Gasleck an schottischer Bohrinsel "Elgin":Furcht vor der Flamme

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"Wenn das Gas eine Zündquelle findet, wird es ein Feuer geben": Seit Sonntag strömt aus einem Leck an der Bohrinsel "Elgin" in der Nordsee Erdgas aus, eine hochexplosive Gaswolke hat sich gebildet. Experten befürchten, der Wind könnte diese in Richtung der offenen Flamme am höchsten Punkt der Plattform wehen. Ein Mini-U-Boot soll nun helfen, die undichte Stelle zu finden - doch es gibt Zweifel, ob das Gerät überhaupt eingesetzt werden kann.

Um die Bohrinsel herum muss der Gestank nach faulen Eiern kaum zu ertragen sein: 200.000 Kubikmeter Erdgas treten nach Angaben des Energiekonzerns Total täglich aus einem Leck an der Förderplattform Elgin vor der schottischen Ostküste aus. Seit mindestens drei Tagen schon, vielleicht auch länger. Am Sonntag hatte das französische Unternehmen die undichte Stelle eingeräumt. Die 238 Arbeiter wurden in Sicherheit gebracht. Auch Shell hat Arbeiter von zwei benachbarten Förderinseln abgezogen. Doch die Gefahr für die Umwelt ist längst nicht gebannt.

Neun Millionen Kubikmeter Erdgas wurden auf Elgin bislang täglich gefördert, das entspricht drei Prozent der britischen Gesamtfördermenge. In 6000 Metern Tiefe wird das Gas in flüssiger Form als Kondensat gewonnen und mit einem Druck von 200 bis 300 Bar an die Oberfläche transportiert. Im Normalfall. Momentan schießt das Gasgemisch jedoch unkontrolliert und mit einem ungeheuren Druck von 1000 bis 1200 Bar aus dem Leck. Christoph von Lieven von Greenpeace ist angesichts solcher Kräfte skeptisch, dass die undichte Stelle einfach verschlossen werden kann.

Noch ist das Leck jedoch nicht einmal lokalisiert - und das dürfte nach Ansicht des Umweltexperten auch schwierig werden. Das austretende Gasgemisch enthält Methan, Schwefel bzw. Schwefelwasserstoff - daher auch der üble Geruch - und Ölpartikel. Dieses Kondensat hat Lieven zufolge nicht nur eine Temperatur von 180 bis 220 Grad, sondern ist auch sauer und kann Materialien wie Kunststoff angreifen. Der Einsatz von Aufklärungstechnik wird so zum Problem. Zuletzt hatte Total verkündet, man habe vor das Plattform das Überwachungsschiff Highland Fortress in Stellung gebracht, an dessen Bord sich auch ein Mini-U-Boot mit integrierter Kamera befinde.

Das Ökosystem um Elgin könnte zur "Todeszone" werden

Sollte es nicht gelingen, das Leck zu lokalisieren und den Gasaustritt zu stoppen, könnte das Gebiet um die Elgin zur "Todeszone" werden, fürchtet Lieven von Greenpeace. Pflanzen und Tiere hätten in dem schwefelverseuchten Wasser keine Überlebenschance. Die akutere Gefahr geht aber von der Methanwolke aus, die sich über der Bohrinsel gebildet hat. Weil Methan sehr leicht ist, setzt es sich aus dem austretenden Kondensat ab und steigt in die Luft.

Zwar betonte ein Total-Sprecher, die Auswirkungen des Gases auf die Umwelt seien deutlich geringer als bei Erdöl. Doch Methan ist giftig und hochentzündlich. "Wenn es eine Zündquelle findet, wird es ein Feuer geben", räumte ein hochrangiger Total-Mitarbeiter gegenüber BBC Schottland ein. Und diese Zündquelle befindet sich in unmittelbarer Nähe zu der Gaswolke, die sich seit Sonntag gebildet hat: Am höchsten Punkt der Bohrinsel brennt noch immer eine Flamme.

Experten befürchten, die Wolke könnte in Richtung des offenen Feuers treiben, in diesem Fall drohe eine "komplette Zerstörung" der Anlage. Doch Total wiegelt ab, zumindest vorerst: Der Wind wehe momentan von der Flamme weg und das solle auch die kommenden fünf bis sechs Tage so bleiben. Zusätzlich haben die Behörden eine Sperrzone eingerichtet: Schiffe dürfen demnach nicht näher als zwei Seemeilen (etwa 3,7 Kilometer) an die Plattform heranfahren. Flugzeuge, die tiefer als 1200 Meter fliegen, dürfen nicht näher als drei Seemeilen (etwa 5,5 Kilometer) an die Bohrinsel herankommen.

21 bis 23 mal klimaschädlicher als CO2

Doch selbst wenn eine Explosion verhindert werden kann, unbedenklich ist Methangas allen beschwichtigenden Aussagen von Total zum Trotz nicht. Lieven zufolge ist es 21 bis 23 mal klimawirksamer - das heißt: schädlicher - als CO2. Sollte es nicht gelingen, das Gasleck zu stopfen, könne Elgin das Klima langfristig stärker belasten als manche Industrienation, so der Umweltexperte von Greenpeace. Denn das Gasfeld unter dem Meer hat ein riesiges Volumen von 21 Milliarden Kubikmeter, nur ein Bruchteil wurde bislang gefördert. Das weiß wohl auch Total, doch der Energiekonzern versucht weiter, die Situation herunterzuspielen: Im besten Fall versiege der Gasfluss von alleine, heißt es von dort.

Lieven zufolge ist eine Entlastungsbohrung die einzige Möglichkeit, die Situation an der Bohrinsel in den Griff zu bekommen. Diese sei jedoch kostenintensiv. Total führt wiederum den Zeitaufwand der Maßnahme als Gegenargument ins Feld: Eine Entlastungsbohrung könne bis zu sechs Monate dauern. Experten, die aus allen Konzernbereichen zusammengezogen worden seien, berieten derzeit darüber, wie man das Problem in den Griff bekommen könne, sagte ein Unternehmenssprecher. Auch ein sogenannter "Kill", bei dem das Gasloch mit einer Schlamminjektion verschlossen wird, komme in Betracht. Eine Entscheidung sei aber noch nicht getroffen.

Eine Gefahr stellt neben dem Erdgas auch austretendes Erdöl dar. 60.000 Barrel Leichtöl wurden bislang täglich auf Elgin gewonnen, was etwa 5,5 Prozent der britischen Gesamtfördermenge entspricht. In unmittelbarer Nähe zur Plattform hat sich auf der Wasseroberfläche bereits ein Ölfilm abgesetzt. Dieser sei aber kleiner als ein Olympia-Schwimmbecken, sagte der britische Umweltminister Charles Hendry. Dennoch nehme man die Lage ernst.

Umweltschützer warnen vor "Horrorszenario"

Der Minister bescheinigte dem Konzern und den Behörden ein gutes Krisenmanagement. "Bislang sind alle Vorschriften eingehalten und die richtigen Schritte eingeleitet worden", sagte Hendry. Die norwegische Umweltgruppe Bellona übte hingegen Kritik und sprach von einem "Horrorszenario". "Das Problem ist außer Kontrolle geraten", sagte Bellona-Chef Frederic Hauge. Auch Greenpeace zeigte sich alarmiert und kritisierte die britische Regierung, die die Ausbeutung von besonders tief gelegenen Rohstoffvorkommen in der Nordsee mit speziellen Anreizen noch gefördert habe.

Der Vorfall weckt Erinnerungen an die Explosion der BP-Förderplattform Deepwater Horizon und die anschließende Umweltkatastrophe im Golf von Mexiko vor knapp zwei Jahren.

Nach der Evakuierung der Plattform zog der Gaspreis an. An der Pariser Börse verlor die Total-Aktie sechs Prozent und war damit der mit Abstand größte Verlierer im Pariser Leitindex CAC40 sowie im EuroStoxx50. Der Kurssturz drückte die Aktie auf ein Zweieinhalb-Monatstief.

© Süddeutsche.de/dpa/dapd/Reuters/jobr - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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