Erdbeben in Italien:Schätze unter Trümmern

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Das mittelalterliche L'Aquila wurde im 18. Jahrhundert zerstört, nun trifft es die barocken Bauten der italienischen Stadt

Kia Vahland

Jetzt geht es in den Abruzzen um das Überleben, um die Versorgung der Verletzten und die Suche nach Verschütteten. Um die Trümmer, die eingestürzten Häuser, Kirchen und Denkmäler kann sich im Moment noch niemand kümmern. So sind die Nachrichten darüber, was eigentlich alles zerstört ist, spärlich. 10.000 bis 15.000 Gebäude sollen zusammengefallen sein.

Retter bergen Verletzte und Tote aus den Trümmern. (Foto: Foto: dpa)

Zumindest teilweise zerstört sind wichtige Kirchen in dem ursprünglich mittelalterlichen Städtchen, das schon im ausgehenden 13. Jahrhundert unter der Herrschaft Karls I. von Anjou ein Zentrum der Baukunst war. Neben einigen Kirchen und Palazzi aus jener Zeit besaß L'Aquila bis jetzt auch ein großes Ensemble an Barockbauten - was auf eine andere Katastrophe zurückzuführen ist: Anfang des Jahres 1703 durchlebte die Stadt schon einmal ein schlimmes Erdbeben, bei dem mehrere tausend Menschen starben und viel von der Bausubstanz aus dem Mittelalter verloren ging. Dies sorgte im 18. Jahrhundert für einen Bauboom; auf den mittelalterlichen Resten entstanden Barockkirchen im Stil der Zeit.

Der wichtigste Neubau damals wuchs am zentralen Platz, der heutigen Piazza del Duomo, empor: Santa Maria del Suffragio, eine den Seelen im Fegefeuer gewidmete Kirche mit einer hellen Fassade mit eingearbeiteten Skulpturen und Glocken. Später setzte ihr Giuseppe Valadier eine klassizistische Kuppel auf. Die sieht jetzt aus wie zerbombt. Tiefe Löcher in ihren Wänden geben den Blick auf die Kassettendecke im Inneren frei.

Mit Entsetzen verfolgte Daniela del Pesco die Bilder der einsturzgefährdeten Suffragiokirche am Montag vor dem Fernseher in Rom. Die Professorin für Kunstgeschichte in L'Aquila konnte sich zunächst nicht den Weg über die verstopften Straßen bis in die Abruzzen bahnen und das Ausmaß der Schäden begutachten. "Der Einsturz der Kuppel trifft uns hart", sagte sie am Montagmittag. Gerade erst sei die aufwändige Restaurierung der Kirche abgeschlossen gewesen.

Der Erzbischof von L'Aquila, Giuseppe Molinari, konnte sich in der Nacht zu Montag auf die Straße retten. Den italienischen Nachrichtenagenturen sagte er, alle wichtigen Kirchen der Stadt seien beschädigt. Demnach ist auch ein Teil der Kirche Santa Maria di Collemaggio zerstört, obwohl diese romanisch-frühgotische Kirche in einem Park am Stadtrand liegt und in ihrer langen Geschichte schon viele Beben überstanden hat.

Die außergewöhnlich ornamentreiche Kirche verdankt sich angeblich einem Traum des wundertätigen Eremiten Pietro Angelari, dem Maria auf dem Collemaggio-Hügel im Schlaf erschienen sein soll. Sie habe ihm den Kirchenbau befohlen. Als der Einsiedler 1294 unter dem Namen Coelestin V. zum Papst gewählt wurde, ritt er wie Christus auf einem Esel in die Stadt ein und ließ sich in seiner Kirche krönen. Da der neue Papst auch einen Sündenerlass einführte, entwickelte sich die Kirche und das in der Wildnis der Abbruzzen gelegene Städtchen schnell zum Wallfahrtsort.

In L'Aquila brach nun auch der Turm der Kirche San Bernardino zusammen, das Polizeipräsidium ist keines mehr und auch die örtliche Denkmalschutzbehörde muss sich erst einmal ein neues Haus suchen.

Mindestens so schlimm dürfte es in all den Bergdörfern aussehen, in die es nach dem Erdbeben noch kein Journalist oder Blogger mit Handykamera geschafft hat. Nicht jede der oft barocken Bergkirchen ist von kunsthistorischer Bedeutung, doch die Katastrophe ist deswegen nicht geringer für die Dorfbewohner: Seit 60 Jahren sind sie jeden Sonntag in diesselbe Kirche gegangen, zündeten noch am Tag vor dem Beben hier ihre Kerzen an und sprachen ihre Gebete.

Bauforscher und Denkmalschützer werden noch Jahre mit der Aufarbeitung der Geschehnisse dieser Erdbebennacht zu tun haben. Auch Daniela del Pesco wird ihr Forschungsprojekt neu ausrichten müssen. Eigentlich beschäftigte sie und ihre Studenten sich mit einer anderen Kunstvernichtung: 1968 hatte die L'Aquila einen Denkmalschützer, der den Barock für modernen Schnickschnack hielt und auf der Suche nach mittelalterlichen Stücken Bauten des 18. Jahrhunderts abreißen ließ.

© SZ vom 7.4.2009/vw - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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