Doku über "Hansa Stavanger"-Entführung:"Die echten Bosse sitzen auf den Bahamas"

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"Von dem Geld kriegen die ja kaum etwas ab", sagt Krzysztof Kotiuk jetzt im 3000 Kilometer entfernten Chiavari. Klar, vieles geht an die Bosse, die die Operationen vom Festland aus dirigieren. Kotiuk aber glaubt, dass das ganze Business sogar von noch weiter oben gesteuert wird. "Die echten Bosse sitzen auf den Bahamas." Mehr will er nicht sagen dazu.

"Der Kapitän und sein Pirat" lässt die beiden Protagonisten im Wechsel erzählen: Kotiuk schildert den Druck, der entsteht, wenn man zwischen der eigenen Mannschaft, den Piraten und der verhandelnden Reederei steht. Im Gegenschnitt Ahado, der nachts in Dschibuti sitzt, Khat kaut und fast charismatisch ruhig über sich selbst, die Entführung und Kotiuk spricht: "Der Kapitän war wie eine Lampe, die einsam im Raum hängt. Zuletzt mochte ich ihn, so wie man einen Vater mag. Ich mochte ihn als Somalier und als Muslim."

Ahado und seine Leute nutzten die Hansa Stavanger als Operationsbasis für weitere Entführungen. Als sie hörten, dass befreundete Piraten den amerikanischen Kapitän Phillips der Maersk Alabama in einem Rettungsboot als Geisel hielten, wollten sie ihren "Kollegen" zu Hilfe eilen, fanden aber das Rettungsboot nicht.

Die Geschichte um Captain Philips' Rettung läuft gerade in den deutschen Kinos, sie eignet sich hervorragend für einen Hollywoodfilm, weil der Held Amerikaner ist, der am Ende von Amerikanern befreit wird. Weil das Drama um seine Rettung gerade mal sechs Tage dauerte. Und weil man so schön schwarz-weiß erzählen kann: Auf der einen Seite Tom Hanks als Captain, auf der anderen schwarze Nobodys.

Kotiuk hat sich "Captain Phillips" vor ein paar Tagen angeschaut. Er hat zwei Freunde mit ins Kino genommen. "Die Enge auf dem Rettungsboot, die Todesangst, die unentwegt herumschreienden Piraten, das war sehr gut gespielt, ich wollte Tom Hanks dauernd zu Hilfe eilen, beide Freunde mussten mich immer wieder im Kinosessel festhalten und beruhigen."

Der Film "Captain Phillips" ist konventionelles Hollywoodkino mit Happy End. "Der Kapitän und sein Pirat" ist anders. Mutiger. Er erzählt von den 122 Tagen Geiselhaft genauso wie von den seelischen Verwüstungen, die diese Erfahrung in Kotiuks Leben angerichtet hat. Er zeigt aber auch einen Piraten, der einem während seiner präzisen Schilderungen überraschend sympathisch wird. Ja, man denkt, was Kotiuk selbst einmal in Chiavari sagt: "Wenn Ahado hier in Europa leben würde, hätte der irgendeinen bürgerlichen Beruf, das ist kein Killer."

Die Alpträume bleiben

Der für Kotiuks Leben entscheidende Unterschied zwischen den beiden Entführungen steht im Abspann des Hollywoodfilms: "Captain Phillips fuhr im Mai 2010 wieder zur See." Krzysztof Kotiuk hingegen ist nie mehr zu See gefahren. Er hat nach dem Ende des Geiseldramas mehrere Interviews gegeben, in denen er der Reederei vorwarf, die Mannschaft all die Monate über schmählich im Stich gelassen zu haben. Die Reederei entließ ihn kurz nach Erscheinen dieser Interviews. Das hat ihn am Ende mehr getroffen als die Geiselnahme selber.

Das und die Vorwürfe der Mannschaft, er habe mit den Piraten kooperiert und sich zu wenig um sie gekümmert. Es gibt eine Szene in "Der Kapitän und sein Pirat", in der Kotiuk stammelt, er könne das nicht verstehen. Er als Kapitän habe sie alle da lebend rausgebracht und jetzt - "Warum bekomme ich keine Anerkennung? Warum erkennt mich der somalische Pirat Ahado besser als meine eigene Mannschaft." Man wünscht sich in dem Moment noch die dritte Seite der Wahrheit dazu: die ganze Entführung aus Sicht seiner Mannschaft.

Krzysztof Kotiuk lebt heute von einer winzigen Rente - in Apulien, weil er sich das Leben in Deutschland nicht mehr leisten könnte. Und er lebt in seinen Erinnerungen, weil er nicht loskommt von der Hansa Stavanger. Er ist gegen den Rat seines Therapeuten viel auf Internetseiten unterwegs, auf denen man den Piraten quasi bei der Arbeit zusehen kann.

www.icc-ccs.org ist eine Art Liveticker, eine Seite, auf der alle Entführungen gesammelt werden. Am Horn von Afrika gehen die Angriffe seit 2011 zurück, weil es mehr Begleitschutz gibt und viele Schiffe bewaffnete Security an Bord haben. "Das hat sich jetzt nach Nigeria rüberverlagert", sagt Kotiuk und zeigt auf ein paar winzige rote Punkte im Atlantik. "Da geht es noch brutaler zu. Die schicken erst mal eine Kapitänshand an die Reederei."

Auf die Frage, ob er Albträume habe, winkt Kotiuk ab. "So viele . . . Es gibt den Demütigungstraum, in dem ich wieder eingestellt werde, als 3. Offizier, und alle lachen mich aus. Und es gibt den Traum, in dem die Piraten mir mit einer Axt den Teil des Gehirns entfernen, in dem die Erinnerung sitzt. Was ja in Wirklichkeit ganz hilfreich wäre: endlich vergessen."

Am kommenden Donnerstag wird Krzysztof Kotiuk nach München kommen. "Der Kapitän und sein Pirat" läuft hier im Kino an, er will dabei sein. Ohne seinen Piraten. Aber mit seinem Regisseur Andy Wolff.

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