Erol Sander ist Winnetou:Freundschaft und Friedenspfeife

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An Samstag tritt der Schauspieler Erol Sander bei den Karl-May-Festspielen seinen Dienst als Winnetou an. Ein Besuch in Bad Segeberg.

Tanja Rest

Von ihrem Ausguck auf dem Kalkbergfelsen können die Eheleute Kalisch aus Tarmstedt bei Bremen ein Fünftel der Festspielbühne überblicken, und in diesem Fünftel hält sich Stunden vor Probenbeginn bereits das Zielobjekt auf - was bedeuten muss, dass es der große Manitou gut mit ihnen meint.

"Da isser", sagt Ursula Kalisch. "Telefoniert", sagt Peter Kalisch. Glückliche Gesichter. Innerhalb eines Monats sind sie zum vierten Mal von Tarmstedt nach Bad Segeberg gefahren, um oben auf dem Felsen auszuharren. Weil sie Karl-May-Fans sind? Nicht ganz. "Eher wegen ihm", sagt Ursula Kalisch, 58. "Ein toller Schauspieler", sagt ihr Mann. "Man guckt nicht weg", sagt Ursula Kalisch. Dann schießt Peter Kalisch mit dem 500er Objektiv ein paar tadellose Paparazzo-Fotos.

Der große Manitou meint es auch gut mit Erol Sander. Es sind zu diesem Zeitpunkt nur noch 72 Stunden bis zu dem, was Frau Kalisch sehr richtig "die Wachablösung" nennt. Vier Jahre Pierre Brice, 1988 bis 1991. Dann fünfzehn Jahre Gojko Mitic, auch "der Ost-Winnetou" genannt. Bei seiner jeweils letzten Vorstellung brachte es Winnetou auf 61 beziehungsweise 66 Lebensjahre und musste sich mit Recht eine alte Rothaut nennen lassen.

In diesem Festspielsommer haben die Bad Segeberger Plakatmaler keine Krähenfüße glätten und Stirnfalten wegflunkern müssen: Das Motiv zeigt den Edelsten der Apachen in der Blüte seiner Jahre, mit stetem Adlerauge und wehendem Schopf, in der Hand die Silberbüchse und am Leib die Hirschlederkluft, die seit 1962 wie das Kostüm aus den Harald-Reinl-Filmen auszusehen hat. Erol Sander ist 38. Das sind zwar streng genommen immer noch ein paar Jährchen zu viel, da Karl May zufolge der echte Winnetou im Alter von 32 Sommern in die ewigen Jagdgründe ging. Aber für einen Generationswechsel wird es an diesem Samstag bei der Premiere von "Winnetou I" schon reichen.

282.000 Besucher hatten sie bei den Karl-May-Spielen in der vergangenen Saison, trotz Fußball-WM. Und da soll nochmal einer sagen, dass Winnetou mit seiner biederen Botschaft von Freundschaft und Friedenspfeife in einer Zeit von X-Box, "Deutschland sucht den Superstar" und "Stirb langsam 4.0" nichts mehr zu suchen hat. Auch in diesem Jahr ist der Vorverkauf gut angelaufen; die, die das Winnetou-Vermächtnis einmal von ihren Eltern empfangen haben, bringen längst den eigenen Nachwuchs mit. "Shi intá ni intá, shi itchi ni itchi" - mein Auge ist dein Auge, mein Herz ist dein Herz, so ist das mit Deutschland und seinem Apachenhäuptling, immer noch.

Der Apache und die Liebe

Winnetou, sagt Stunden später Erol Sander, das sei natürlich eine Aufgabe, davor habe er Respekt, einen Riesenrespekt sogar. Er sitzt im gewaltigen Halbrund des Kalkbergtheaters, blinzelt unterm Strohhut in die Sonne, und wenn man sich den Auftritt des Titelhelden bei Karl May noch einmal in Erinnerung ruft - "sein Gesicht war noch edler als dasjenige seines Vaters und die Farbe desselben ein mattes Hellbraun mit einem leisen Bronzehauch" - dann muss man erstmal nüchtern sagen: Das haut hin.

Erol Sander, in Istanbul geboren, in München aufgewachsen, heißt eigentlich Urcun Salihoglu - sein Künstlername ist eine Kreuzung aus Errol Flynn und Jil Sander, was auf gesunden Ehrgeiz schließen lässt. Den Durchbruch im deutschen Fernsehen schaffte er als türkischer Kommissar "Sinan Toprak"; in den sieben Jahren seither hat er in beinahe 50 Filmen beinahe immer Hauptrollen gespielt, Filme mit Titeln wie "Die Liebe eines Priesters", "Wen die Liebe trifft", "Liebe hat Flügel" oder auch "Im Himmel schreibt man Liebe anders".

Als Winnetou wird Sander also Neuland betreten, denn was den Apachen und die Liebe angeht, so weiß der deutsche Fernsehzuschauer, dass es in seinem Leben nur drei Frauen gegeben hat, Nscho-tschi, Ribanna und Apanatschi, und keine blieb ihm lang erhalten.

Davon abgesehen ist der neue Winnetou ein exzellenter Reiter und formuliert so nette und wohlerzogene Sätze, dass es fast schon wieder langweilig ist. Das Kriegerischste an ihm ist in diesem Augenblick das Pflaster auf seiner Wange. "Und hier" - mit einem Anflug von Stolz, das Haar auseinander kämmend - "musste die Kopfhaut genäht werden. Stammt immerhin von einem Adler."

Es gibt in diesem "Winnetou I" einen bildschönen Weißkopfseeadler namens Hera, der ein paar Runden überm Pueblo kreisen darf. Hera ist am Vortag in Sanders Gesicht gelandet. Und da kann er noch so betonen, dass er hier auch Charakterdarsteller ist, dass er seinen Winnetou als jungen Heißsporn anlegt, der sich im Lauf des Stücks zum Mann des Friedens wandelt: Ein Chef-Apache in Bad Segeberg muss vor allem fit sein, und den Schmerz, den darf er natürlich auch nicht kennen.

Ein leibhaftiges Pferd zum Geschenk

Sechs Stunden täglich Proben, dazu zwei Stunden Reittraining, zwei Stunden Stunt-Koordination - Faustkampf, Speerkampf, Kampf mit dem Tomahawk. Mitunter auch Nahkampf mit Adler. "Und zwar ohne dass man eine missglückte Szene wiederholen kann."

Sander hat in seinem Leben noch nie auf einer Bühne gestanden, in Bad Segeberg wird er es nun auf Anhieb auf 8000 Zuschauer bringen. "Es ist eine Herausforderung, die mal fällig war", sagt er. Und außerdem: "Das hier ist einfach ein riesiger Sandkasten, nur mit echten Pferden und sehr lauten Knallkörpern. Was will man mehr?" Er schaut lächelnd zum Kalkberg hinauf, wo auf der Aussichtsplattform ganz klein zwei Gestalten stehen. Erol Sander lächelt mitten in Peter Kalischs 500er-Objektiv hinein.

Das Glück des ÖlprinzenDer "Sandkasten" im stillgelegten Kalkbruch von Bad Segeberg ist in den dreißiger Jahren von den Nazis errichtet worden; am 10. Oktober 1937 weihte Joseph Goebbels das Theater als "Thingplatz der Nordmark" ein. Die Karl-May-Spiele begannen dann im Jahr 1952, mit Hans-Jürgen Stumpf als erstem von bisher zwölf Winnetous. Nachdem die Zuschauerzahlen in den Siebzigern in den Keller gerutscht waren, ging der Festspielbetrieb 1980 in die Hände der Kalkberg GmbH über.

Der fiel es nicht nur ein, dem hunderttausendsten Besucher einer jeden Spielzeit ein leibhaftiges Pferd zu schenken (das bis heute allerdings nur drei Leute angenommen haben, der Rest machte sich mit dem Geld aus dem Staub), man verpflichtete auch zugkräftige Namen. Elke Sommer, Ralf Wolter, Freddy Quinn, Ingrid Steeger und Christopher Barker, der Sohn von Lex, sind am Kalkberg aufgetreten; Mathieu Carrière, 2000 als "Ölprinz" im Einsatz, sprach später vom größten Glücksgefühl seines beruflichen Lebens.

Fransenfledermaus und Schließmundschnecke

Den Publikumsrekord aber hält kein Geringerer als der Original-Apache: 1991 sahen 317.000 Zuschauer Pierre Brice in "Winnetou - Das Vermächtnis". Selige Zeiten waren das, in denen auch der Kalkberg selbst noch bespielt werden durfte. Mittlerweile musste die Bühne ein Stück nach vorn verlegt werden, damit bei einem Schuss aus dem Henrystutzen die drinnen im Berg schlummernde Fransenfledermaus nicht von der Decke plumpst. Auch das Abseilen aus 91 Meter ist passé - ein unachtsam platzierter Mokassin könnte der zweizähnigen Schließmundschnecke den Garaus machen.

Das ist aber alles Nebensache, als um 19.30 Uhr Regisseur Norbert Schultze den Komplettdurchlauf für 80 Cowboys und Indianer und 25 Mustangs einläutet. Vor "Sir Henry's Gun Store" legen die Westmänner die Handys weg, im Pueblo der Mescaleros richten die Squaws ein letztes Mal die Zöpfe; den schäumenden Rio Pecos muss man sich dazudenken.

Dann weht Martin Böttchers Schmachtmelodie durch die Arena und Aufgalopp Winnetou auf Iltschi im vollem Ornat, eine dynamische Ehrenrunde durch die Zuschauerränge - los geht es. Sam Hawkens fuchtelt mit der Liddy, Santer intrigriert in Schurkenschwarz aus dem Hinterhalt, Nscho-tschis Stimme ist von Anbeginn von Todesahnungen umdüstert, Klekih-Petra stirbt so malerisch, wie es einem Weißen Lehrer der Apachen geziemt, das Feuerross zischt vorbei, und Old Shatterhand, in dem man nach zweimal Blinzeln Zorro aus der "Lindenstraße" wiedererkennt (alias Thorsten Nindel), lässt die Schmetterfaust fliegen.

Was soll man groß sagen. Die Guten sind gut und die Bösen böse, und so und nicht anders muss es sein. Howgh!

© SZ vom 22.6.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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