Fritzl-Verfahren:Beklommenheit nach dem Urteil

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Österreich ist froh, dass der Fall Fritzl abgeschlossen ist - doch die Fragen nach Behördenfehlern werden bohrender.

Michael Frank, Wien

Lähmendes Entsetzen, so lässt sich der Seelenzustand der Österreicher in den vergangenen Tagen umschreiben. Die Lust am Bösen, die vor allem den Wienern nachgesagt wird, ist den Landsleuten des Josef Fritzl aus Amstetten gründlich vergangen.

Muss lebenslang hinter Gittern bleiben: Josef Fritzl (Foto: Foto: AFP)

Der Prozess gegen den Inzesttäter und Kerkermeister genoss trotz greller Berichterstattung der Medien eher ein beklommen-distanziertes Interesse.

Die Österreicher sind dem als Mörder, Vergewaltiger und Sklavenhalter Verurteilten in gewisser Weise dankbar für den Schritt, beizeiten zu gestehen und das Urteil auf lebenslange Haft unverzüglich anzunehmen.

So erspart er der Nation weitere Wochen der Konfrontation mit den Grässlichkeiten aus dem Kellerverlies. Und weitere Sensationsberichterstattung, die dem Land aus Sicht seiner Bewohner ungerecht viel Schaden zufügt.

Denn nicht wenige Medien im Ausland nutzten diesen monströsen Fall zur Wiedererwärmung von Vorurteilen.

Die gipfeln bei Blättern in Großbritannien, Amerika oder Australien in der Feststellung: So ein Verbrechen könne nur im "Nazi-Land Österreich" geschehen.

Eine Nation der KZ-Schergen und Verdränger sei durch ihre Vergangenheit prädestiniert für solche Ungeheuerlichkeiten. Bosheit und Unkenntnis verknüpften sich zu einem einfachen Erklärungsmuster für das vordergründig Unerklärliche.

Freilich hat es auch Scheinheiligkeit und Verlogenheiten gegeben, zum Beispiel wenn österreichische Politiker so taten, als sei das Unglück des Image-Schadens für das Land größer als das Leid der Opfer.

Untätige Jugendbehörden

Kommentatoren kritisierten das zwar, suchten aber dennoch in der Gesellschaft und ihrer angeblichen Neigung zu autoritärem Verhalten nach Erklärungen für das Verbrechen.

Die Kommentatorin des Wiener Standard urteilt hart über die österreichische Gesellschaft: "Autoritäre Familienstrukturen wurden von allen Teilen der österreichischen Gesellschaft erst sehr spät in Frage gestellt und aufgebrochen."

Das zeige auch die lange und letztlich fruchtlose Debatte über die Gleichstellung der Frauen am Arbeitsmarkt. Ein "konservatives, teils reaktionäres Familienbild" habe auch auf die Jugendbehörden durchgeschlagen, die sich jahrelang geweigert hätten, Fritzls Tochter als Opfer eines Tyrannen wahrzunehmen, bevor diese in ihrem Verlies verschwand.

Auch die wahnhafte Vorstellung von Diskretion in der ost-österreichischen Gesellschaft, das besessene Bemühen, alle Privatheit und alle persönlichen Umstände vor den neugierigen Augen der Umwelt zu verbergen, könnte dazu beigetragen haben, dass Fritzls schauriges Verbrechen sich über Jahrzehnte hinziehen konnte.

In Österreichs Medien wird trotz der Erleichterung über die souveräne und professionelle Abwicklung des Rechtsfalles immer bohrender die Frage nach der Rolle der Behörden und der Mitmenschen im Verlauf der Passion dieser malträtierten Familie laut.

Im Standard hieß es dazu: "Bis heute tut man sich schwer einzugestehen, dass wohl irgendwann in diesem jahrzehntelangen Martyrium auch behördliche Fehler passiert sein müssen."

Die Parallelen zum Fall der Natascha Kampusch, die acht Jahre lang von ihrem Entführer in einem Keller gefangengehalten worden war, legt intensivere Gewissenserforschung nahe. Dass das Urteil des Gerichts nicht der Endpunkt der Affäre sein dürfe, kann zumindest als Wunsch und Wille des aufgeklärten Teils der österreichischen Gesellschaft gelten.

Justizministerin Claudia Bandion-Ortner zieht jedoch noch andere Schlüsse aus dem Fall Fritzl: Sie schlägt vor, die reinen Geschworenengerichte abzuschaffen, in denen ähnlich wie im anglo-amerikanischen Raum acht Laienrichter allein über Schuld und Unschuld entscheiden.

Erst beim Strafmaß reden die Berufsrichter mit. Geschworene seien oft von der Komplexität solcher Fälle überfordert, sagte die Ministerin im Österreichischen Rundfunk. Ein Gericht aus drei Berufs- und fünf Laienrichtern solle gemeinsam über Schuld und Strafe entscheiden. Das würde dem Schöffengericht in Deutschland ähneln.

Die Laien sollten die Berufsrichter nur bei Freispruch überstimmen können. Ein Schuldspruch jedoch müsse, sagte Ministerin Bandion-Ortner, von Laien und Richter gemeinsam gefällt werden.

© SZ vom 21./22. März 2009/odg - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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