Details zum Amoklauf:"Es reicht mir"

Lesezeit: 3 min

Zu den Hintergründen des Amoklaufs von Winnenden hat die Polizei nun neue Details bekanntgegeben. Demnach kündigte Tim K. die Tat zuvor in einem Chatroom im Internet an - die anderen Teilnehmer nahmen ihn nicht ernst.

Der Amokläufer von Winnenden hat seine Tat offenbar in einem Internet-Chat angekündigt.

Amoklauf in Winnenden: Die Polizei sucht fieberhaft nach dem Tatmotiv. (Foto: Foto: dpa)

In der Nacht zum Mittwoch habe der 17 Jahre alte Tim K. in einem Chat davon gesprochen, teilte der baden-württembergische Innenminister Heribert Rech (CDU) mit. Der Vater eines Jugendlichen, der an dem Chat teilgenommen hatte, habe sich am Mittwoch bei der Polizei gemeldet.

Demnach kündigte der Jugendliche in der Nacht zum Mittwoch in einem Chatroom an, er habe das "Lotterleben" satt und wolle mit Waffen in seine frühere Schule in Winnenden gehen.

Gegen 2.45 Uhr sei in dem Chatroom folgender Eintrag zu lesen gewesen sein, den die Polizei im Wortlaut veröffentlichte. Tim K. schrieb an einen offenbar gleichaltrigen Chatpartner aus Bayern: "Scheiße Bernd, es reicht mir, ich habe dieses Lotterleben satt, immer das selbe - alle lachen mich aus, niemand erkennt mein Potenzial. Ich meine es ernst Bernd - ich habe Waffen hier, und ich werde morgen früh an meine frühere Schule gehen und so mal richtig gepflegt grillen. Vielleicht komme ich ja davon. Haltet die Ohren offen. Bernd, ihr werdet morgen von mir hören. Merkt Euch nur den Namen des Orts Winnenden. Und jetzt keine Meldung an die Polizei, keine Angst, ich trolle nur."

Der Vater aus Bayern, der die Polizei auf die Nachricht im Internet hingewiesen hat, teilte den Beamten mit, sein Sohn habe die Drohung im Internet zwar gesehen, aber nicht ernst genommen.

Der Sohn habe unter anderem mit der Abkürzung "lol" (Kurzform für "laughing out loud", deutsch: laut lachend) reagiert.

Wie sich die Geisel retten konnte

Tim K. hatte am Mittwoch an seiner früheren Schule in Winnenden nahe Stuttgart neun Schüler und drei Lehrerinnen erschossen. Die Bluttat versetzte die Region in einen Schockzustand.

Zwei der Lehrerinnen könnten versucht haben, sich dem Amokläufer in den Weg zu stellen, sagte der Leiter der Polizeidirektion Waiblingen, Ralf Michelfelder. Dies sei abschließend noch nicht geklärt. Es könnte auch sein, dass sie dem Täter zufällig auf dem Flur begegneten.

Auf der anschließenden Flucht tötete er drei weitere Menschen - und zwang einen Autofahrer, ihn in die nahe gelegene Ortschaft Wendlingen zu bringen. Dieser konnte sich offenbar mit einem Sprung aus dem rollenden Fahrzeug vor dem Todesschützen retten.

Der Autofahrer habe seinen Wagen in einer Kurve beschleunigt und sei in einen Grünstreifen gefahren, als er ein Polizeiauto an einer Autobahnausfahrt gesehen habe, sagte ein Polizeisprecher. Der Mann habe dies als seine letzte Chance gesehen, mit dem Leben davonzukommen.

Video der letzten Minuten des Amokläufers

Daraufhin flüchtete der Attentäter in ein Autohaus in einem Industriegebiet, wo er einen Mitarbeiter und einen Kunden erschoss. Dort kam es auch zu einem Schusswechsel mit der Polizei. Schließlich richtete Tim K. die Waffe gegen sich selbst. Sky News veröffentlichte ein Video der letzten Sekunden des Amokläufers, das von den Ermittlern bisher nicht ausgewertet wurde.

Des Weiteren wurde bekannt, dass sich der Täter seit dem vergangenem Jahr in psychiatrischer Behandlung befand. Er litt unter Depressionen. Zunächst sei er in Heilbronn behandelt worden, später habe die Therapie dann in Winnenden fortgesetzt werden sollen.

Minister Rech beschrieb detailliert die Waffen im Elternhaus des Täters: Der Vater sei Mitglied im Schützenverein, habe insgesamt 15 Schusswaffen besessen. 14 davon wurden in Tresoren gelagert. In den zwei Waffenschränken hatte er ferner 4600 Schuss Munition diverser Kaliber deponiert.

Vater muss sich wegen fahrlässiger Tötung verantworten

An die Waffe kam der Jugendliche im Schlafzimmer des Vaters. Die Waffenschränke seien mit einem achstelligen Zahlencode gesichert worden: "Möglicherweise gelangte der Sohn an die Kombination", sagte Rech.

Bei dem Amoklauf habe der Täter Munition im dreistelligen Bereich dabei gehabt. Mindestens 60 Schüsse wurden in der Schule abgefeuert, insgesamt nach Aussagen des Ministers 112 Patronen. Nicht abgeschossen wurden "etwa 109 Schuss". Der Vater muss sich nun möglicherweise wegen fahrlässiger Tötung verantworten.

Der Täter wurde als zurückhaltend und still beschrieben, ein "durchaus freundlicher" Junge. Seit drei Jahren habe er Kraftsport betrieben. Er habe oft am Computer gesessen. Mit dem Vater habe er Schießüberungen vorgenommen. Allerdings sei er nicht Mitglied im Schützenverein gewesen.

Mehrere Morddrohungen an Schulen

Die Zeugenvernehmungen der Polizei aus dem Umfeld hätten bisher keine "keine Neigung zu Amoktaten" ergeben - bei den psychischen Problemen habe es sich um eine depressive Neigung gehandelt.

In der Zwischenzeit hat es in Baden-Württemberg sechs Amokdrohungen gegeben. Landespolizeipräsident Erwin Hetger nannte Pforzheim, den Bereich Stuttgart, Ulm, Freiburg, Metzingen und Esslingen. Die Schulen würden verstärkt von der Polizei beobachtet.

Auch in Regensburg wurde die Morddrohung eines Schülers der Polizei gemeldet: Der 15-Jährige kündigte am Mittwoch gegenüber früheren Mitschülern an, er werde in seine ehemalige Schule, die St.-Wolfgang-Schule in Regensburg, gehen und jemanden töten, sagte eine Polizeisprecherin. Dabei habe er auch erklärt, er habe nichts mehr zu verlieren. Derzeit wird nach dem Jungen gefahndet.

© sueddeutsche.de/dpa/Reuters/AP/grc/hai/odg - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Amoklauf
:Eine Stadt trauert

Entsetzen, Fassungslosigkeit und die Frage nach dem Warum: In einer Realschule im schwäbischen Winnenden tötet ein jugendlicher Amokläufer 16 Menschen - darunter neun Schüler.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: