegen der wachsenden Verluste im Irak Zweifel an ihrem Präsidenten. Jetzt ist er politisch schwer beschädigt. Viel hängt davon ab, wie er in den kommenden Tagen und Wochen reagieren wird. Ob er ein Zeichen setzt, dass Hautfarbe und Herkunft im Amerika des 21. Jahrhunderts nicht mehr über Leben und Tod entscheiden dürfen.

Ob er von seiner Agenda weiterer Steuervergünstigungen für die Wohlhabenden lässt und statt dessen Opfer von ihnen und der ganzen Gesellschaft verlangt. Ob er die Dimension der Krise erfasst oder weiter business as usual machen will.

Die gebrochenen Deiche von New Orleans wird man wiederherstellen können. Die klaftertiefen Bruchstellen aber in der amerikanischen Gesellschaft, welche Sturm und Flut bloßgelegt haben, werden noch lange offen stehen. Die Nation wird nach einem Mann an ihrer Spitze verlangen, der die Stärke besitzt, das soziale Problem Amerikas wirklich ernst zu nehmen. Daran wird die Präsidentschaft von George W. Bush nun gemessen werden.

© SZ vom 05.09.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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