Folgen der Fluten:Wie das Hochwasser die Bahn behindert

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Dresden: Abgestellte Züge stabilisieren die vom Hochwasser der Elbe umspülte Brücke (Foto: dpa)

13.000 behinderte Zugfahrten, 1000 Zugausfälle: Das Hochwasser ist auch für die Deutsche Bahn ein gewaltiges Problem. Bahnchef Grube reist nach Wittenberge, um seinen Mitarbeitern und den Helfern zu danken. Ausgestanden aber sind die Folgen der Fluten noch lange nicht.

Von Melanie Staudinger, Wittenberge

Die fünf Dieselloks, die Bahnchef Rüdiger Grube da gerade auf einem Foto zeigt, wirken verloren. Sie stehen auf der Marienbrücke in Dresden, unter ihnen zieht das Hochwasser vorbei. Doch die Deutsche Bahn hat ihre schwersten Fahrzeuge, noch aus DDR-Zeiten, absichtlich dort abgestellt. Sie sollten die Brücke stabilisieren und damit vermeiden, dass sie unterspült wird. Es gelang.

So glimpflich ging es nicht überall aus für den Konzern. Die Mitarbeiter zählten seit Beginn der Überflutungen Anfang Juni insgesamt 200.000 Verspätungsminuten. 13.000 Zugfahrten waren behindert, 1000 Züge konnten gar nicht fahren, 5000 nur Teilstrecken.

"70 Prozent aller Verbindungen sind noch pünktlich"

Am Freitag sitzt Grube im Zug nach Wittenberge in Brandenburg. Er fährt pünktlich am Hauptbahnhof Berlin ab. "70 Prozent aller Verbindungen sind trotz der angespannten Lage noch pünktlich", sagt er. Doch er hat Fotos dabei - von den Dieselloks an der Marienbrücke, von der unterspülten Strecke in Prien am Chiemsee, von einem komplett gefluteten Bahnsteigzugang im Oberen Elbtal, vom Bahnhofsvorplatz in Pirna, aus dem ein See geworden ist.

Die Bahn hat eine Karte aller Behinderungen erstellt. Klicken Sie ins Bild, um Sie ganz zu sehen. (Foto: Deutsche Bahn)

Einen Überblick über die Schäden hat Grube noch nicht. Was er mit den Bildern sagen wollte: Es geht nicht nur um Gleise und Bahndämme, sondern auch um Gebäude, die Leit- und Sicherheitstechnik, und natürlich um Umsatzausfälle. 2002 kostete ihn die Flut mehr als 900 Millionen Euro - und auch dieses Mal rechnet der Bahnchef mit "Zahlen im dreistelligen Millionenbereich", die der Konzern, Versicherungen und der Bund aufbringen müssten.

Gesperrte und einseitig befahrbare Strecken

Viel ärgerlicher für die Fahrgäste momentan sind die andauernden Probleme. Viele Strecken sind gesperrt, nur einseitig befahrbar oder mit einer Geschwindigkeitsbegrenzung versehen.

  • Wegen eines Dammrutsches fahren schon seit Anfang Juni keine Züge mehr zwischen Altenburg und Paditz (Thüringen).
  • Seit fast einer Woche steht der Verkehr zwischen Schönebeck und Magdeburg still. Immerhin ist die Strecke zwischen Magdeburg und Biederritz einseitig wieder befahrbar.
  • Zwischen Stendal und Tangerhütte in Sachsen-Anhalt geht seit Sonntag nichts mehr.
  • Die Strecke zwischen Schönhausen und Staffelde ist seit Montag gesperrt (ebenfalls Sachsen-Anhalt), die Schienen sind auf einer Länge von fünf Kilometern überflutet und die Elbbrücke ist nicht zu benutzen.
  • Zwischen Bautzen und Löbau (Sachsen) ist der Verkehr noch bis Ende nächster Woche unterbrochen.

Große Sorgen bereitet Grube vor allem die Verbindung von Hannover nach Berlin. Bis mindestens 20. Juni sind Direktfahrten dort nicht möglich. Es gibt einen Umleitungsfahrplan. "Danach müssen wir weiter schauen", sagt er. Die Pegel dort stiegen momentan wieder. Und selbst wenn das Wasser abläuft, braucht es mindestens eine Woche, bis Schäden inspiziert und Strecken freigegeben werden.

Dazu braucht die Bahn ihre Mitarbeiter. Und deshalb ist auch Grube am Freitag unterwegs nach Wittenberge, er will ihnen danken für den Einsatz, den sie in den vergangenen Tagen gezeigt haben. Das tut man heute öffentlichkeitswirksam, wie Bundeskanzlerin Angela Merkel oder Bundespräsident Joachim Gauck regelmäßig vormachen. In Wittenberge hat der DB-Konzern ein Instandhaltungswerk mit mehr als 1000 Angestellten - es liegt direkt an der Stepenitz. Als das Wasser sich ankündigte, zögerte keiner. Alle Kollegen - von Chef-Ingenieur bis zum Azubi - füllten Sandsäcke und bauten einen 1,6 Kilometer langen Wall um die Anlage. Sie hielt den Fluten stand.

Rüdiger Grube in Wittenberge: Einen Sandsack hat der Bahnchef selbst gefüllt (Foto: dpa)

Plausch mit den Näherinnen

Grube schüttelt an diesem Vormittag viele Hände, er klettert auf einen Deich, den sie hier Verteidigungslinie getauft haben und schaut auf das Wasser, das immer noch recht nah am Werk vorbei fließt. Grube füllt einen Sandsack (um mal zu sehen, wie schwer der so ist) und quatscht mit den Näherinnen. Er wisse, wie sich so ein Hochwasser anfühle. Nur knapp, so erzählt er öfter, ist er der großen Sturmflut 1962 in Hamburg entkommen. "Das wünscht man keinem", sagt Grube. Etwas Gutes kann er dem drohenden Wasser doch abgewinnen: "Diese Zeit werden Sie nie vergessen. Das schweißt zusammen", erklärt er den Lehrlingen, die mit ihren roten Overalls um ihren Chef herumstehen. Spontan lädt Grube sie auf ein Bier ein, wenn sie mal in Berlin sind und die Lage sich beruhigt hat.

Doch in den kommenden Wochen wird er wohl viel zu tun haben. Erst in 14 Tagen, so vermutet er, werden die gröbsten Schäden im Schienennetz und der Technik behoben sein. Sechs bis acht Wochen aber werde es sicher dauern, bis die Fahrgäste kaum mehr etwas merken - immerhin noch pünktlich zu den beginnenden Schulferien. Doch wenn Grube so an 2002 zurückdenkt, fällt ihm auch noch ein, dass die Deutsche Bahn alles in allem fast acht Jahre brauchte, um alle Zerstörungen durch die erste Jahrhundertflut zu beseitigen.

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