Flugzeugunglück:Das Wunder von Toronto

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Allen 309 Insassen ist die Flucht aus einem brennenden Airbus gelungen, dessen Bruchlandung wohl Wind und Aquaplaning verursachten.

Von Bernadette Calonego und Michael Kläsgen

Vancouver/Paris - In Toronto und Paris herrscht am Tag nach dem glimpflich verlaufenen Flugzeugunglück noch Unklarheit darüber, wie es zu dem Unfall auf dem Pearson-Flughafen in Kanada kommen konnte. Ein vollbesetzter Airbus A340 der Fluggesellschaft Air France war am Dienstagabend um 22.10 Uhr mitteleuropäischer Zeit bei Unwetter über die Piste hinausgerast und schließlich in Flammen aufgegangen.

Alle 297 Passagiere sowie die zwölf Besatzungsmitglieder überlebten, von den 43 leicht Verletzten wurden 22 in umliegende Krankenhäuser gebracht. Der kanadische Transportminister Jean Lapierre sprach nach der minutenschnellen Rettung aller Passagiere von einem "Wunder".

Experten bezeichneten die schnelle Evakuierung der Reisenden als Beweis für die Effizienz des Flugpersonals. Air-France-Chef Jean-Cyril Spinetta, der am Mittwoch nach Toronto reiste, sprach der Crew seinen Respekt aus.

Es war der erste größere Unfall einer Maschine vom Typ Airbus A340. Das Flugzeug sei ohne irgendein technisches Problem in Paris gestartet, sagte Spinetta.

Den Flughafen von Toronto, der wegen schwerer Gewitter geschlossen worden war, hatte Kanadas Flughafenbehörde erst kurz vor der Landung wieder geöffnet.

Klatschende Passagiere nach geglückter Landung

Der Airbus, der seit 1999 in Betrieb war und am 5. Juli das letzte Mal in Paris technisch überholt worden ist, setzte um 16.02 Uhr Ortszeit bei Sturm und Gewitter auf der Landebahn 24 auf. Wegen des Unwetters klatschten Passagiere nach der geglückten Landung sogar.

Doch dann trat Rauch in die Kabine, das Flugzeug bremste nicht, sondern schoss mehr als 200 Meter über die Landebahn Nummer 24 hinaus, glitt auf ein Waldstück nahe einer Autobahn, stürzte in einen Bachgraben, zerbrach und fing Feuer.

Über die Unglücksursache sagte Air-France-Direktor Pierre-Henri Gourgeon auf einer Pressekonferenz in Paris, dass es auf der Piste sehr viel Regenwasser und starke Windböen gegeben habe.

Für wenig wahrscheinlich halte er dagegen wegen des so genannten Faradayschen Käfigs, der Flugzeuge umgibt, dass ein Blitz in eine Tragfläche eingeschlagen habe und das Unglück auslöste. Diese Erklärung war kurz nach dem Unglück als mögliche Ursache angeführt worden.

Auch der kanadische Meteorologe und Pilot Nick Czernkovich glaubt, dass Aquaplaning eine Rolle beim Unglück gespielt hat. Zudem hat es laut Czernkovich bei der Landung auch eine dramatische Änderung in der Windrichtung gegeben. Der Gegenwind wurde zum Rückenwind.

"Flugzeuge landen in der Regel in den Gegenwind hinein", erklärte er dem kanadischen Fernsehen CBC. Rückenwind schiebe die Maschine dagegen "viel schneller den Boden entlang". Experten sprechen in dem Fall von "Scherwinden", die das Flugzeug nach unten drücken.

"Schlimme Achterbahnfahrt"

Das deckt sich mit der Zeugenaussage von Roel Bramer, der in der letzten Reihe des Flugzeugs saß und dem US-Sender CNN sagte: "Der Landeanflug war eine schlimme Achterbahnfahrt."

Beobachter halten es für möglich, dass Informationen über den Windwechsel zu spät für die Piloten des Flugs AF 358 kam. Tatsächlich hatte der Copilot, der am Steuer saß, wegen starker Windböen einen ersten Landeversuch abgebrochen und war wieder durchgestartet.

Als er zum zweiten Landeversuch ansetzte, fiel nach Angaben des Passagiers Bramer in der Maschine das Licht aus. Der Aviatikexperte Joseph de Cruz geht davon aus, dass die Untersuchung einige Zeit dauern und zu dem Ergebnis kommen wird, dass nicht nur ein einziger Faktor, sondern ein Bündel von Ursachen das Unglück auslösten.

Auch de Cruz sagt, dass ein Blitzschlag allein sicher nicht zu einem Unglück dieser Tragweite führe, da die Metallhülle der Maschine und die Gummipneus die Passagiere schützten.

Die Rettung aller Insassen war aber wohl der Geistesgegenwart der Crew zu verdanken, die dafür sorgte, dass alle Passagiere vorschriftsmäßig binnen 90 Sekunden die Maschine über Fenster, Türen und Notrutschen verlassen konnten.

Passagiere berichteten nach der Rettung von kurzfristiger Panik und einer außerordentlich schnellen Rauchentwicklung in der Maschine. "Wären wir auch nur eine Minute länger im Flugzeug geblieben, hätte uns der Erstickungstod gedroht", sagte ein Insasse.

Der Copilot, der anschließend ins Krankenhaus gebracht werden musste, war nach der Katastrophe noch einmal durchs Flugzeug gelaufen, um sich zu vergewissern, dass alle Passagiere von Bord waren.

© SZ vom 4.8.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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