Karlheinz Geißler ist Professor für Wirtschaftspädagogik an der Bundeswehr-Universität in München - und Zeitforscher.
sueddeutsche.de: Tag, Herr Geißler, haben Sie ein paar Minuten Zeit für ein Interview?
Geißler: Aber selbstverständlich, schließlich bekommen wir am Wochenende eine Stunde geschenkt.
sueddeutsche.de: So lange wollte ich Sie gar nicht aufhalten.
Geißler: Das habe ich auch nur so gesagt, in Wahrheit bekommen wir nichts geschenkt, genauso wenig wird uns vorher etwas weggenommen.
sueddeutsche.de: Was halten Sie von der Zeitumstellung?
Geißler: Erstmal wird nicht die Zeit, sondern die Uhr umgestellt. Das verwechseln wir gerne. Es ist eine Illusion, die Menschen wären die Herren der Zeit, man könnte sie sparen und die gesparte Zeit dann leben.
sueddeutsche.de: Sind dann Sommer- und Winterzeit heutzutage noch sinnvoll?
Geißler: Eine Winterzeit gibt es nicht, es heißt Normalzeit. Ich würde die Umstellung als mäßig sinnvoll bezeichnen. Früher wollte man Ernergie sparen. Heute sind die privaten Energiekonzerne aber eher an einem höheren Verbrauch interessiert.
sueddeutsche.de: Warum sollte man dann an der Regelung festhalten?
Geißler: Hinter ihr steht doch eine schöne Symbolik, dergestalt, dass man die Zeit anders ordnen kann. Außerdem können die Menschen im Sommer länger im Biergarten sitzen und haben mehr Zeit zum Konsumieren.
sueddeutsche.de: Was machen Sie mit der zusätzlichen Stunde am Wochenende?
Geißler: Leider werde ich sie verschlafen. Nachts um Zwei bin ich nicht sonderlich aktiv. Mir wäre es lieber, die Uhr würde Sonntagnachmittag umgestellt. Dann könnte man eine ganze Stunde ohne Uhr genießen.
sueddeutsche.de: Zum Beispiel mit Nichtstun?
Geißler: Genau. Nur so kann man Zeit intensiv erleben.
sueddeutsche.de: Wie fühlt sich Zeit an?
Geißler: Kann ich nicht sagen, wir haben keinen Zeit-Sinn. Aber von Nietzsche gibt es ein hübsches Zitat: "Zeit ist blau, wenn sie mal Pause macht."
sueddeutsche.de: Was genau macht eigentlich ein Zeitforscher?
Geißler: Ein Zeitforscher ist jemand, der sich systematisch mit dem Wandel von Zeiten und dem Umgang mit Zeit beschäftigt. Ich gehe unter anderem der Frage nach, wie man früher mit der Zeit umging und wie man es heute tut.
sueddeutsche.de: Und was haben Sie herausgefunden?
Geißler: Zum Beispiel war früher die Zeit mit dem Wetter identisch. Das Leben richtete sich nach den Abläufen in der Natur. In einigen Sprachen benutzt man noch heute dasselbe Wort - ein Beispiel ist das italienische "tempo". Seit die Uhr erfunden wurde, ist für den Menschen Zeit allerdings identisch mit Uhrzeit. Doch das ändert sich auch schon wieder.
sueddeutsche.de: Inwiefern?
Geißler: Das moderne Leben ist flexibler geworden. Termine werden immer häufiger nicht nach der Uhr organisiert, sondern mit dem Handy. Wenn sich einer verspätet, ruft er schnell an und sagt Bescheid. Die starre Pünktlichkeit wird so abgeschafft zugunsten einer kurzfristigen Zeit-Freiheit.
sueddeutsche.de: Tragen Sie eigentlich eine Uhr?
Geißler: Seit 20 Jahren schon nicht mehr. Ich versuche, nicht nach der Uhr zu leben. Mein Job erlaubt mir zum Glück eine gewisse Flexibilität.
sueddeutsche.de: Und zur Vorlesung kommen Sie dann noch rechtzeitig?
Geißler: Meine Sekretärin sagt mir, wann es soweit ist. Und während der Vorlesung merke ich am Verhalten der Studenten, dass es Zeit ist, aufzuhören.
sueddeutsche.de: Wie äußert sich das?
Geißler: Am Geräuschpegel. Irgendwann packen die einfach ihren Kram zusammen.