Deutscher in türkischem Gefängnis:Kein Herz für Mehmet

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In der Türkei leidet ein weiterer Deutscher im Gefängnis - doch weder Medien noch Politik engagieren sich für ihn. Ob es am Vornamen liegt?

Kai Strittmatter, Istanbul

Aus einem türkischen Gefängnis kommt ein Hilferuf. Von einem Deutschen, der dort in einer Zelle sitzt. Verhaftet auf einer Urlaubsreise. Unschuldig, wie er sagt. Zu Unrecht, wie auch Amnesty International (AI) meint.

Ein türkisches Gefängnis (Foto: Foto:)

Nein, sein Name ist nicht Marco W. Sein Bild erscheint nicht in den Fernsehnachrichten, vor seinem Gefängnis stehen auch keine Ü-Wagen deutscher Sender. Er heißt Mehmet Desde, ist aus Landshut, Sohn einer Gastarbeiter-Familie. Ein deutscher Staatsbürger kurdischer Abstammung. Sein Name ist kaum einem Deutschen ein Begriff.

Dabei begann sein Leidensweg schon vor fünf Jahren. "Warum setzt sich für ihn keiner so ein?", fragt Helmut Oberdiek vom Demokratischen Türkeiforum. "Desde hätte mindestens so viel Aufsehen verdient wie Marco W. Gegen ihn liegt nichts vor, was internationalen Normen standhalten würde.

Die Geschichte des Mehmet Desde ist eine von Willkür und Folter. AI hat sich seiner angenommen als gewaltfreiem politischen Gefangenen und sieht in dem Fall einen Beweis "für ein anhaltendes Muster unfairer Prozesse" in der Türkei.

Desde war im Juli 2002 in das Land gefahren, um dort seinen in Deutschland verstorbenen Vater zu beerdigen. Anschließend machte er Urlaub an der Ägäisküste, wo er den in Berlin lebenden Journalisten Mehmet Bakir traf. Zum Verhängnis wurde den beiden, dass zu der Zeit in Izmir Flugblätter einer obskuren "Bolschewistischen Partei Nordkudistan/Türkei" verteilt wurden.

Die Polizei suchte die Hintermänner der Aktion - und stolperte dabei über Desde und Bakir. Am 9. Juli 2002 wurden sie verhaftet. Als Anfangsverdacht genügte offenbar, dass die beiden Kurden waren und ihre Familien aus der linken Hochburg Tunceli stammen.

Dass sie beteuerten, weder Terroristen zu sein noch jemals von der Bolschewistischen Partei gehört zu haben, dass Desde sich weigerte, ein vorformuliertes Geständnis zu unterschreiben, stachelte den Ehrgeiz der Beamten nur noch an: Ein Attest von Ärzten der "Stiftung für Menschenrechte" in Izmir stellte hernach Spuren körperlicher und psychischer Folter fest.

Desde selber berichtete, die Beamten hätten ihn geprügelt und die Hoden gequetscht. Einmal hätten sie gedroht, ihn in ein Fass mit Beton zu stecken und ins Meer zu werfen. Das Ergebnis dieser "Ermittlungen": eine Verurteilung zu 50 Monaten Haft wegen "Mitgliedschaft in einer illegalen Organisation".

Das Urteil wurde am 26. Dezember 2006 vom Obersten Gericht in Ankara bestätigt, obwohl währenddessen noch ein zweiter Prozess auf sein Ende wartete. Angeklagt dort: die Verhörer von Desde, wegen Folter.

Dieses zweite Verfahren war mit der Unterstützung des deutschen Generalskonsulats in Izmir eröffnet worden. Bis zu ihrer letztinstanzlichen Verurteilung 2006 waren Desde und Bakir meist auf freiem Fuß, durften die Türkei jedoch nicht verlassen.

Der heute 48jährige Desde hat seine Wohnung und seine Arbeit in Deutschland verloren, Bakir ist seit fünf Jahren getrennt von seiner in Berlin lebenden, ebenfalls kurdischstämmigen Frau. Am 8. Juni trat Desde als erster der beiden in Manisa die Haftstrafe an.

Diese Woche erreichte Oberdiek vom Türkeiforum ein erster Brief aus der Zelle: Desde darf weder Sport treiben noch die Bibliothek benutzen, eine Matratze gebe es nicht, dafür zwei schmutzige Decken.

Oberdiek fragt sich, warum um Desde nicht ebensolcher Rummel gemacht werde wie um Marco W.: "Liegt es vielleicht daran, dass er Mehmet mit Vornamen heißt?"

© SZ vom 28.6.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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