Deutsche Exklave in der Schweiz:Grüezi aus der Bundesrepublik

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Zwei Postleitzahlen, zwei Telefonzellen, ein Staatsvertrag - Büsingen ist die einzige Exklave Deutschlands und liegt mitten in der Schweiz.

Bernd Dörries

Als in Baden-Württemberg am 1. August das Rauchverbot in Kraft trat, wurde in Büsingen einfach weiter geraucht. In den fünf Gaststätten des kleinen Dorfes in Südbaden gab es keinen Wirt, der die Aschenbecher wegräumte. Keinen, der Verbotsschilder aufhängte. Es hatte sie anscheinend niemand informiert. Erst Mitte August kam dann jemand vom Lokalblatt vorbei und wollte mal nachschauen, wie das neue Gesetz in Büsingen umgesetzt wird.

Eingeschlossene Gesellschaft: Die kleine badische Inselgemeinde Büsingen. (Foto: Karte: SZ)

Der Reporter kam von den Schaffhauser Nachrichten und seitdem sind die Büsinger Wirte darüber informiert, dass in Baden-Württemberg ein Rauchverbot gilt und haben Raucherzimmer eingerichtet. Vielleicht wollten sie es vorher auch nicht so genau wissen. Vielleicht fühlten sie sich in diesem Punkt auch als Schweizer und deren Regeln zugehörig. Man kann es sich oft aussuchen in Büsingen.

Vor dem Rathaus des Dorfes mit 1400 Einwohnern stehen zwei Telefonzellen: eine im Magenta der Telekom und ein im Rot der Swisscom. Über der Eingangstür des Postamtes daneben hängen zwei große Schilder: eines mit der deutschen Postleitzahl und eines mit der Schweizer.

Dorf mit eigenem Nummernschild

Und bis vor einigen Jahren hatte auch Bürgermeister Gunnar Lang auf seinem Schreibtisch zwei Telefone: eines für jedes Land. Heute steht dort ein moderner Apparat, aber ansonsten hat sich eigentlich nicht viel verändert in Büsingen. Man ist hier weder richtig in der Schweiz noch wirklich in Deutschland. "Wir fühlen uns als Büsinger", sagt Bürgermeister Lang auf die Frage nach der Identität.

Das Dorf ist die einzige Exklave Deutschlands. Es liegt direkt am Hochrhein in der Nähe von Singen, gehört zum Kreis Konstanz, hat eine Fläche von 7,6 Quadratkilometern und ist komplett von der Schweiz umgeben. Wenn die Einwohner nach Stuttgart wollen, müssen sie über die Grenze fahren. Um den Zöllnern die Arbeit zu erleichtern, hat Büsingen ein eigenes deutsches Kennzeichen: BÜS, das einzige Dorf mit eigenem Nummernschild.

Manchmal hat die Lage des Dorfes Vorteile, man kann billig Zigaretten und Benzin einkaufen, weil Büsingen zum Schweizer Wirtschaftsraum gehört. Oft hat es aber auch Nachteile, weil Büsingen politisch gesehen deutsches Staatsgebiet ist: Man muss hier die hohe deutsche Einkommenssteuer zahlen, und wenn man in der Schweiz arbeitet, wie die meisten, auch noch die hohen Schweizer Sozialversicherungsbeiträge.

Ein Denkzettel für die Schaffhausener

Der Status Büsingens stammt noch aus der Zeit des Mittelalters, als die Landkarten viele bunte Flecken hatten, als es für reiche Adlige noch möglich war, sich Gerichtsbarkeit zu erkaufen. Büsingen lag im Herrschaftsbereich von Eberhard Im Thurn, einem reichen Schaffhausener, der in Streit mit seiner Familie geriet und von ihr in den Kerker gesteckt wurde.

Dies gefiel den Österreichern nicht, deren Lehnsherr der Eidgenosse ebenfalls war. Wien kündigte die Pfandschaft für einige Dörfer im Grenzgebiet, darunter auch Büsingen, die an die Eidgenossen sozusagen verpachtet worden waren und nun wieder zu Österreich gehörten.

Später machte man den Handel wieder rückgängig, nur Büsingen wurde nicht wieder an die Eidgenossen zurückgegeben, als Denkzettel, "zum ewigen Ärgernis" der Schaffhausener.

Nach den napoleonischen Eroberungskriegen fiel Büsingen dann erst an Württemberg und schließlich an Baden. Es ist eine komplizierte Geschichte. Und nicht selten wirkt es so, als seien die Verhältnisse heute auch nicht viel einfacher. Damals wurde das Dorf wegen der Ränkespiele und Intrigen von einem Herrschaftsbereich in den anderen verschoben. Heute leidet es unter der Herrschaft der Bürokratie.

Es gibt zwar seit 1967 einen richtigen Staatsvertrag zwischen Deutschland und der Schweiz, der sich auf 24 Seiten nur um die 1400 Einwohner Büsingens dreht, aber ständig verändert werden muss. Wegen jeder Kleinigkeit. Zuletzt wegen ein paar Heilpraktikern, die in Büsingen ihrer Tätigkeit nachgingen.

Das gefiel den angrenzenden Schweizer Kantonen nicht, die damals den Beruf des Heilpraktikers untersagt hatten. Die Büsinger mussten sich darauf verpflichten, ihre Dienste keinem Eidgenossen anzubieten. Später erlaubten auch die Schweizer den Beruf des Heilpraktikers, weshalb wiederum der Staatsvertrag geändert werden musste. Mit Ratifizierung durch die Parlamente und Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt.

Birgit Homburger sagt, sie widme den Bürgern von Büsingen eine "überproportionale Aufmerksamkeit". Die 42-Jährige ist FDP-Bundestagabgeordnete zu deren Wahlkreis Büsingen gehört. Alle paar Monate kommen die Bürger wieder auf sie zu, weil sich diese oder jene Regelung in Deutschland und der Schweiz geändert habe, was die Büsinger benachteilige. "Wenn ich mich ans Bundesfinanzministerium wende, fragen die, wo liegt denn das?" Dann sagten die Beamten meist, dass man wegen ein paar hundert Menschen keine Gesetze ändern könne.

Zuletzt war die Einführung des Elterngeldes ein großer Aufreger im Dorf, weil die Büsinger zwar deutsche Steuern zahlen, aber keinen Anspruch auf das neue Elterngeld haben. Für solche Sozialleistungen gilt der Arbeitsort, und der liegt für neunzig Prozent der Einwohner in der Schweiz.

Insellage mitten in der Schweiz

Immer mal wieder waren solche Benachteiligungen den Büsingern zu viel und sie versuchten, mit ihrem Gebiet von eben jenen 7,6 Quadratkilometern zur Schweiz zu wechseln, immerhin zahlt man seit jeher im Ort mit Franken, spricht vor allem Schwyzerdütsch. Nach dem Ersten und auch dem Zweiten Weltkrieg stimmten die Einwohner mit großer Mehrheit für einen Wechsel, was die deutschen Behörden aber als Landesverrat werteten und zurückwiesen. Die Schweizer Behörden hingegen fürchteten die Kosten für die neuen Eidgenossen.

Nach dem Krieg erlebte Büsingen einen unerwarteten Zuzug. Am Ortsrand bauten sich verängstigte Westdeutsche Appartementhäuser, weil sich Büsingen als sicherer Rückzugsort herumgesprochen hatte, sollte der Russe doch noch weiter in den Westen kommen. Vor allem Westberliner fanden hier eine ideale Nachbildung der Insellage.

Heute stehen die Bauten am Rande des Ortes oft leer. Der Ort hat mit Abwanderung zu kämpfen. Viele Büsinger, die in der Schweiz arbeiten, ziehen es vor, auch dort zu wohnen und die geringere Einkommenssteuer zu zahlen. Auf der anderen Seite kann Büsingen auch wieder einige Neuankömmlinge begrüßen, Rentner aus der Schweiz, die hierherkommen, weil die Rentenbesteuerung in Deutschland viel geringer ist. Und weil es auch ziemlich schön ist in Büsingen.

© SZ vom 5.11.07/zif/gal - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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