Ein Jahr nach dem Attentat in Orlando:Trauma und Neuanfang am Jahrestag des Anschlags

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Menschen vor der improvisierten Gedenkstätte am LGBT-Nachtclub Pulse in Orlando, Florida. (Foto: AFP)

49 Menschen wurden beim Angriff auf den Nachtclub Pulse in Orlando getötet. Heute, exakt ein Jahr später, beschwört die Stadt die Solidarität aus den Tagen nach dem Attentat. Überlebende, Angehörige und Retter kommen zusammen.

Von Johannes Kuhn

Es war kurz nach zwei Uhr morgens am 12. Juni 2016, als im Nachtclub "Pulse" in Orlando ein schwer bewaffneter Mann das Feuer eröffnete. 49 junge Menschen verloren ihr Leben, 53 wurden verletzt. Der Täter wurde von einem Polizisten erschossen.

Fast auf die Minute genau ein Jahr später öffnete der Club nun noch einmal seine Türen. Nur kurz. Und nur für die Familien und Freunde der Opfer und die 53 Überlebenden, die in der Nacht zum Montag für eine private Gedenkzeremonie zusammengekommen waren.

Überlebender des Attentats in Orlando
:"Ich will einfach nur mein Leben zurück"

Juan José Cufiño Rodriguez hat den Anschlag auf den Nachtclub Pulse in Orlando schwer verletzt überlebt. Im Gespräch erzählt er von der Schreckensnacht - und dem Überlebenskampf danach.

Protokoll von Beate Wild

Der Parkplatz des Pulse ist inzwischen eine improvisierte Gedenkstätte, ein Wandgemälde zeigt 49 Tauben, die über eine Regenbogenflagge fliegen. Besucher haben in den vergangenen zwölf Monate zahlreiche Notizen, Blumen oder Erinnerungsstücke am Ort des größten Schusswaffen-Attentats in der Geschichte der USA hinterlassen. Irgendwann soll auch aus dem Club selbst ein permanenter Erinnerungsort werden.

Stadt und LGBT-Community haben zum Jahrestag der Tragödie ein zweitägiges Gedenkprogramm organisiert. Die 49 Opfer sind allgegenwärtig: Im Rathaus hängen von Künstlern angefertigte Porträts. Ein zum Jahrestag enthülltes Wandgemälde zeigt die 49 gemeinsam mit Überlebenden, Ersthelfern und Offiziellen wie Polizeichef oder Bürgermeister. Das Hashtag #OrlandoStrong, das kurz nach dem Massaker die Solidarität in der Stadt symbolisierte, es gilt auch noch ein Jahr später.

In der Lokalzeitung Orlando Sentinel erinnern sich Begleiter und Verwandte nochmals an ihre 49 verstorbenen Freunde - was sie ihnen bedeuteten und wie sehr sie fehlen. "Ich wünschte, er hätte bei meiner Hochzeit dabei sein können", erinnert sich eine Kollegin an Rodolfo Ayala-Ayala. Und der Sohn von Brenda Lee Márquez-McCool sagt, seine Mutter habe immer für alle ein offenes Ohr gehabt und die Familie eng zusammengehalten. "Seit sie gestorben ist, hat sich alles verlaufen. Unsere Welt ist jetzt völlig anders."

Christine Leinonen, deren Sohn Christopher "Drew" gemeinsam mit seinem Partner Juan Guerrero ums Leben kam, hat sich vom FBI das T-Shirt geben lassen, das er in jener Nacht trug. Die Behörden haben es gereinigt, doch die Einschusslöcher blieben.

Leinonen hielt vergangenes Jahr auf dem Parteitag der Demokraten ein Plädoyer für Waffenkontrolle. Sie arbeitet inzwischen für das neu gegründete Wohltätigkeitsprojekt "The Dru", das Freunde ihres Sohnes gegründet haben, die die Mordnacht überlebten. Angehörige, vor allem aber Überlebende engagieren sich in Initiativen und versuchen so, ihrem Leben nach der Tragödie einen Sinn zu geben.

Trauma und Liebe

Angel Colon, den sechs Kugeln trafen und der mit einer Pressekonferenz im Krankenbett landesweit bekannt wurde, traf vergangenen Herbst Senatoren in Washington, um für strengere Waffengesetze zu werben. Inzwischen hat er einen Agenten und tritt auch als Motivationsredner auf. Der Afroamerikaner Keinon Carter möchte eine Hilfsorganisation für schwarze Homosexuelle in der Region gründen. Andere Überlebende wie José Cufiño Rodriguez ( siehe Protokoll) sind mit den körperlichen Folgen beschäftigt genug.

Viele Überlebende sprechen offen über ihr Trauma, auch Ersthelfer und Einsatzkräfte können nicht vergessen, was sie gesehen haben. Polizisten, die vor Ort waren, berichten über Schlaflosigkeit und die ständige Wiederholung der Szenen, die sie im dunklen Club erlebten.

Und doch bleibt nicht nur Grausamkeit und Leid in Erinnerung. Nikiforos Nikolaos, der als Chirurg im Praktikum in jener Nacht Dienst hatte, erinnert sich zwar auch noch genau, wie die Schwerstverletzten beinahe im Minutentakt eintrafen. "Aber die Liebe, die Verwandte später den Verletzten mit ins Krankenhaus brachten - und die Blumen, Transparente, Geschenke und Unterstützung, die aus der ganzen Welt eintrafen - diese Erinnerung daran hat mir im vergangenen Jahr geholfen, mit der Nacht klarzukommen", erzählt der 31-Jährige am Telefon. "Denn am Ende war die Botschaft: Liebt einander." Alle Opfer, denen bei der Einlieferung noch zu helfen war, konnten das Krankenhaus wieder verlassen.

Orlando versucht auch zum Jahrestag, diese Botschaft der Liebe zu verbreiten. In den vergangenen zwölf Monaten hat sich die Stellung Homosexueller in den USA angesichts der ultrakonservativen politischen Wende allerdings nicht unbedingt verbessert. In der Latino-Community, aus der viele der Opfer stammen, sind die Vorbehalte gegenüber Homosexuellen zudem weiterhin groß. Ein Outing kann immer noch zum Verstoß durch die Familie oder sogar zu Gewalt im sozialen Umfeld führen. Viele Freunde und Angehörige von Opfern erfuhren erst durch die Pulse-Tragödie von deren sexueller Orientierung.

Dennoch gibt es auch andere Signale: Die LGBT-Einrichtungen in Florida haben ihre Angebote für spanischsprachige und schwarze Menschen ausgebaut. Mit dem Demokraten Carlos Guillermo Smith sitzt seit diesem Jahr erstmals ein offen homosexueller Latino im Repräsentantenhaus von Florida. "Keine Frage, die Tragödie hat eine völlig neue Generation von Graswurzel-Anführern hervorgebracht, die jung, queer und farbig sind", bilanzierte Smith jüngst. "Sie wollen etwas verändern und beeinflussen, wie sich die Dinge ändern."

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