Heavy-Metal auf dem Dorf:Aus nächster Ferne

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Wie die Südkoreanerin Sung Hyung Cho auf die Idee kam, eine Dokumentation über den norddeutschen Ort Wacken und das dortige Heavy-Metal-Festival zu drehen.

Marten Rolff

Am Anfang ist es fast ein wenig zuviel des Guten. "Natürlich, gern können Sie zu mir nach Eschbach kommen", sagt Sung Hyung Cho am Telefon. Sie spricht schnell, und aus ihrer irgendwie verdächtig energetischen Stimme glaubt man manchmal eine feine Ironie herauszuhören.

Doch sie meint ernst, was sie sagt: "Hinter unserem Haus ist ein Hügel, von da hat man einen schönen Blick in den Taunus, eine tolle Landschaft", erzählt sie weiter. Oben sei eine "Rentnerbank", auf der man sich "prima" unterhalten könne. Und wenn dann noch Zeit sei, "können wir ja bei uns im Dorfgasthof essen gehen. Im Deutschen Haus. Super Schnitzel. Riesenportionen. Ganz billig. Nur 4,70 Euro!"

War das jetzt nett gemeinte Beflissenheit? Ein Werbegag vielleicht? Oder einfach ein neues Phänomen - der unbeirrbare Deutschlandversteher aus der Fremde, als logische Konsequenz aus Globalisierung und Fußball-WM? Das sind so die Fragen, die man sich stellt, wenn man das erste Mal mit der Südkoreanerin Sung Hyung Cho zu tun hat.

Diesen Eindruck wird man zwar später relativieren. Aber zunächst bleibt festzuhalten, dass es da eine neue Regisseurin aus der Vier-Millionen-Stadt Busan am Japanischen Meer gibt, die in Interviews derzeit viel von Detlev Buck und dem Marschland nördlich der Elbe schwärmt. Die sagt, dass sie die nette Offenheit der Norddeutschen - ("alle denken, die sind maulfaul, dabei wollen die nur schnacken, schnacken, schnacken") - genauso liebt, wie ihren Humor.

Die 40-Jährige hat gerade den Max-Ophüls-Preis für den besten deutschen Nachwuchsfilm gewonnen. Erstmals seit 28 Jahren wurde der für einen Dokumentarfilm vergeben. "Full Metal Village" läuft an diesem Donnerstag im Kino an, wurde auf der Berlinale mit Standing Ovations bedacht und ist ein liebevolles Porträt des schleswig-holsteinischen Dorfes Wacken bei Itzehoe, das seine Bekanntheit nur einem Ereignis verdankt: Dem weltgrößten Heavy-Metal-Festival, das jedes Jahr im August mehr als 40.000 Fans anzieht und an dessen Vorbereitung fast jeder der 1800 Wackener beteiligt ist.

"Die Deutschen haben eine psychische Störung"

In langsamen Bildern und nah an den Menschen erzählt sie deren Lebensgeschichten und setzt sie in Kontrast zur kreischenden Party der Headbanger. Es ist ein 90-minütiges Plädoyer für den Wert der Dorfgemeinschaft in Zeiten der Globalisierung. Ein "Heimatfilm", wie die Regisseurin ihre Dokumentation genannt hat, was "auch als Provokation" gedacht war.

"Die Deutschen haben eine psychische Störung, was ihre Beziehung zur Heimat angeht", erklärt Cho, während sie den Hügel hinter ihrem Haus hinaufläuft. In der schwarzen Cargo-Hose und ihrem "Full-Metal-Village"-T-Shirt hebt sie sich seltsam ab von den Wiesen und Rapsfeldern des Taunus ringsum; die eine Hand trägt einen Picknick-Korb (Mineralwasser, vier Krapfen und Zigaretten), die andere Hand darf gestikulieren.

Es ist ihr ein Bedürfnis, das Land zu lieben, in dem sie seit 17 Jahren lebt, sagt sie, sonst könne sie ja auch woanders leben. Die Deutschen haben ihr das "mit ihrer Muffeligkeit" lange schwer gemacht. Und bei den Themen Heimat und Provinz können sie hier nur witzig oder eben zynisch sein, abrechnend oder spießig und anbiedernd. Cho sagt, natürlich sei das alles nichts Neues, und natürlich verstehe sie die Gründe dafür. Aber die Deutschen müssten auch endlich einmal verstehen, "wie sehr sie damit ihren Ausländern auf die Nerven gehen."

In den Taunus ist sie Mann und Schwiegereltern zuliebe gezogen. Sie sagt, sie möge Eschbach so einigermaßen, dessen Bewohner morgens die Straße fegen, auch wenn die gar nicht schmutzig ist. Aber sie vermisst das Kino. Und den wirklichen Zusammenhalt der Menschen, den sie aus ihrer Kindheit in Südkorea kennt. Und eben aus Wacken in Schleswig-Holstein, diesem Musterbeispiel der friedlichen Koexistenz. Weil Tante Evchen und Oma Irmchen hier bei Kaffee und Butterkuchen erzählen, dass "diese Metall-Musik ... also unser Fall is' das ja nu' gar nich'." Dass bei den Fans sogar "Teufelsanbeter dazu gehören." Und trotzdem lassen sich Evchen und Irmchen jedes Jahr gern auf die Liste der Festival-Helfer setzen.

Nicht Wacken oder die deutsche Provinz haben Sung Hyung Cho gereizt. Sondern dieser Gegensatz, dieser "Zusammenprall der Kulturen". Sie hat vor fünf Jahren ein Foto in der Zeitung gesehen: Langhaarige Metal-Fans, die von der biederen Verkäuferin im Wackener Edeka so freundlich bedient wurden. Das ließ sie nicht mehr los. Und als sie 2004 ihren Job als Cutterin von Konzertvideos in Frankfurt verlor, reiste sie das erste Mal nach Wacken. Anschließend schrieb sie Anträge für die Filmförderung, suchte sich einen Produzenten und quartierte sich wieder in Wacken ein. Erst im "Haus Monika" und später dann bei Oma Irmchen.

Pogo und Blasmusik

Und die Wackener führten die Koreanerin, die so viele Fragen hatte, begeistert im Ort herum. Schrieben Listen mit möglichen Gesprächspartnern, sprachen über ihre Ehe und über ihre Träume, nahmen Cho mit zum Tanzkurs, zum Kniffelabend und in den Kuhstall. Irritiert waren manche trotzdem ein wenig. Weil sie hier zwar Presse gewohnt sind, aber keine ausländischen Dokumentarfilmer. Einige dachten, Cho käme vielleicht von RTL und fragten sie, warum der Film denn so lange dauert und wann der nun im Fernsehen kommt. Und wer heute beim Büro des Wacken Open Air (kurz: W:O:A) anruft und mit Cho sprechen will, wird schon mal gefragt: "Ach, midder Schineesin?" Sung Hyung Cho lacht und sagt, das gefalle ihr alles sehr: "Es zeigt, dass sich was tut, am Anfang war ich für viele die Japanerin."

Mehr Probleme bereitete der Regisseurin, dass sie nicht alle Wünsche für den Film durchsetzen konnte. So ist es Tradition, dass das W:O:A von der örtlichen Blaskapelle eröffnet wird. Bei den Fans ist das Kult, sie tanzen Pogo dazu. Cho wollte diese Blasmusik für das Intro - "weil die so schöne Schunkelstimmung macht." Außerdem räumte sie der Fluchtgeschichte von Oma Irmchen im Zweiten Weltkrieg viel Platz im Film ein.

"Oh Gott, Flucht!", stöhnte ihr Team. "Vergiss die Blasmusik", beschied der Produzent. Auch ihre Freundin Sabine sagte, bei Blasmusik werde ihr immer "ganz eng im Hals". Cho fand das ein wenig albern. Heimat, sagt sie "ist doch kollektive Glückseligkeit. Wenn man die nicht liebt, kann man auch Fremde nicht lieben." Natürlich sind das einfache Wahrheiten. Aber genauso natürlich ist es eben, dass der Hinweis auf diese Einfachheit aus Deutschland kommt.

Sung Hyung Cho ist "wegen der Philosophen" zum Studium nach Deutschland gekommen und blieb. Sie stamme aus einer "Trauma-Generation", sagt sie, die nach der Schule begreifen musste, dass ihr Leben während der Militärdiktatur "auf einer Lüge" fußte. Dass "nichts von dem Bestand hatte", was man als Kind gelernt hatte. Sie schätzt die Freiheit in Deutschland. Im Juni wird Cho für einige Wochen nach Südkorea gehen, um dort für einen neuen Film zu recherchieren. Einem Film "über Heimat und Heimweh".

Am Ende wird es doch nichts mit dem Essen im Dorfgasthof Deutsches Haus. "Nein, die Küche schließt um dreiviertel zwei", ranzt die Bedienung. "Das war doch erst vor sechs Minuten", sagt Sung Hyung Cho. Dann zuckt sie mit den Schultern, dreht sich um und stapft zur Tür hinaus. "Gehen wir eben zum Vietnamesen."

© SZ vom 19.4.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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