Gastronomie:Urinöse Zustände

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Im Kampf gegen Wildpinkler plant Hessen die Wiedereinführung der Toilettenpflicht für Lokale.

Von Sophie Burfeind, Frankfurt

In Bayern nennt man sie Wildbiesler, im Rest des Landes Wildpinkler oder Falschpisser. Es geht um Menschen, meist Männer, die keine Toilette aufsuchen, wenn die Blase drückt, sondern in die Wildnis strullen. Was harmlos klingt, hat sich in Deutschland zu einem gewaltigen Problem entwickelt: Im ganzen Land häufen sich Meldungen von nach Urin stinkenden Hauseingängen, Aufzügen, Bahnübergängen oder Parkhäusern. Bäume sterben ab durch das wilde Urinieren, ja sogar die Fundamente von Gotteshäusern sind durch die ätzende Flüssigkeit bereits angegriffen - besonders betroffen sind Kölner Dom und Ulmer Münster.

Der öffentliche Raum ist zum öffentlichen Urinal geworden. Besonders dramatisch scheint die Lage in Frankfurt am Main zu sein, wo die Steine des Doms schon bröckeln und die Stadtreinigung in manchen Ortsteilen Lavendelduft versprüht, um den Gang durch die Straßen noch erträglich zu machen. In dem fast schon verloren geglaubten Kampf gegen Wildpinkler ist die letzte Hoffnung der hessischen Landesregierung nun eine Gesetzesänderung: die Wiedereinführung der Toilettenpflicht für Gaststätten.

"Wir reagieren damit auf zahlreiche Hinweise sowohl von Gästen aber auch von Anwohnern, die vor der Haustüre regelmäßig Besuch von sogenannten Wildpinklern haben", begründete Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir diesen Schritt - denn gerade wenn Alkohol im Spiel sei, trete Pinkeln in der Öffentlichkeit verstärkt auf.

Man könnte meinen, dass ein Klo in einer Gaststätte selbstverständlich ist, schließlich muss, wer viel trinkt, ja auch viel loswerden. Das ist es aber nicht, denn seit der Föderalismusreform 2006 gilt das Bundesgaststättengesetz nicht mehr - Toiletten sind nun Sache der Länder. Konkret bedeutet das, dass diese in eigenen Gaststättengesetzen, Toilettenerlassen oder Bauordnungen regeln, wann es Toiletten geben muss und wann nicht. "In einigen Bundesländern ist der laufende Meter Pinkelrinne pro Quadratmeter genau festgelegt", sagt Jürgen Benad, Geschäftsführer des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands (Dehoga), und in einigen ist gar nichts geregelt. So wie in Hessen. Dort wurde die Toilettenpflicht in der Annahme, Gaststättenbetreiber würden schon freiwillig Klos bereitstellen, gestrichen - was diese aber nicht taten.

In Berlin müssen künftig auch Supermärkte Unisex-Klos anbieten

Schleswig-Holstein ist hingegen ein sehr strenges Bundesland, was die WC-Frage angeht, dort muss es schon ab einer Kneipengröße von 30 Quadratmetern ein Örtchen geben, in Berlin ab einer Größe von 50 Quadratmetern - wobei die Klos in der Hauptstadt nicht "durch Münzgeräte versperrt sein dürfen", sagt Benad. In Nordrhein-Westfalen wiederum dürfen Gastwirte für die Toilettennutzung Gebühren erheben. So wie in Bayern sind Klos vielerorts auch dann Pflicht, wenn es mehr als 200 Sitzplätze gibt, oder wenn Alkohol ausgeschenkt wird. Völlig anders, sagt Benad, sehe es an Autobahnraststätten aus, da gelte das Bundesfernstraßengesetz. "Das Thema Toiletten ist hochkomplex."

Der Berliner Senat hat die Toilettenpflicht nun sogar noch ausgeweitet, um gegen Wildpinkler vorzugehen, in Berlin müssen künftig auch Supermärkte Unisex-Klos anbieten. In Städten wie Mainz und Hamburg versucht man dem Problem mit einem speziellen Lack an den Wänden zu begegnen - er pinkelt zurück. Geldstrafen scheinen in Deutschland bisher nichts zu bringen - obwohl der Strahl auf ein denkmalgeschütztes Gebäude mit bis zu 5000 Euro geahndet werden kann.

In Hessen hofft man erst mal auf die Wirkung des neuen Gesetzes, allerdings wird sich die wohl in Grenzen halten. Denn von der neuen Regelung sind nur Gaststätten betroffen, die neu gebaut werden, alte Kneipen ohne Klos müssen nicht nachgerüstet werden.

© SZ vom 15.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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