Geburtenregistrierung:230 Millionen Kinder sind für Behörden unsichtbar

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Wenn Eltern ihre Kinder nicht registrieren, haben sie womöglich keinen Zugang zum Schulsystem. (Foto: REUTERS)

Jedes dritte Kind unter fünf Jahren weltweit ist nicht offiziell registriert. In den vergangenen zehn Jahren ist diese Zahl zwar gesunken, doch die Folgen für papierlose Kinder sind gravierend.

Von Caro Lobig

Weltweit sind 230 Millionen Kinder nicht registriert, also jedes dritte unter fünf Jahren. Das hat die Kinderrechtsorganisation Unicef jetzt in ihrem Report "Every child's birth right" veröffentlicht - die Zahlen beziehen sich auf das Jahr 2012. Betroffen sind vor allem Entwicklungsländer: Dort ist die Hälfte aller unter Fünfjährigen nicht offiziell gemeldet.

"Die leider immer noch große Zahl an unsichtbaren Kindern ist ein Indikator für die Ungerechtigkeit, der die ärmsten Menschen der Welt ausgesetzt sind", sagt Sylvia Trsek, Unicef-Sprecherin aus Wien. Die meisten der Nichtregistrierten seien Kinder aus Rand- und diskriminierten Gruppen oder Flüchtlinge. Zwar sei die Zahl der registrierten Kinder seit dem Jahr 2000 (58 Prozent) bis 2010 (65 Prozent) um sieben Prozent gestiegen. Doch das geht Trsek nicht weit genug: "Das ist nicht viel, da ist noch einiges aufzuholen."

Wer nicht registriert ist, ist gefährdet

Die Folgen für derlei "unsichtbare" Kinder sind gravierend. "Wenn ein Mensch bei den Behörden nicht existiert, kann der Staat ihn auch nicht einplanen", so Trsek. Nichtregistrierte Kinder dürften daher nicht zur Schule gehen, später arbeiten, ein Konto eröffnen oder reisen. Außerdem haben sie keinen Zugang zur Gesundheitsversorgung.

Aktuelles Beispiel: Im Rahmen einer Polio-Impfkampagne im Nahen Osten versuchen Unicef und die Weltgesundheitsorganisation, drei Millionen Kinder zu erreichen. "Diese Krankheit war schon fast ausgerottet, aber da in Ländern wie Syrien viele Kinder nicht geimpft werden, brach sie wieder aus", erklärt Trsek. Damit werden solche Krankheiten auch in andere Länder getragen.

"Zusätzlich ist bei nichtregistrierten Kindern die Tür zum Missbrauch weit offen", sagt Trsek. Wer in armen Ländern ohne Papiere sei, werde oft zu Kinderarbeit gezwungen, sexuell ausgebeutet oder für bewaffnete Gruppen rekrutiert.

Aber nicht nur papierlose Kinder sind gefährdet - auch deren Heimatländern schadet die Unsichtbarkeit, weil den Regierungen dringend benötigte Hilfsgüter entgehen. Trsek gibt ein Beispiel: "Wenn nicht klar ist, wie viele Kinder Zusatznahrung, Moskitonetze und Kleidung brauchen, können wir die Entwicklungshilfe für arme Länder auch nicht richtig kalkulieren." Den Staaten fehle es dann an finanzieller Unterstützung. Hinzu komme, dass Ländern mit vielen papierlosen Kindern später auch Steuerzahlungen und Arbeitskräfte entgehen, die die Wirtschaftskraft steigern könnten, erklärt die Sprecherin.

Fehlende Aufklärung der Eltern

Acht von zehn Ländern mit der geringsten Melderate sind afrikanische. Somalia hat mit 97 Prozent im Verhältnis weltweit die meisten papierlosen Kinder unter fünf Jahren. Die Gründe für eine ausgebliebene Registrierung variieren je nach Land. "Der häufigste Grund sind die Kosten, für die die Eltern selbst aufkommen müssen", sagt Trsek.

In Gambia ist es beispielsweise so, dass der Vater das Kind registrieren muss, in Indonesien brauchen Eltern eine Hochzeitsurkunde und in manchen Ländern wie Afghanistan gab es lange gar keine Meldesysteme. Vietnam dagegen ist ein Positivbeispiel: Seit 2007 ist die Registrierung von Kindern dort kostenlos, dadurch hatten im Jahr 2011 dort 95 Prozent der Kinder Papiere.

Um die Situation auch in anderen Ländern zu verbessern, hat Unicef sogar technische Systeme wie die Rapid-SMS entwickelt. "Spezielle Mitarbeiter dürfen Informationen über das Neugeborene an die Behörden schicken, damit die sie in ihre Datenbanken aufnehmen können", erklärt Trsek.

Wenn Eltern ihren Nachwuchs nicht registrieren, liege das oft auch an fehlender Aufklärung von Seiten der Regierungen, weswegen viele Menschen Angst vor den Konsequenzen einer Registrierung haben. "Manche Eltern erkennen schlichtweg nicht die Wichtigkeit solcher Dokumente", meint Trsek. Andere hätten Angst vor Diskriminierung, zum Beispiel wenn der Vater einer anderen Religion angehöre oder das Kind unehelich sei. "Wir versuchen, mit den Regierungen der jeweiligen Länder zusammenzuarbeiten, damit diese ihre Bevölkerung informieren und den Zugang zu einer Registrierung leicht machen."

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