Fall Kassandra:Faserspuren an ungewöhnlicher Stelle

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Im Fall der in einen Gully geworfenen Kassandra verdichten sich die Indizien gegen einen Förderschüler. Nun prüft die Staatsanwaltschaft, ob er überhaupt zu belangen wäre.

Im Fall Kassandra sieht die Polizei den Tatverdacht gegen den 14-Jährigen durch die Art der Faserspuren erhärtet. Die Neunjährige war brutal misshandelt und in einen Gully-Schacht geworfen worden. "Die Fundstellen deuten nicht auf einen normalen Kontakt hin", sagte nun ein Polizeisprecher.

An Kassandras blutbefleckter Jacke waren Fasern entdeckt worden, die mit der Kleidung des verhaltensgestörten Schülers übereinstimmen. Die Fasern fanden sich auch an einem nicht näher beschriebenen "Tatmittel". Beides sei in Tatortnähe in Velbert bei Essen "sehr gut versteckt" gewesen.

Der Jugendliche, der von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch macht, steht unter dem dringenden Tatverdacht, das neunjährige Mädchen aus Velbert (Nordrhein-Westfalen) am 14. September zunächst brutal geschlagen und dann in einen Kanalschacht geworfen zu haben. Der Schacht war anschließend vom Täter mit einem Gullydeckel verschlossen und womöglich zusätzlich mit Steinen beschwert worden.

"Das ist purer Unsinn"

Ein derartiger Stein könnte auch das Tatwerkzeug' sein, dass die Ermittler mit Verweis auf "Täterwissen" nicht näher benennen wollen. Medienberichte, wonach die kleine Kassandra regelrecht "gesteinigt" worden sein könnte, wies Polizeisprecher Frank Sobotta auf Anfrage aber zurück: "Wenn es um eine Steinigung geht, wie wir sie aus der Bibel oder dem arabischen Raum kennen, ist das purer Unsinn."

Die Ermittler hoffen weiterhin auf neue Testergebnisse des Düsseldorfer Landeskriminalamts, das derzeit intensiv nach DNS-Spuren fahndet. "Aber es ist halt nicht wie bei CSI Miami, wo man auf Knopfdruck ein Ergebnis hat", so ein Ermittler. "Das wird sehr gewissenhaft gemacht und dauert eben."

Derweil prüft die Staatsanwaltschaft Wuppertal, inwieweit der 14-Jährige überhaupt strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen wäre. Zwar ist nach deutschem Recht ein Mensch nach Vollendung des 14. Lebensjahres grundsätzlich strafmündig, doch aufgrund einer "Reife- und Entwicklungsverzögerung"' könnte es sein, dass eine "strafrechtliche Verantwortlichkeit nicht gegeben wäre"', sagte Staatsanwalt Rüdiger Ihl der Süddeutschen Zeitung.

Aufschluss darüber, ob bei dem 14-Jährigen, der als verhaltensauffällig gilt und eine Förderschule besucht, eine derartige Entwicklungsstörung vorliegt, soll ein psychiatrisches Gutachten geben. Staatsanwalt Ihl will "noch in dieser Woche" einen entsprechend auf Kinder und Jugendliche spezialisierten Gutachter bestimmen. Mit der Expertise, zu der neben der Auswertung der Ermittlungsakten auch die Befragung des Tatverdächtigen gehört, rechnet die Staatsanwaltschaft dann nach weiteren "vier bis sechs Wochen".

Das Motiv des Jugendlichen ist unterdessen weiter unklar. Bevor er erneut vernommen werde, erhalte zunächst der Rechtsanwalt des Jugendlichen Akteneinsicht. Anwohner zeigten sich am Montag trotz der Festnahme verunsichert. Weil die Polizei auch noch andere Spuren verfolgt, machte das Gerücht von einem erwachsenen Mittäter die Runde.

"Es gibt keine Hinweise auf einen Komplizen. Der 14-Jährige ist am Tatort immer nur alleine gesehen worden", sagte dagegen der Polizeisprecher. Klarheit könnte Kassandras Aussage bringen. Ob und wann sie sich zu dem grausamen Geschehen äußern kann, ist aber weiter unklar. Der Genesungsprozess solle auf keinen Fall durch eine zu frühe Befragung gefährdet werden, hieß es.

Abgeklärt und "völlig gefühllos"

Der 14-jährige Tatverdächtige wirke abgeklärt und "völlig gefühllos", hatten die Ermittler berichtet. Tatverdächtiger und Opfer hatten sich gekannt. Spuren eines Sexualverbrechens wurden nicht gefunden.

Neben den Faserspuren deuten auch Zeugenaussagen auf den Jugendlichen hin. Er sei zur Tatzeit in Tatortnähe gesehen worden und habe mit einem Fahrrad fluchtartig das Gelände verlassen, auf dem Kassandra Stunden später von einem Spürhund gefunden wurde, hatten die Ermittler berichtet.

Der Förderschüler hatte Hausverbot in dem Spieltreff, aus dem Kassandra verschwunden war. Eltern hatten sich beschwert, dass der Jugendliche die kleineren Kinder ärgere und provoziere. Gegen den 14-Jährigen war schon früher wegen Beleidigung und Sachbeschädigung ermittelt worden. Die Verfahren wurden aber eingestellt.

Schüler und Betreuer in Velbert-Neviges berichten, dass sich der Verdächtige häufiger mit anderen Kindern geprügelt habe. "Er war immer sehr unruhig. Er hat viel gelogen", sagt Daniel Koge, Zivildienstleistender im Jugendtreff, über den Verdächtigen. Gegen den verhaltensauffälligen 14-Jährigen wird in einem weiteren Fall wegen Körperverletzung ermittelt.

© SZ/Dirk Graalmann/dpa/afis - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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