Ein Dorf - eine Idee:Das Exempel von Fraunberg

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Weil das kleine Dorf im Münchner Umland seine Identität bewahren will, hat der Gemeinderat die Gewerbegebiete gestrichen.

Von Hans Kratzer

Im Rathaus der Gemeinde Fraunberg herrscht am frühen Vormittag ein Betrieb wie in einem Taubenschlag. Die Verwaltungsgeschäfte sind in vollem Gange.

"Grundsteuer A, Zuführung zum Vermögenshaushalt, Bodenrichtwerte, Abwassergebühren" -- all die komplizierten Begriffe des kommunalen Amtsbetriebs hallen im Sekundentakt durch das Zimmer, das Rathauspersonal jongliert mit ihnen mit großer Leichtigkeit.

Und mitten unter den telefonierenden und tippenden Angestellten hockt Hans Wiesmaier, der Dorfbürgermeister der kleinen bäuerlichen Gemeinde, die am Rande des Münchner Flughafens um ihre Identität ringt.

Bürgermeister mit hemdsärmligem Amtsstil

Ein eigenes Zimmer hat er nicht, was mehr als bezeichnend ist für den soliden Amtsstil des 44-jährigen Landwirts, der seit 1996 im Rathaus das Sagen hat. Sein Habitus und seine Diktion verraten schnell, wie sehr er in seiner oberbayerischen Heimat verwurzelt ist, und weil er neben seiner Bodenständigkeit überdies mit einer gehörigen Portion Realitätssinn ausgestattet ist, lasten die Gefahren, die den ländlichen Raum bedrohen, doch schwer auf seiner Seele - bei allem Humor, den er sich bewahrt hat.

"So kann das nicht weitergehen", stellte Wiesmaier vor zwei Jahren fest, als er sich wieder einmal mit dem drückenden Problem des Bauens im Außenbereich herumschlagen musste. Und er gewann den Gemeinderat für ein Experiment, das in Deutschland noch seinesgleichen sucht.

Die Gemeinde Fraunberg mit ihren 3400 Einwohnern beschloss, ein Exempel zu statuieren, um ihren ländlichen Fortbestand zu kämpfen und trotz aller sturzflutartigen Veränderungen die Lebensqualität auf dem Land zu erhalten.

Gewerbegebiete kurzerhand gestrichen

Natürlich brach nicht jeder Bürger in Jubelschreie aus, wurden doch gleich einmal heilige Kühe geschlachtet. Der Gemeinderat holte den Flächennutzungsplan aus der Schublade und strich sofort die geplanten Flächen für Gewerbegebiete.

"Es kann doch nicht sein, dass wir ständig hektarweise Flächen ausweisen und sie dann herschenken müssen, nur um sie zu füllen", sagt Wiesmaier. Statt dessen wurde eine Grundstücks- und Gebäudebörse eingerichtet. Betriebe können sich hier auf alten Hofstellen leicht ansiedeln. Die Investitionskosten sind wesentlich niedriger als bei einem Gewerbegebiet.

Wohnen und Arbeiten im Dorf - für Fraunberg bislang ein Erfolgsmodell. Aber die Probleme beschränken sich beileibe nicht nur nicht auf Flächenversiegelung und Zersiedelung der Landschaft: Als die Gemeinde Fraunberg 1992 voll in den Sog des neuen Münchner Flughafens geriet, veränderte sie sich dramatisch, der Wandel in kurzer Zeit war gravierender als in tausend Jahren zuvor.

Niedergang der Landwirtschaft

Gleichsam über Nacht setzte ein starker Zuzug ein, der neue Mietwohnungsbau belastete die Siedlungs- und Sozialstruktur, denn er war nicht kompatibel mit den alten bäuerlichen Lebensformen. Dazu gesellte sich der Niedergang der Landwirtschaft. Noch vor 20 Jahren gab es in der Gemeinde 300 Vollerwerbs-Höfe. Jetzt sind es noch 240 Hofstellen, aber lediglich 120 sind in Betrieb und davon nur 60 im Haupterwerb. Und diese Entwicklung beschleunigt sich sogar noch. Jedes Jahr geben weitere zehn Prozent der Landwirte auf.

"Wir erleben einen dramatischen Strukturabbruch", sagt Wiesmaier. "Das alte Bauerndorf wird es nie mehr geben." Die Fraunberger erkannten früh, dass damit auch die alte, wunderschöne Kulturlandschaft mit ihren barocken Kirchen, stattlichen Höfen und heimatstiftenden Idyllen abrupt in Gefahr geriet.

Das Problem lautet: Wie sind die ökonomischen, ökologischen und sozialen Komponenten des Wandels so in Einklang zu bringen, dass die Gemeinde weiterhin beschaulich und lebenswert bleibt? In der Direktion für ländliche Entwicklung fand die Gemeinde eine begeisterte Unterstützerin.

Unterstützung aus der Wissenschaft

Sie stellte auch den Kontakt her zu dem Soziologen Klaus Zeitler vom Sozialwissenschaftlichen Institut für regionale Entwicklung und zu Matthias Reichenbach-Klinke, dem Lehrstuhl-Inhaber für Planung und Bauen im ländlichen Raum der TU München. Sie unterstützen diesen spannenden Prozess, der exemplarisch zeigen wird, ob das ländlich geprägte Bayern noch eine Zukunft hat.

Die Bürger werden in die Dorferneuerung eng eingebunden. Dafür wurde sogar extra ein Verein gegründet. Um die Dorfstrukturen zu erhalten und um Arbeiten und Wohnen am Ort zu ermöglichen, wird die Planungshoheit ausgereizt. "Wir müssen uns vom Diktat der Fremdbestimmung lösen", sagt Wiesmaier. "Damit schaffen wir selber eine moderne Form von Heimat", sagt Klaus Zeitler. Dazu gehört auch, dass man das Bauen im Außenbereich, einen strengen Paragraphen im Baurecht, auf eine neue Grundlage stellt.

Die bisher tabuisierte gewerbliche Wiedernutzung landwirtschaftlicher Hofstellen birgt hohes Potenzial und schont die Landschaft. "Wenn wir die Entwicklung dem freien Spiel der Kräfte überlassen, verkommen wir zur Schlafgemeinde", sagt Wiesmaier. Noch werden die Fraunberger von manchen leicht belächelt -- der Bayerische Gemeindetag aber verfolgt das "Fraunberger Modell" bereits mit größtem Interesse.

© SZ vom 1.7.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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