Einzug der Moderne:Der Turban, ein alter Hut

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Meterlanges Haar und ein Turban sind bei Sikhs Ausdruck des Respekts vor Gott. Doch für junge Männer ist die spezielle Kopfbedeckung ein modisch nur schwer vermittelbares Utensil.

Karin Steinberger

Dass die Sache selbst in Amritsar so ausufert, wird der Anwalt Jaswinder Singh nie begreifen. Ausgerechnet in der heiligen Stadt, im spirituellen und religiösen Zentrum des Sikhismus, ausgerechnet im Bundesstaat Punjab, dort, wo die meisten der 18 Millionen Sikhs Indiens leben.

Ausgerechnet hier wissen die Friseure nicht mehr, wohin mit all dem Männerhaar. Die Jungen lassen sich scheren wie die Schafe, das wertvolle, meterlange Haar, ein Leben lang gewachsen, Ausdruck des Respekts vor Gott. Einfach weg. Und der Turban gleich dazu.

Wenn es so weitergehe, sagt Jaswinder Singh im Amritsar Journal, werde es in zwanzig Jahren keinen Sikh mehr mit Turban geben. Es ist eine Schande. Hatte nicht Guru Gobind Singh im Jahr 1699 jedem Sikh verboten, sich das Haar zu schneiden. Die Männer sollten es unter einem Turban tragen, als Zeichen der Ehrhaftigkeit und als Erkennungsmerkmal. Gebt acht auf euer Haar.

Doch die Jungen pfeifen darauf. Jaswinder Singh weiß das nur zu gut, er ist Führer des "Turban pride movements" und somit von Amts wegen zuständig für die Köpfe seiner Glaubensbrüder. Das Problem sei sehr ernst, sagt er. Seiner Ansicht nach trägt nur noch die Hälfte aller Sikh-Männer Turban. "Wir werden kämpfen müssen, um die Flut abwenden zu können."

Im modernen Leben unbrauchbar

Doch die Jugend heißt die Flut willkommen. Sie hat sie satt, die Plagerei mit dem Haar und dem Tuch, das sie jeden Morgen wieder um den Kopf wickeln muss. Der dastaar, sechs bis sechzehn Meter Stoff. Man setzt ihn nicht einfach ab oder auf.

Es dauert eine Ewigkeit, sich den meterlangen Stoff richtig umzulegen. Zum Double Patty Turban oder dem dreilagigen Dhamala Turban. Jeder ein kleines Kunstwerk. Es sei genauso sinnlos, einen Sikh zu bitten, kurz den Turban auszuziehen, wie eine Pop-Sängerin zu bitten, nichts auszuziehen, schreibt der indische Autor Melvin Durai.

Im modernen Leben aber ist der Turban unbrauchbar. Seit dem 11. September 2001 sogar gefährlich. Im Ausland weiß doch keiner, was das ist, ein Sikh. Im Zweifelsfall hält man sie für Muslime mit verdächtigem Gebinde am Kopf. Dabei sehen sich Sikhs als die Schüler Gottes, 1469 hatte Guru Nanak Dev die Religion gegründet, er sagte sich vom Kastensystem los.

Es gab keine Buße mehr, kein Zölibat, keine Askese. Weder Hindu noch Muslim wollte er sein. Dem amerikanischen Tankstellenbesitzer Balbir Singh Sodhi hat das nichts geholfen. Vier Tage nach dem 11. September wurde er in seiner Tankstelle in Arizona erschossen. Der Turban war sein Schicksal. Für den Täter sah er aus wie ein Taliban.

Doch nicht die Gefahren des Turbantragens hält Jaswinder Singh verantwortlich für den Schwund, es sei der Verlust der Spiritualität und die Verwestlichung Indiens, sagt er. Arbeitende Mütter hätten keine Zeit mehr, ihren Söhnen die Kunst des Turbanbindens zu lehren.

Die Jugend interessiert sich mehr für die Affären der Bollywood-Schauspielerin Shilpa Shetty als für die Weisheiten der zehn Sikh-Gurus. Die Tradition ist längst lästig. Vorbei sind die Zeiten, in denen Sikhs stolz verkündeten, lieber den Kopf verlieren zu wollen als den dastaar.

Er ist ein modisch schwer vermittelbares Utensil, auch wenn die Farbgebung frei ist. Premierminister Manmohan Singh etwa trägt einen hellblauen Turban. Aber er gilt nicht gerade als Stilikone.

Nun versuchen es Menschen wie Jaswinder Singh mit einer Art Werbekampagne. In "Turbankliniken" wird jungen Sikhs Nachhilfeunterricht gegeben, Lehrer bringen Kids mit an den Knien hängenden Jeans bei, wie man sechs Meter Stoff um den Kopf drapiert. So wie es Pflicht ist.

Denn jeder Sikh ist zum Tragen der "5 K" verpflichtet: Kesh, das ungeschnittene Haar, Kangha, der hölzerne Kamm, Kacha, die spezielle Baumwollunterhose, Kara, der Stahlarmreif und Kirpan, der Dolch. Und noch mehr: In Delhi wirbt eine Modeagentur mit Sikh-Models samt Turban und Bart. Und der Popstar Pammi Bai hat eine Hymne auf den Turban gesungen - und bereits mehr als 100.000 Singles verkauft.

Gute Nachrichten kommen auch aus der Ferne. In Paris sind Sikhs nach dem Verbot religiöser Kopfbedeckungen an französischen Schulen auf die Straßen gegangen und verkündeten: "Der Turban gehört zu meinem Körper." Genau so sieht es auch Jaswinder Singh.

(SZ vom 26.04.2007)

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