Doku über "Hansa Stavanger"-Entführung:"Freundschaft ist das völlig falsche Wort"

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Dass die Mannschaft am Ende nur noch von Reis aus einem der aufgebrochenen Container und vom Kondenswasser aus der Klimaanlage lebte. Wie kalt die Reederei während des zähen Verhandlungspokers mit ihnen umging. Dazu das hygienische Desaster, vierzig Mann und ein Klo.

All das erzählt Kotiuk ganz ruhig. Aber die Sache mit der vermeintlichen Freundschaft, das regt ihn jetzt auf. Dass ihm fremde Leute sagen, er habe das Stockholmsyndrom und identifiziere sich mit seinem Entführer. Oder gar behaupten, er habe damals kollaboriert. "Freundschaft ist doch das völlig falsche Wort. Ahado hat mich beinahe erschossen. Weil er einmal glaubte, ich hätte mich heimlich ins Internet eingeloggt. Er wollte mich aufs Deck schleifen, genau dahin, wo ich Wochen zuvor . . . meine Scheinhinrichtung . . . Ich hab mich am Tisch festgehalten und gesagt, wenn schon, dann mach's hier. Anscheinend hat Ahado irgendwann kapiert, dass das mit dem Internet ein Missverständnis war. Drei Tage später kam er zu mir und hat mich um Verzeihung gebeten."

Kotiuk ist ein großer schwerer Mann, er hat den zweiten Dan in Judo. Jetzt kniet er sich plötzlich in dem kleinen Wohnzimmer vor seinen Besucher, nimmt dessen Hand, legt sie sich auf den Kopf, und verbeugt sich kurz: So war das anscheinend, als Ahado, der Pirat, den Kapitän, seine Geisel, um Entschuldigung bat.

Als Kotiuk sich wieder aufrichtet, reißt er jäh den Mund auf. Auf den ersten Blick sieht es aus, als müsse er gähnen. Aber er verharrt so, den Blick starr an die Decke gerichtet, aschfahl, den Mund aufgerissen wie zu einem stummen Schrei. Als gehe er gerade unter im Schwarzen Meer seiner Erinnerungen, als sei er tief unter Wasser, habe keinen Sauerstoff mehr und müsse dringend nach oben.

Ein sensationeller Film

Dann fällt die Spannung plötzlich ab, er sackt auf den Stuhl, saugt literweise Luft in die Lungen und muss die Brille abnehmen. "Da siehst du's, so ist das dann", sagt er und wischt sich die geröteten Augen. "Die Wucht der Flashbacks kennst Du ja aus dem Film."

Der Film. Eine Sensation. Der Dokumentarfilmer Andy Wolff interessierte sich von Anfang an für die Piraten vor Somalia. Was trieb diese Leute an? Wie kann es sein, dass ein paar Jungs mit einer Panzerfaust und einem winzigen Außenbordmotor ein Schiff von 170 Metern Länge in ihre Gewalt bekommen? Und was ist das überhaupt genau für ein Business?

Laut einem Weltbankbericht wurden seit 2005 von somalischen Piraten 1968 Schiffe angegriffen. 218 konnten entführt werden. Im Schnitt wurden von Reedereien und Regierungen jährlich 52 Millionen Dollar Lösegeld gezahlt. Aber wie kann man davon erzählen?

Als Wolff von der Befreiung der Hansa Stavanger hörte, nahm er Kontakt auf mit Kotiuk. "Der Andy hat mich reingelegt", sagt Kotiuk jetzt in Chiavari. "Ich wollte eigentlich nicht, dass der alles zeigt, meine Traumatherapie, die Wutausbrüche, die Denunziationen der ehemaligen Mannschaftskollegen. Aber das war gut so."

Ja, das war tatsächlich gut so. Wolff hat einen Film gedreht über die zwei Seiten der Wahrheit. Er hat Kotiuk in seiner monatelangen Therapie begleitet, in der der Kapitän noch mal seine Scheinhinrichtung durchlebte. In der er lernte, bei Hubschrauberknattern nicht mehr in Panik zu versinken und sich in einen halbwegs funktionierenden Alltag zurückzutasten.

Wolff hat über den Somalideutschen Yusuf Guul aber auch Kontakt aufgenommen zu Ahado. "Der Kapitän und sein Pirat" ist schon allein deshalb unglaublich, weil es diesem Yusuf Guul gelang, wochenlang mit einer Handkamera unter den Piraten zu filmen, an der Küste von Hobyo und Garakad. Man sieht, wie primitiv ihr Leben ist - trotz der hohen Summen, die sie oft erbeuten.

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