Gefängnisbrand in Honduras:Erstickt in der Zelle

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Überfüllt und heruntergekommen: Die meisten Gefängnisse in Lateinamerika sind Akademien des Terrors - und tödliche Fallen. Bei einem Gefängnisbrand in Honduras sind mehr als 350 Menschen ums Leben gekommen. Es ist die bisher schlimmste Katastrophe in dem zurzeit wohl gewalttätigsten Land der Welt.

Peter Burghardt, Buenos Aires

Ständig kommen Horrormeldungen aus dem schönen Honduras, dem zurzeit wohl gewalttätigsten Land der Welt. Nirgendwo ist die Mordrate höher, 86 von 100.000 Einwohnern werden umgebracht. Viele der Gräueltaten bleiben ungesühnt, dennoch sind die Zellen voll. Die überfüllten und heruntergekommenen Gefängnisse werden schnell zu tödlichen Fallen.

Im Mai 2004 starben 107 Häftlinge bei einem Feuer in San Pedro Sula. 2003 kamen 66 Männer und drei Frauen ums Leben, als verfeindete Banden in der Haftanlage El Porvenir bei Ceiba aufeinander los gingen. Nun züngelten in der Nacht zum Mittwoch über der Strafanstalt von Comayagua Flammen in den Himmel, im Morgengrauen wurden Leichen gezählt. "272 Tote", sagt die Chefin der honduranischen Gerichtsmedizin, Lucy Marrder. "Aber es können noch mehr sein." Wahrscheinlich verbrannten mindestens 350 Insassen der sogenannten Granja Penal de Comayagua, 100 Kilometer nordwestlich der Hauptstadt Tegucigalpa.

Einige Häftlinge nutzen das Chaos zur Flucht

Mit 850 Menschen soll der Gebäudekomplex gefüllt gewesen sein. 500 Menschen wurden lebend geborgen, Dutzende zum Teil schwer verletzt. Bilder zeigten, wie sich Überlebende in Sicherheit bringen, fast alle mit bloßem Oberkörper und viele mit Tätowierungen, den Erkennungszeichen der Gangs. Mehrere Verwundete wurden in Krankenhäuser gebracht, einigen Häftlingen gelang in dem Durcheinander die Flucht. Hinter Maschendrahtzaun drängten sich verzweifelte Angehörige und wussten nicht, was mit ihren Verwandten geschehen war. "Wir holen die Opfer heraus", sagte Gefängnisdirektor Danilo Orellana, "die Mehrheit ist erstickt." Und Orellana gab bekannt: "Es war keine Meuterei. Mehrere Module haben Feuer gefangen."

Brandstiftung sei schuld gewesen, hieß es. Gefangene hätten am späten Abend eine Matratze angezündet, erst später konnten Löschmannschaften das Inferno unter Kontrolle bringen. Einsatzkräfte berichteten, es seien Schüsse zu hören gewesen, deswegen habe sich der Rettungseinsatz verzögert. Bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden Lagern sind häufig, erst im Oktober 2011 hatte es bei Kämpfen in Sampedrano neun Tote gegeben. Laut Polizeisprecher Héctor Iván Mejía hatte jedoch "offenbar ein Kurzschluss" das Desaster ausgelöst. Eine Krankenschwester der Klinik Santa Teresa erzählte von Patienten mit Verbrennungen dritten und vierten Grades. Ein Feuerwehrsprecher sprach von grausigen Szenen und sagte, mehrere Opfer seien in dem Bauwerk noch eingeschlossen: "Wir konnten sie nicht befreien, wir hatten keine Schlüssel und fanden die Aufseher nicht."

Sicher ist jetzt schon, das Honduras eine weitere Tragödie der lateinamerikanischen Justiz erlebt. Die Liste wird immer länger. 1986 starben bei Rebellionen der Guerillagruppen Sendero Luminoso und Tupac Amaru in drei peruanischen Gefängnissen 250 Menschen. 1992 gab es bei einem Aufstand Verurteilter in Sao Paulo 111 Tote, 120 Inhaftierte erstickten und verkohlten 1994 in Maracaiba im Westen Venezuelas, 135 Häftlinge starben 2005 in den Flammen des Kerkers von Higuey in der Dominikanischen Republik. 2010 kostete im vermeintlich hoch entwickelten Chile ein Brand in einer vollgestopften Haftanlage 81 Eingesperrten das Leben, im selben Jahr verbrannten zwölf Häftlinge in Uruguay.

Eine Ursache für solche Desaster ist die grassierende Gewalt auf dem Subkontinent. Lateinamerika erlebt einen mancherorts sagenhaften Aufschwung, dennoch wird in vielen Metropolen zwischen Rio Grande und Feuerland mehr gemordet als in anderen Teilen der Erde. Geschürt wird kriminelle Energie von sozialer Ungleichheit, Drogenhandel, korrupter Polizei und bestechlichen Politikern, oft liegen Armenviertel nicht weit von den schicksten Gegenden entfernt. Die Gerichte sind nicht selten träge und überfordert, und wer einen Prozess bekommt, der wird im Zweifel ohne Sozialplan weggesperrt.

Gefängnisse als Akademien des Terrors

Auch im aufstrebenden Brasilien, in Venezuela oder Mexiko sind manche Gefängnisse Akademien des Terrors - mit Revierkämpfen und wenigen Notfallplänen zur Evakuierung.

Besonders dramatisch ist die Lage in Zentralamerika, wo Rauschgiftkartelle wüten und Jugendgangs wie die Maras oder Salvatruchas gegeneinander kämpfen. El Salvadors Regierung ließ Vollzugsanstalten militarisieren. "Sie wissen, dass Bandenchefs und gefährliche Kriminelle aus einigen Gefängnissen Verbrechen und Attentate in Auftrag geben", klagte Präsident Mauricio Funes. Das Nachbarland Honduras war früher schon unruhig und wurde nach einem Putsch von Armee und rechter Elite gegen den umstrittenen Staatschef Manuel Zelaya 2009 endgültig zu einer Bastion der Gesetzesbrecher. In dem Land wird so viel entführt und gemordet, dass das US-Friedenskorps seine zivilen Mitarbeiter abzieht.

Jetzt kam es also in der überbelegten Granja Penal de Comayagua zur bisher schlimmsten Katastrophe. "Ich suche meinen Bruder", schluchzte eine Frau, "ich weiß nicht, was passiert ist." Der Spruch über dem gelb getünchten Eingang klingt wie Hohn: "Lasst Gerechtigkeit walten."

© SZ vom 16.02.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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