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Acht von 300 Frauen, die ihre Branche umkrempeln wollen: Die US-Schauspielerinnen Rashida Jones, Reese Witherspoon, Emma Stone, Eva Longoria, Kerry Washington, Natalie Portman, America Ferrera und Meryl Streep (v.r.n.l.) zählen zu den Mitgliedern der Initiative Time's Up. (Foto: dpa, Getty, AFP, dpa, Getty, AFP, imago, dpa)

300 prominente Frauen starten einen organisierten Widerstand gegen sexuelle Belästigung in Hollywood. 13 Millionen Dollar stehen bereit, die auch Menschen jenseits des Rampenlichts helfen sollen.

Von Kathrin Werner

Liebe Schwestern", steht in großen schwarzen Buchstaben am Anfang des Briefs mitten auf der Seite 7 der New York Times. Was folgt ist ein Text voller Ungeduld, voller Überdruss, voller Tatendrang. Und darunter die Namen der prominentesten Frauen der Filmbranche. 300 Schauspielerinnen, Produzentinnen, Agentinnen, Drehbuchschreiberinnen, Studio-Managerinnen und Anwältinnen haben sich zusammengetan, um für neue Gesetze gegen Diskriminierung und für Gleichberechtigung im frauenfeindlichen Hollywood zu protestieren. Mit dabei die Schauspielerinnen Eva Longoria, Natalie Portman, Emma Stone, Kerry Washington und Reese Witherspoon, die Produzentin Shonda Rhimes und die Aufsichtsratschefin von Universal Pictures, Donna Langley.

Es soll nicht allein um die berühmte Besetzungscouch gehen

Time's Up haben sie ihre Gruppe getauft - übersetzt heißt das "Die Zeit ist abgelaufen". Nach Jahren des Schweigens haben die "Me Too"-Enthüllungen über sexuelle Übergriffe unter anderem durch den Produzenten Harvey Weinstein, den Schauspieler Kevin Spacey und den Pixar-Filmstudio-Gründer John Lasseter an die Öffentlichkeit gebracht, was die Frauen in Hollywood längst wussten: Belästigung und Diskriminierung, manchmal Schlimmeres, gehören zum Alltag der Branche.

Nun wollen sie, so heißt es in dem Brief, nicht länger jedes Mal, wenn ein weiteres Opfer seine Geschichte erzählt, Mitgefühl und Solidarität aussprechen und zusehen, wie das Thema verpufft. Sie wollen ihre Gegenwehr institutionalisieren.

Sexuelle Belästigung habe System in Hollywood, ebenso die Benachteiligung von Frauen in der Branche, also müsse der Protest ebenfalls systematisch sein, schreiben sie. Die Initiative startete mit ganzseitigen Anzeigen in der New York Times und in der spanischsprachigen La Opinion am ersten Tag des neuen Jahres. Die Anzeige bestand aus dem offenen Brief. "Der Kampf der Frauen, dabei zu sein, in den Hierarchien aufzusteigen und gehört und anerkannt zu werden in männerdominierten Arbeitsbereichen, muss enden. Die Zeit für dieses undurchdringbare Monopol ist abgelaufen", heißt es darin. "Von Filmsets bis zu Feldern und Aufsichtsräten - wir malen uns eine Führungsriege aus, die die Welt widerspiegelt, in der wir leben."

Die erste Idee zu der Initiative entstand im Oktober, als sich Agentinnen in Los Angeles trafen, um über die "Me Too"-Fälle zu diskutieren. Die Gruppe wuchs schnell und begann mit Treffen und Workshops in New York und London. Time's Up soll dezentral sein und aus mehreren Untergruppen bestehen, die sich jeweils mit einzelnen Problemen befassen, wie dem Mangel an nicht-weißen Menschen und anderen Minderheiten in den Führungspositionen in Hollywood. Die Frauen wollen eng mit anderen Gruppen zusammenarbeiten, darunter mit der Initiative "50/50 by 2020", die dafür kämpft, dass im Jahr 2020 die Hälfte aller Aufsichtsräte und Entscheider in Hollywood-Unternehmen Frauen sind. Derzeit sind es in den Aufsichtsräten der Hollywood-Studios 19 Prozent. Erste Institutionen wie die Agentur ICM Partners haben sich auf Druck der Gruppe bereits dazu verpflichtet.

Inspiration war der offene Brief, den 700 000 Landarbeiterinnen kürzlich veröffentlicht hatten

Neben den Plänen für ihre eigene Industrie hat Time's Up einen 13 Millionen Dollar schweren Fonds geschaffen, dessen Geld Frauen mit schlecht bezahlten Jobs nutzen können, wenn sie sich vor Gericht gegen Belästigung wehren wollen. Den Initiatorinnen ist es nach eigenen Angaben wichtig, dass sich die Aufmerksamkeit nicht allein auf die berühmte Besetzungscouch konzentriert, sondern dass auch weniger privilegierte Opfer eine Chance bekommen. Oft fehlen jenen Frauen die Mittel, sich zur Wehr zu setzen. Das Geld für den Fonds stammt von Spenden, unter anderem von Reese Witherspoon, Meryl Streep oder Regisseur Steven Spielberg.

Auf die Idee, die Initiative auszuweiten, kamen die Hollywood-Frauen, nachdem 700 000 Arbeiterinnen in landwirtschaftlichen Betrieben einen offenen Brief geschrieben und ihre Solidarität mit den prominenten Opfern bekundet hatten. Der Brief aus Hollywood ist vor allem eine Antwort darauf: "Wir sehen euch, wir danken euch und wir erkennen das schwere Gewicht an, das unsere gemeinsame Erfahrung uns auferlegt, gejagt und belästigt und ausgenutzt zu werden von Leuten, die ihre Macht missbrauchen und unsere körperliche und finanzielle Sicherheit bedrohen." Auch die Tatsache, dass ein offener Brief von 700 000 Arbeiterinnen in Europa kaum wahrgenommen wurde, ist Teil des Problems.

In den vergangenen Wochen war immer wieder Kritik laut geworden, dass fast ausschließlich Fälle aus der Medien- und Unterhaltungsbranche an die Öffentlichkeit gelangt sind und sich aus Mangel an Prominenz niemand für die Geschichten etwa von Landarbeiterinnen, Putzhilfen und Hotelangestellten interessiere. Dagegen wollen die Time's-up-Frauen mit ihren Millionen ankämpfen. "Wenn diese Gruppe Frauen nicht für ein neues System für Frauen kämpfen kann, die nicht so viel Macht und Privilegien haben, wer kann das dann?", fragte die Produzentin Shonda Rhimes in der New York Times.

Ziel von Time's Up sei auch, dass sich Gesetze ändern. Man wolle erreichen, dass es Konsequenzen für Unternehmen gibt, die nichts gegen Belästigung tun. Außerdem sollen Geheimhaltungsklauseln verboten werden, mit denen Frauen in ihren Arbeitsverträgen zum Schweigen verpflichtet werden. Als Zeichen des Protests wollen die Frauen bei der Verleihung der Film- und Fernsehpreise Golden Globes am kommenden Sonntag ganz in Schwarz auf dem roten Teppich erscheinen. "Über Jahre hinweg haben wir dafür gesorgt, dass sich diese Preisverleihungsshows verkaufen, mit unseren Roben und Farben und unseren schönen Gesichtern und unserem Glamour", sagte Eva Longoria. "Nun kann die Industrie nicht mehr verlangen, dass wir aufstehen und Pirouetten drehen."

© SZ vom 03.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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