Fußballplätze:Die Würmer stehen frei

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So schlimm ist es nicht immer: Ein Fußballplatz in Niedersachsen im Jahr 2002, vom Hochwasser geflutet. (Foto: Carsten Rehder/dpa)

Es gibt Zehntausende Fußballplätze in Deutschland, sie sind nicht irgendein Ort, sondern ein wichtiger Teil deutscher Kultur, trotz ihrer bisweilen kuriosen Mängel. Oder müsste man sagen: gerade deshalb?

Von Thomas Hahn, Hamburg

Augenzeugen berichten, dass die Fußballer des VfL Bergen 94 den Gnoiener SV am Samstag auch mit einem Zehn-Null hätten heimschicken können. Aber das 5:1 vor 97 Zuschauern zum Abschluss der Landesliga Nord in Mecklenburg-Vorpommern ist natürlich auch nicht schlecht gewesen: Erstens trug der Sieg dazu bei, dass sich der VfL Bergen von der Ostsee-Insel Rügen noch am Laager SV 03 vorbei auf Platz fünf der Tabelle schob. Zweitens zeigte das Ergebnis, dass die Sache mit den Würmern zwar dem Hauptplatz des Ernst-Moritz-Arndt-Stadions Schaden zufügt, nicht aber der Heimmannschaft, die den Ball auf dem Kunstrasen nebenan nämlich sehr schön laufen lassen kann.

Die Sache mit den Würmern. VfL-Vorstand Martin Handschug hat am Sonntag überhaupt keine Zeit, darüber zu sprechen. Er steckt mitten in einem Fußballturnier, außerdem sei das "Sache der Stadt", der Verein wisse darüber gar nichts. Er wirkt ein bisschen genervt von dem Umstand, dass in diesen Tagen Presseleute aus dem ganzen Land anrufen, um etwas über die verdammten Regenwürmer zu erfahren, die vor sechs Jahren als Retter der Grasnarbe galten und die mittlerweile eine Plage sind. Aber da muss Handschug jetzt durch. Ein Fußballplatz ist in Deutschland schließlich nicht irgendein Ort, sondern ein Lebensraum zwischen Kreidelinien, der an guten Tagen wie eine Kreuzung aus Schule, Kirche und Spaßpark wirkt. Generationen von Jungs haben auf dem weiten Feld zwischen den Toren ihre ersten Lektionen gelernt. Und wenn ein Fußballplatz eine Macke hat wie jetzt der in Bergen wegen seiner Würmer ist das immer ein Thema.

Schwer zu sagen, wie viele Fußballplätze es in Deutschland gibt, weil ja jeder Platz, an dem man Tore abstecken und einen Ball mit Füßen treten kann, ein Fußballplatz werden kann. Aber wenn man Felder mit festen Toren meint, dürften es mehrere Zehntausende sein. Praktisch jeder Ort hat einen. Die Plätze liegen zwischen Häuserschluchten oder als gemähtes Rechteck mitten in der Landschaft. Viele haben ihren eigenen Charakter. Und mancher ist richtig berühmt für seine Fehler.

Der Ascheplatz des SC 1906 München in Giesing zum Beispiel, auf dem Franz Beckenbauer einst das Kicken lernte, fiel früher hinter der Mittellinie nach einer Seite hin so weit ab, dass der Ball kaum steigen musste, wenn ein Freistoßschütze ihn unter die Latte setzen wollte. Der Platz der SG Straßberg wiederum war wegen seines Gefälles im Vogtland lange als "schiefe Ebene" bekannt - zwischen seinem höchsten und dem niedrigsten Punkt lagen 3,40 Meter. Und 1994 kam es im Münchner Dantestadion bei einer Bayernliga-Partie zu einer gespenstischen Szene: Ein Betreuer wollte einem verletzten Spieler im Strafraum zu Hilfe eilen und versank im Boden. Das Erdreich gab nach. Grund: Bauarbeiten am U-Bahn-Netz nebenan.

Die besagten Felder sind längst renoviert oder ersetzt. Und auch im Ernst-Moritz-Arndt-Stadion auf Rügen wird die Krise bald überwunden sein, wenn die Würmer der Marke "Dutch Nightcrawler" erst mal vertrieben sind. 2009 kaufte die Stadt sie ein, um den Rasen zu entwässern. Die Würmer gruben das Feld dann auch fleißig um. Zu fleißig. Jetzt ist es nicht mehr bespielbar. Die Würmer müssen weg, was wieder Geld kostet und manchen in der Stadtvertretung ziemlich aufregt.

Immerhin, der Bergener Kunstrasen, der heute dort liegt, wo sich vor wenigen Jahren noch ein hässlicher Rote-Erde-Platz erstreckte, bewährt sich. Und zwar nicht nur, weil der VfL darauf Sieg um Sieg erreicht. Im Januar hat die Ostsee-Zeitung mal ein paar Tore in Mecklenburg-Vorpommern getestet. Ergebnis: Einige waren um bis zu 20 Zentimeter zu niedrig. Aber nicht auf dem Kunstrasen-Feld von Bergen. Dort liegen die Latten ordnungsgemäß auf 2,44 Metern Höhe.

© SZ vom 08.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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