Frankreich:Umstrittenes Comeback

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In Frankreich protestieren Feministinnen gegen die Auftritte des Musikers Bertrand Cantat. Er hatte 2003 seine Freundin erschlagen. Er selbst wehrt sich.

Von Nadia Pantel, Paris

Als im vergangenen Winter weltweit über Frauen, Männer, Macht und Missbrauch diskutiert wurde, machten Französinnen mit einem Zwischenruf von sich reden. Männer hätten "das Recht, lästig zu sein", forderten die Schauspielerin Catherine Deneuve und 98 weitere Unterzeichnerinnen eines offenen Briefs. Dabei ging unter, dass Frankreich keinen Harvey Weinstein braucht, um über Sexismus und Gewalt in Kunst und Kultur zu streiten.

Frankreich hat Bertrand Cantat. Der 54-jährige Sänger wurde in den 90er-Jahren mit seiner Band Noir Désir berühmt. 2002 kam er mit der Schauspielerin Marie Trintignant zusammen, aus der nationalen Liebesgeschichte wurde ein nationales Drama. 2003 schlug Cantat Trintignant aus Eifersucht so heftig ins Gesicht, dass sie ins Koma fiel und schließlich starb. Cantat wurde wegen Totschlags zu acht Jahren Haft verurteilt.

15 Jahre später ist er zum Symbol von Gewalt gegen Frauen geworden. Vor ein paar Tagen verkündeten die Betreiber der legendären Pariser Konzerthalle "L'Olympia", dass seine für Ende Mai geplanten Auftritte nicht stattfinden, wegen der zu erwartenden "Störung der öffentlichen Ordnung". Cantat tourt seit März durch Frankreich, vor jedem seiner Konzerte demonstrieren Frauen. So massiv, dass er seine Teilnahme an allen Sommerfestivals abgesagt hat.

Sind Frankreichs Feministinnen also unfähig zu vergeben?

Auf den ersten Blick ist es nur eine Frage des Timings, die die Fälle Weinstein und Cantat verknüpft. Am 5. Oktober veröffentlichte die New York Times die ersten Vorwürfe gegen Weinstein. Sechs Tage später begann Cantat einen enormen Werbefeldzug für sein neues Album. Kein idealer Zeitpunkt für einen Mann, der seine Partnerin erschlagen hat, um sich neu zu erfinden. Tatsächlich sind die Fälle Cantat und Weinstein sehr unterschiedlich. Es handelt sich bei Cantat nicht um lange vertuschte Skandale, sondern um eine einzelne Tat, ein Urteil und eine verbüßte Strafe. Zudem spricht Cantat immer wieder darüber, wie sehr er seine Schläge bereut. Als er von Trintignants Tod erfuhr, versuchte er, sich das Leben zu nehmen.

Sind Frankreichs Feministinnen also unfähig zu vergeben? Wenn man sich anschaut, wie Cantat sein Comeback plante, wirken eher sein Management und der Musikjournalismus unfähig.

Die französische Popkulturzeitschrift Les Inrocks würdigt Cantats neues Album, indem sie den Sänger am 11. Oktober 2017 auf ihr Cover hebt. Mit verträumtem Blick und wuscheligem Haar sinniert er darüber, wie "die Schönheit langsam wieder einen kleinen Platz in seinem Leben" findet. Seitenlang wird der Sänger als Trauernder, nicht als Täter porträtiert. Neben das Foto hat die Zeitschrift eine Gratis-CD geklebt. Darauf ist unter anderem der neueste Song des Rappers Orelsan, dessen mit bekannteste Songzeile lautet: "Halt die Fresse, oder du wirst marie-trintigniert." In einem anderen Song, von 2009, führt er minutenlang aus, wie er eine Frau misshandelt. Zu den mit Abstand harmlosesten Passagen gehört die, in der er beschreibt, wie er die Frau an eine Heizung fesselt und ihr Cantat-Lieder vorsingt.

Die Frauenzeitschrift Elle reagierte auf das Cover von Les Inrocks, indem sie ihre folgende Ausgabe Marie Trintignant widmet. Und den "123 namenlosen Frauen, die vergangenes Jahr von ihren Partnern getötet wurden, den Frauen, die belästigt und angegriffen wurden und die im Jahr 2016 216 000 Anzeigen erstattet haben".

Die Proteste gegen den Vater ihrer Enkelkinder nennt sie "skandalös

Dass Cantat zum Feindbild französischer Feministinnen wurde, liegt nicht nur am Tod Trintignants, sondern auch am Selbstmord seiner Ehefrau Krisztina Rády 2010. Cantat hatte Rády und die gemeinsamen Kinder für Trintignant verlassen und kehrte nach seiner Haft zu ihr zurück. Nach Rádys Tod sagten ihre Eltern, dass Cantat seine Frau wiederholt geschlagen habe. Dieselben Vorwürfe erhoben 2013 Journalisten, die Anrufbeantworter-Nachrichten von Rády abhören konnten.

Doch während die Mutter von Trintignant, Nadine Trintignant, Cantats Comeback "beschämend, unanständig und abscheulich" nannte und fragte, ob alle vergessen hätten, dass er ihrer Tochter 23 Mal ins Gesicht schlug, verteidigte die Mutter von Rády den Sänger. Er sei "ein Mann, vor allen Dingen ein Künstler", sagte Csilla Rády dem TV-Sender BFMTV. Die Proteste gegen den Vater ihrer Enkelkinder nennt sie "skandalös, ja fast schon kriminell".

Er selbst regt sich seit Monaten auf Facebook über seine Gegner auf. Mal schreibt er, er sei das Opfer von "Zensur". Mal fordert er "das Recht auf Rehabilitierung, wie jeder andere Bürger auch". Er habe "keine Privilegien genossen". Cantat wurde 2007, nach drei Jahren im Gefängnis, wegen guter Führung vorzeitig aus der Haft entlassen. Seit 2010 gibt er wieder Konzerte. Noch aus dem Gefängnis heraus konnte er an der Veröffentlichung einer DVD seiner Live-Auftritte arbeiten. Neben seiner Musik-Karriere ist er als Schauspieler erfolgreich und hat eine Kneipe eröffnet. Und für die abgesagten Konzerte im "Olympia" fand sich Ersatz: Cantat wird im Juni im Pariser "Zénith" auftreten.

© SZ vom 08.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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