Fall Flick: Raub der Leiche:Ruhe nicht in Frieden

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Der Raub der Flick-Leiche hat viele Vorbilder - von Charlie Chaplin bis Eva Peron. Oft wollen Gangster mit den Toten Geld erpressen, ohne Lebenden zu schaden.

Hans Leyendecker

Es war eine Szene wie aus einer Filmsatire: Am 2. März 1978 stahlen sich in der Nacht zwei arme Schlucker, denen im Leben nur selten etwas gelungen war, auf den Friedhof von Corsier-sur-Vevey, hoch über dem Genfersee. Ihr Ziel: das Grab eines Prominenten.

Friedrich Karl Flicks Leiche wurde geraubt. (Foto: Foto: dpa)

Heimlich öffneten sie die letzte Ruhestätte des berühmtesten Bewohners des kleinen Gottesackers - und raubten den Leichnam von Charles Spencer Chaplin, der als Charlie Chaplin eine Legende geworden ist. Es war ein frisches Grab: Erst zwei Monate zuvor war der Komiker, der ein Vierteljahrhundert an der Goldküste der Schweiz gelebt hatte, begraben worden.

27 Mal telephonierten die Entführer mit Chaplines Tochter Geraldine, einer Schauspielerin ("Jenseits der Erinnerung"), um Lösegeld zu erpressen. Sie wollten ihr verheerende finanzielle Situation aufbessern, ohne dabei einer lebenden Person Schmerzen zuzufügen. Am Ende wurden die beiden trostlosen Typen verhaftet und Chaplin fand endlich die Ruhe, die ewig dauern soll.

Den tragikkomischen Fall hat vor gut einem Jahrzehnt der Filmemacher Jörn Hintzer tatsächlich für einen Film verwendet, er hat ihn semidokumentarisch fürs Fernsehen nacherzählt ("Chaplins letzte Reise"). Er habe die Geschichte in einem Chaplin-Seminar gehört, erzählte Hintzer der Süddeutschen Zeitung , und "gleich gedacht, da müsste man einen Film draus machen. Aber mit dokumentarischem Rahmen, weil es einem sonst keiner glaubt."

Dass die Überreste des Milliardärs Friedrich Karl Flick, der im Leben den totalen Schutz suchte, eines Tages aus seinem Mausoleum im österreichischen Velden am Wörthersee verschwinden könnten, hätte wohl bis vor kurzem auch niemand für möglich gehalten. Aber es ist passiert.

Die postume Entführung des sehr reichen Mannes könnte milieugemäß den Stoff für einen richtigen Tatort liefern. Noch ist unklar, ob die Frevler Lösegeld fordern werden. Die Ermittler in Kärnten ermitteln, wie sie beteuern, mit Hochdruck und verweisen in diesem Zusammenhang auf den Umstand, dass sie sogar einen Hubschrauber eingesetzt hätten. Ob ihnen der Helikopter einen besseren Überblick verschaffen wird, steht dahin.

Charlie Chaplins Leiche wurde schon geraubt. (Foto: Foto: Sat. 1)

Grabräuberei gibt es seit den frühen Tagen der Menschheit und die pietätlose Tat ist manchmal ein Schrecken für die Angehörigen, manchmal reagieren sie aber auch erstaunlich gelassen. Gelegentlich verstecken Gefolgsleute die teuren Toten vor den Frevlern.

Die Getreuen des großen französischen Denkers Charles de Seconcat, Baron de Montesquieu etwa brachten während der Französischen Revolution die Gebeine des demokratischen Lehrmeisters in die Katakomben von Paris, um sie vor den Jakobinern zu schützen. Als Montesquieu später ruhmvoll in die Gedächtnisstätte Pantheon überführt werden sollte, waren die Überreste allerdings verschwunden.

Für die ewige Ruhe braucht es manchmal eine Weile: Die Leiche des Diktators Benito Mussolini etwa gelangte erst nach einem Irrweg ans Ziel. Auch die sterbliche Hülle der Evita Peron blieb nicht ungestört.

Immer wieder versuchten und versuchen Gangster, mit geraubten Toten Geld zu machen. Dabei kommt es gelegentlich sogar zu kuriosen Verwechslungen. In der argentinischen Stadt Gualeguay beispielsweise drangen Grabräuber in eine Gruft ein, in der zwei Särge standen. Sie wollten den Sohn eines berühmten Unternehmers stehlen, nahmen aber stattdessen den Leichnam des Vaters mit. Die Verwirrung war komplett. Keinen Peso bekamen die Räuber für den Vater.

Im März 2001 verschwand aus dem Friedhof von Meina am Laggo Maggiore der Sarg des ehemaligen Bankiers Enrico Cuccia, der im Alter von 92 Jahren verstorben war. Die Haushälterin hatte Alarm ausgelöst, nachdem sie festgestellt hatte, dass die Sargplatte einen Riss aufwies. Cuccia, der als sehr sparsam bekannt war, hätte für eine Leiche - nicht einmal für die eigene - niemals eine Lira ausgegeben. Das Durcheinander nach seinem postumen Verschwinden war entsprechend.

Die genervten Grabräuber schickten einen Erpresserbrief an einen falschen Cuccia, riefen dann bei der Bank an und wurden kurz darauf festgenommen. Den Alten hatten sie im Heu versteckt. Schlagzeilen machte im Cuccia-Fall ein verwirrter Spekulant. Er versprach die Rückgabe der Leiche, wenn der Börsenindex wieder tüchtig klettere. Das tat der Index auch damals schon nicht und der Spekulant, der keine Leiche vorzuweisen hatte, war mit seinem Leerverkauf gescheitert.

In Großbritannien gab vor ein paar Jahren die Dynastie der Meerschweinchen-Züchter Christopher und John Hall entnervt auf, nachdem militante Tierschützer die gestohlene Leiche der Schwiegermutter partout nicht herausrücken wollten. Die Grabschändung habe die Familie traumatisiert, erklärte damals ein Anwalt: "Sie werden verrückt vor Kummer."

Die Farm wurde in einen Bauernhof umgewandelt. Die Gebeine der Schwiegermutter, die zu Lebzeiten als besonders tierlieb gegolten hatte, konnten endlich wieder heim in ihre Grablege.

Was die Entführer der Flick-Leiche fordern, ist noch unklar. Möglich wäre also auch ein steigender Börsenkurs.

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