Deutschgebot an Schulen:Helden der Nation

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In einer Berliner Realschule müssen in der Pause alle deutsch sprechen. "Zwangsgermanisierung" hat man der Direktorin vorgeworfen - nun wird das Projekt ausgezeichnet.

Constanze von Bullion

So ein Wunder ist natürlich eine Glaubenssache, und es offenbart sich auch nur denjenigen, die es erkennen wollen. An der Herbert-Hoover-Realschule in Berlin zum Beispiel arbeiten sie noch an ihrem kleinen Wunder und an dem Glauben, dass es tatsächlich schon eingetreten ist.

Die Herbert-Hoover-Schule hat im März 2005 ein "Deutschgebot" eingeführt. 90 Prozent der Schüler sind Migrantenkinder. (Foto: Foto: Luedecke)

"Wie heißt das Präteritum von Wiederholen?", fragt Frau Klare. "Heißt halt irgendwas", sagt Douglas und kippelt lässig mit dem Stuhl. "Was ist das Plusquamperfekt von Besprechen?" "Ich hab' gesprochen", sagt Cemre und ärgert sich dann, weil er immer ein bisschen zu schnell ist. "Wie heißt das Futur II von Besprechen?" "Ich werde besprochen haben", sagt der schüchterne Darwich und duckt sich weg in der letzten Bank, so als wäre er am liebsten gar nicht da.

Deutschstunde in der 7a der Herbert-Hoover-Realschule in Berlin, das ist keine Veranstaltung für Maulhelden, sondern eine eher mühselige Angelegenheit. 25 Schüler sitzen hier in einem spartanischen Klassenzimmer, zuhause sprechen sie sonst Urdu, Aramäisch, Arabisch oder Gebärdensprache, jetzt haben sie "DAZ", also Deutsch als Zweitsprache, und man muss schon etwas genauer hinhören, um zu erkennen, dass hier zwei Dutzend Helden der Nation versammelt sind.

Kleine Geste, große Lawine

Die Herbert-Hoover-Schule im Berliner Bezirk Wedding erhält den Nationalpreis 2006 und an diesem Dienstag soll er feierlich im Französischen Dom am Gendarmenmarkt überreicht werden. Der Bundestagspräsident und viele wichtige Leute sollen kommen und eine Schule ehren, die mit einer kleinen Geste eine große Lawine losgetreten hat.

Die Hoover-Schule, auf die zu 90 Prozent Migrantenkinder gehen, hat das "Deutschgebot" auf dem Schulhof eingeführt, das jeden verpflichtet, sich auch in der Pause auf Deutsch zu unterhalten. Es soll dafür sorgen, dass nicht jedes Lachen und jeder schiefe Blick als Beleidigung missverstanden wird.

Eine Regelung ist das, die wenig Aufsehen erregt hat, als Lehrer, Schüler und Eltern sie im März 2005 einmütig in die Hausordnung schrieben. Anfang des Jahres dann entdeckten türkische Zeitungen und Verbände das Thema, regten sich über "Zwangsgermanisierung" und die Diskriminierung nicht-deutscher Kinder auf.

Eine Flut von Artikeln aus der halben Welt hat sich inzwischen über die Schule ergossen und offenbar auch die Deutsche Nationalstiftung mitgerissen. Die zeichnet sonst Leute wie Wolf Biermann oder Wolf Jobst Siedler für ihren Verdienste ums Nationale aus. Nun also ist eine Schule dran, die laut Würdigung "den Begriff der Nation durch pragmatisches Verhalten mit Leben gefüllt" hat.

Die Schüler haben etwas Neues gelernt: Stolz

Im alten Ziegelbau Herbert-Hoover-Schule verlaufen sich so bedeutungsschwere Worte schnell in den bescheidenen Fluren. 370 Realschüler aus zwölf verschiedenen Nationen werden hier unterrichtet, und es gab mal Zeiten, da war hier Land unter. Da schlugen sich Türken mit Libanesen und Serbinnen fauchten Kroatinnen an.

Jetzt sieht man auf dem Schulhof türkische und arabische Mädchen Fußball spielen, manchmal rufen sie "Pass' auf!", und manchmal fluchen sie in ihren Muttersprachen. "Hier redet jeder, was er will", sagt Zinar, ein Kurde. "Regeln sind dazu da, gebrochen zu werden", sagt Cebrail und lacht - weil er keine Lust mehr hat, den Musterschüler zu spielen.

Natürlich weiß jeder an dieser Schule, dass er Deutsch zu reden hat und natürlich wird dieses Gebot manchmal gebrochen, sagt Halime Narin. Sie ist Schülersprecherin, Deutsche und gebürtige Türkin. Erst dieses ganze Medienecho, jetzt der Preis - das wirkt manchmal alles etwas übertrieben auf sie. Wunder nämlich wurden hier keine bewirkt - auch wenn es in der heißen Phase der Debatte plötzlich keine Handgreiflichkeiten mehr auf dem Schulhof gab.

"Ich hatte überhaupt nichts mehr zu tun", sagt Halime Narim und meint ihren Job als Konfliktlotsin. Der ganze Trubel nämlich mag übersteuert sein, er hat eine unbeabsichtigte Nebenwirkung. Im Wedding, wo viele Familien nicht nur arm, sondern auch wenig bildungsbegeistert sind, haben die Hoover-Schüler etwas Neues gelernt: stolz zu sein auf die eigene Schule und ein kleines bisschen auch auf sich selbst.

Jutta Steinkamp ist eine Direktorin, die auf flachen Schuhen und im Blümchenkleid daherkommt. Sie ist 60 Jahre alt, hat mal im Jugendgefängnis unterrichtet und ist keine Frau, die sehr furchtsam wirkt. Vor einigen Monaten aber, als türkische Politiker ihr den Kampf ansagten und der Sender Al-Dschasira vor der Tür stand, hat sie "schon einige Horroszenarien kommen sehen".

Kulturrassismus hat man ihr vorgeworfen und Fremdenfeindlichkeit. Und jetzt kommt dieser Nationalpreis. "Das ist schon verblüffend" , sagt die Direktorin etwas gedehnt.

Doch, sagt sie, sie freut sich über die 75 000 Euro. Aber nach dem Deutschgebot und den zusätzlichen Deutschstunden muss jetzt etwas anderes kommen: Unterricht in den Muttersprachen. "Wenn Schüler aus ethnischen Minderheiten ihre Wurzeln verlieren, dann geraten sie sehr schnell in eine Identitätskrise."

"Wir sind ein Auslaufsmodell"

Wie angreifbar der unsichtbare Schild von Nationalstolz, Trotz und Minderwertigkeitskomplexen ist, hat Klaus Wassermann erst mühsam lernen müssen. Der Biologielehrer brütet in Zimmer116 über einem Schulplan, er gehört zu den Erfindern des "Deutschgebots" an der Hoover-Schule.

Wassermann ist in den 70ern aus einem hessischen Dorf hergekommen - und bekam einen Kulturschock. "Wir sind in vollkommen anderen Zeiten ausgebildet", sagt er. "Viele Kollegen haben die Kraft nicht, sich den Verhältnissen anzupassen."

Statt auf Eltern und nicht-deutsche Schüler zu schimpfen muss seine Generation endlich Platz machen Lehrer mit Migrationshintergrund, findet er. "Wir sind ein Auslaufmodell. Wir passen hier einfach nicht mehr her."

© SZ vom 27.6.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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