Haftstrafen in den USA:Dicke Luft in der Zelle

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Rekordverdächtige 2,24 Millionen Menschen sitzen in den USA in Haft. Das ist eine beunruhigend große Zahl. Noch dramatischer ist aber der Trend.

Reymer Klüver

Es ist einer der Trends, an die sich Amerika schon gewöhnt zu haben scheint. Richtig aufgeregt jedenfalls hat sich kaum jemand über die Nachricht: Die Zahl der Häftlinge in den USA ist gestiegen. Wieder einmal. Das geht aus der jüngst veröffentlichten Statistik des Justizministeriums hervor. Danach saßen im vergangenen Jahr in den USA nicht weniger als 2,24 Millionen Menschen in Bundesgefängnissen oder in Haftanstalten der Bundesstaaten oder der Kommunen.

Bis zu 70 Prozent sind die Gefängnisse in Kalifornien - im Bild der Schlafsaal einer Haftanstalt in Chino - überbelegt. Um für Ruhe zu sorgen, werden die Häftlinge inzwischen nach Rassen getrennt. (Foto: Foto: AP)

Es ist in etwa so, als hätte man fast die gesamte Bevölkerung des Bundesstaates Nevada weggeschlossen. Das ist Weltrekord, sowohl in absoluten Zahlen wie auch im Vergleich mit anderen Ländern. Nirgendwo sonst sitzen so viele Menschen ein wie in den Vereinigten Staaten.

In China sind es, offiziell zumindest, 1,5 Millionen Menschen, in Russland 885.000. Statistisch gesehen sitzen von 100.000 Menschen in den USA 748 im Knast, in Deutschland sind es nur 90. Doch alarmierend sind nicht einmal so sehr die absoluten Zahlen.

Beunruhigend ist vielmehr die Höhe des Anstiegs. In den vergangenen Jahren hatte sich die Zunahme verringert. 2006 aber schnellte die Häftlingszahl im Vergleich zum Vorjahr um 2,8 Prozent empor. Das ist der größte Anstieg seit dem Jahr 2000. Es dürfte eine Kombination von strengen Gesetzen mit hohen Mindeststrafen, einer hohen Anzahl von Verurteilungen wegen Drogendelikten und einer vergleichsweise hohen Kriminalitätsrate sein. Weiter belastet wird das Gefängnissystem durch zunehmende Festnahmen illegaler Immigranten. 230000 waren es allein im vergangenen Jahr.

Übergriffe und Unruhen

Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch hat die Inhaftierungszahlen in den USA bereits mehrmals kritisiert. Die "außerordentlich hohe Rate" verursache nicht nur "Chaos im Leben von Einzelpersonen, Familien und Gemeinden, sondern zehrt an der Stärke der Nation überhaupt", konstatieren die Menschenrechtler.

In den USA werden jährlich 60 Milliarden Dollar in den Strafvollzug gesteckt. Auffällig ist, dass nach wie vor unverhältnismäßig viele schwarze Amerikaner im Gefängnis sitzen. 4,8 Prozent aller erwachsenen schwarzen Amerikaner saßen im vergangenen Jahr im Gefängnis, aber nur 0,7 Prozent aller Weißen (bei Latinos waren es 1,9 Prozent). Fast jeder vierte Häftling in den USA ist schwarz. Der Bevölkerungsanteil der Schwarzen liegt in den USA aber nur bei knapp 13 Prozent.

"Wieder einmal", klagt Jason Ziedenberg, Direktor des Justice Policy Institute, "müssen die Farbigen den Preis für unseren verfehlten Strafvollzug zahlen." Das Institut kämpft seit Jahren gegen die Tendenz zu drakonischen Strafen im amerikanischen Justizwesen.

Pluspunkte fürs Fegen

Zwar verzeichnete der Bundesstaat Alaska den höchsten Zuwachs an Häftlingen (9,4 Prozent), am schwersten belastet aber ist Kalifornien. Einer von fünf Straffälligen, die im vergangenen Jahr in Haft kamen, wurde in Kalifornien in den Knast geschickt.

Die Gefängnisse dort sind chronisch überbelegt, nach offiziellen Statistiken zu 70 Prozent. Weil es immer wieder zu Übergriffen und Unruhen kam, wurden die Häftlinge inzwischen sogar nach Rassen getrennt. Erst vor kurzem billigte der kalifornische Kongress ein Neubauprogramm von Gouverneur Arnold Schwarzenegger, der Gefängnisse für nicht weniger als 7,8 Milliarden Dollar errichten will.

Kalifornien ist ein Beispiel dafür, wie schwer es der Gedanke der Rehabilitation in den USA hat. Selbst der Vorschlag, durch Rehabilitationsmaßnahmen Geld zu sparen, stößt auf taube Ohren. 43.000 Dollar kostet Kalifornien die Unterbringung eines Häftlings pro Jahr. Nur 2000 Dollar davon werden für Rehabilitationsmaßnahmen ausgegeben.

"Die Hälfte der Häftlinge in Kaliforniens Gefängnissen nimmt während der gesamten Strafe nicht an einer einzigen Maßnahme teil", klagt die Kriminologieprofessorin Joan Petersilia von der Universität in Irvine. Sie ist Autorin einer vom kalifornischen Senat beauftragten Studie zur Rehabilitation.

Ein Häftling in Kaliforniens Gefängnissen könne zwar fürs Fegen in Gemeinschaftsräumen Pluspunkte für gute Führung sammeln, nicht aber dafür, dass er an Weiterbildungsmaßnahmen teilnehme. Sie glaubt, eine Verdreifachung der bisher für Rehabilitation ausgegebenen 300 Millionen Dollar könnte durch eine spürbare Verringerung der Rückfallquote und damit eine Reduzierung der Häftlingszahlen ausgeglichen werden.

Der Vorschlag wurde vom republikanischen Abgeordneten Todd Spitzer gleich abgebügelt. Ohnehin würden die meisten Häftlinge bereits entlassen, nachdem sie erst die Hälfte ihrer Strafe verbüßt hätten, sagte Spitzer: "Wir sind schon viel zu großzügig." Spitzer ist auch Vorsitzender des Ausschusses für Gefängnisneubauten im kalifornischen Kongress.

© SZ vom 18.07.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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