Aylin Korkmaz sitzt in ihrem Wohnzimmer und sagt, sie fühle für ihren Ex-Mann genauso viel wie für einen Tisch oder einen Fernseher. Sie schaut auf den Tisch und auf den Fernseher. Beide sind grau-anthrazit, wie vieles andere auch in diesem sehr aufgeräumten Wohnzimmer.
Aylin Korkmaz überlebte einen Mordversuch und ist entschlossen, sich nicht unterkriegen zu lassen.
(Foto: Foto: dpa)Sie sitzt auf dem Ledersofa, mit einem weißem Rock und einem lilafarbenen Trägerhemd, beides ist recht kurz, weil es draußen heiß ist und wohl auch, weil die 36-Jährige zeigen will, dass sie so leicht nicht unterzukriegen ist. Man sieht die Narben auf ihren Armen, den Verband am Kehlkopf und die vielen Schnitte im Gesicht. Wären sie nur ein ganz klein wenig tiefer gegangen, dann könnte man mit ihr nicht mehr über ihr Leben sprechen, dann wäre Aylin Korkmaz tot.
Man kann in das Gesicht von Aylin Korkmaz schauen oder dem Staatsanwalt zuhören. Beides ist eine Anklage. Die eine besteht aus lauter Narben und aus einem Ohr, das abgetrennt wurde. Die andere ist 17 Seiten lang.
Es ist der Donnerstagmorgen im Landgericht von Baden-Baden, der zweite Tag im Verfahren gegen Mehmet K. wegen versuchten Mordes an seiner Frau Aylin, die heute ihre Aussage macht. Sie schaut kein einziges Mal nach links, wo ihr früherer Mann sitzt. Er schaut kein einziges Mal nach rechts, blättert in den Akten.
Ein Verbrechen im Namen der Ehre kennt das Strafgesetzbuch nicht. Nur niedrige Beweggründe. Wahrscheinlich auch, weil eine Gesellschaft wie diese mit so etwas nicht gerechnet hat. "Ich bin nicht die Erste, und ich werde nicht die Letzte sein", sagt Aylin Korkmaz. Vor ihr war Hatun Sürücü in Berlin. Nach ihr die Afghanin Morsal O. in Hamburg. Beide starben im Namen einer Ehre. Das soll auch der Plan von Mehmet K. gewesen sein, sagt die Staatsanwaltschaft.
Am 21. November vergangenen Jahres soll er in die Autobahnraststätte bei Baden-Baden gefahren sein, in der seine Frau an der Kasse arbeitete, soll gewartet haben, bis sie in einen Nebenraum ging, und ihr gefolgt sein. Er hatte zwei Messer in der Hand. Zeugen in der Tankstelle hörten Schreie, die sie als "bestialisch" beschrieben haben.
Mehmet K. soll seine Frau mit 26 Stichen verletzt haben, bis zu zwölf Zentimeter tief: die Ohrmuschel abgetrennt, in beide Brüste gestochen, die Milz zerrissen, den Kehlkopf aufgeschlitzt, das Gesicht zerfetzt. Zwei Liter Blut hat Aylin Korkmaz allein am Tatort verloren, acht Stunden wurde sie operiert, mit mehr als 250 Stichen genäht und gerettet.
Als die Polizei kam, soll der Ex-Mann die Messer aus den Händen gelegt und gesagt haben: "Jetzt geht es mir gut, jetzt kann ich das erste Mal wieder schlafen. Ich habe fünf Monate nicht mehr geschlafen." Als ein Polizist ihm mitteilte, dass Aylin Korkmaz noch am Leben sei, habe er laut "Nein" geschrien und seinen Kopf gegen die Wand geschlagen.