Der Kampf gegen rechte Schläger:Die alltäglichen Einzelfälle

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Im Osten Deutschlands häufen sich die Gewalttaten - aber erst wenn, wie jetzt in Potsdam, ein Mensch fast zu Tode geprügelt wird, schauen alle hin.

Annette Ramelsberger

Rathenow, 23. April - So eine nette Stadt, dieses Rathenow im Havelland. In den Rabatten entlang der Berliner Straße haben sie Krokusse gepflanzt, in hübschen Mustern. Am Rathaus quellen die Blumenkästen in den Fenstern über vor Osterglocken und Primeln. An den Laternenmasten vor der Kreissparkasse baumeln bunte Frühlingsbänder im Wind. Und unten, im Eingang zur Schalterhalle, rufen Plakate die Bürger zum Balkonblumen-Wettbewerb.

Der Kampf gegen Rechtsextreme: "Wir kommen uns ganz schön alleine vor". (Foto: Foto: dp)

Genau vor diesem Plakat haben sie Florian Egert erwischt. Der Junge mit dem grünen Basecap zapfte sich gerade Geld am Automaten, als sie ihn erspähten. Sie stoppten ihre Autos, rannten rein, einer fragte, wie zur Sicherheit: "Du bist Egert?" - "Dann hatte ich schon die erste sitzen", sagt Florian Egert.

Drei Mann schlugen auf ihn ein, mit den Fäusten, sie traten mit den Stiefeln zu, fünf, zehn Minuten lang. Egert ist 20 Jahre alt, über einen Meter achtzig groß, massig, er wankte, aber er fiel nicht. "Da hatte ich Glück. Wäre blöd gewesen, wenn ich zu Boden gegangen wäre, dann wäre mehr passiert", sagt er.

Denn die Angreifer kamen zurück. Traten noch einmal zu, schlugen noch einmal rein ins Gesicht. Auf der Hauptstraße von Rathenow, direkt gegenüber dem Rathaus. Keine hundert Meter von einem Polizeieinsatzwagen entfernt, der solche Übergriffe verhindern sollte.

"Das ist dann Sperrgebiet"

Doch die Rechtsradikalen fühlten sich an diesem Abend stark. Es war der 8.April, Samstag vor zwei Wochen, und an diesen Abenden sind sich die Herren besonders sicher. Da sind sie viele. Da muss keiner am Morgen danach zur Arbeit, zur Schule.

Da ziehen sie gemeinsam durch die Stadt. Da gehört die Berliner Straße in Rathenow ihnen. Und wenn einer von den anderen da aufkreuzt, zu Fuß, wehrlos, dann ist er dran. Florian Egert weiß das. Deshalb geht er an den Wochenenden dort auch nicht einfach hin. "Das ist für uns dann Sperrgebiet", sagt er.

Drei Brüche im Gesicht haben die Ärzte bei Florian Egert festgestellt, Hämatome, das linke Auge ist verletzt - noch ist nicht klar, ob die Netzhaut hält.

Rathenow liegt 70 Kilometer von Potsdam entfernt, wo vor einer Woche, an einem ähnlichen Abend, ein dunkelhäutiger deutscher Familienvater ins Koma geprügelt wurde. Nach allem, was man weiß, hat einer von zwei Männern mit einem Faustschlag auf den Schädel über dem Auge den Deutsch-Äthiopier lebensgefährlich verletzt.

Mitten in der Stadt

Der Schädelknochen wurde zertrümmert. Wegen des hohen Alkoholpegels soll das Opfer nicht mehr in der Lage gewesen sein, sich abzustützen.

Es war, wie bei Florian Egert, mitten in der Stadt. Und es ist erst einmal nebensächlich, ob es sich bei der Tat um einen rechtsextremen Hintergrund handelt oder "nur" um einen fremdenfeindlichen, auf den die Aufzeichnungen auf der Handy-Mailbox der Ehefrau des Opfers hindeuten.

Sicher ist erst einmal nur, dass im Osten Deutschlands die Brutalität wächst, dass immer mehr junge Männer sich zusammenfinden, um ihre Gewalt auszuleben, bevorzugt am Wochenende. Und dass meist erst dann die Öffentlichkeit wieder verstärkt auf diese Szene schaut, wenn es einen Menschen lebensbedrohlich getroffen hat.

Einen extremen Einzelfall nannten Potsdamer Politiker den Überfall vergangene Woche. Und für Potsdam trifft das sogar zu. Potsdam ist im Vergleich zu anderen Städten in den neuen Ländern weltoffen, es gibt dort ausländische Studenten, ausländische Touristen, Berlin ist nah. Man kann dort auch als dunkelhäutiger Mensch nachts durch die Straßen gehen. Ein paar Kilometer weiter kann man das nicht mehr.

Rassistische Serie

In Rheinsberg, der alten Kulturstadt, wurden in den vergangenen Monaten immer wieder Geschäfte von Ausländern überfallen oder in Brand gesetzt. Eine rassistische Serie. In der Kleinstadt Premnitz verübten vergangenes Jahr Rechtsradikale einen Brandanschlag auf das alternative Jugendzentrum.

In Pömmelte in Sachsen-Anhalt schlugen rechte Schläger im Januar einen zwölfjährigen schwarzen Jungen nieder. Zum zweiten Mal. Beim ersten Mal hatte das Jugendheim, in dem das Kind lebt, auf eine Anzeige verzichtet - um die Rechten nicht zu reizen.

Florian Egert hält sich nicht so vorsichtig zurück. Die Rechten kennen ihn. Weil er sie kennt. Und er kennt sie alle. Er kennt ihre Autos, ihre Kfz-Kennzeichen, manchmal auch ihre Ex-Freundinnen. Er weiß, dass der Typ, der ihn niedergeschlagen hat, gern morgens mit nacktem Oberkörper am Fenster steht und zu Hitler betet, er möge ihm Kraft geben.

Man lebt ja in einer kleinen Stadt, 26.000 Einwohner, da kennt jeder jeden. Er weiß auch, wem der rote Renault 19 gehört, der vor dem gelben Haus im Neubaugebiet steht. Und was die Buchstaben SPK an der Heckscheibe bedeuten: Skinhead Power Kontrol.

"Kontrol mit K bitte, man ist deutsch", sagt Egerts Freund Marc. Egert und Marc wissen auch, bei welchen Nazi-Aufmärschen der Besitzer des Renaults war und dass er der verbotenen Kameradschaft Sturm 27 angehörte. Und dass die Laube, in der sich die Radikalen neuerdings treffen, in der Kleingartenkolonie "Sparte Sorgenfrei" liegt.

Das alles kann man nachlesen in einem mehr als 100 Seiten dicken, akribisch recherchierten Jahresüberblick, den die Antifa im Havelland Jahr für Jahr herausgibt. Dort kann man den Besitzer des Renaults auch im Foto bewundern, dort ist der Schläger abgelichtet, der Egert überfallen hat. Dort wird gezählt, wie viele rechtsradikale Aufkleber geklebt und wie viele die Antifa wieder entfernt hat.

Die Polizei bekommt diese Informationen, auch der Bürgermeister. Plötzlich liegt da eine CD-Rom im Vorzimmer, zur gefälligen Information. Wer wissen will, kann wissen, was im Havelland los ist. "Rathenow ist ein Schwerpunkt, wenn es um die Bekämpfung des Rechtsextremismus geht", sagt Dirk Volkland, der Polizeichef des Havellands.

Erst vergangenes Jahr hat der brandenburgische Innenminister Jörg Schönbohm hier zwei braune Kameradschaften verboten: das Hauptvolk und dessen Jugendtruppe Sturm 27, benannt nach einer SA-Einheit, die in Rathenow stationiert war.

Man konnte dabei auf das Material zurückgreifen, das die Antifa so fleißig gesammelt hatte. Polizeichef Volkland lobt die Linken fast ein wenig: "Es ist falsch zu sagen, dass Rathenow fest in rechter Hand ist. Aber es wäre auch falsch zu sagen, die Antifa übertreibe die Situation."

Die Fakten stimmten schon. Aber natürlich gebe es in Rathenow keine rechtsfreien Räume. Manfred Huyer, der Leiter der Polizeiwache in der Stadt, sagt, so etwas wie der Überfall auf Florian Egert falle wirklich aus dem Rahmen: "Es bricht hier nicht jeden Freitag der Notstand aus."

Der lebensgefährliche verletzte Ingenieur Ermyas M. (Foto: Foto: dpa)

Jetzt hat hier erst einmal die Landesgartenschau begonnen. Gerade noch rechtzeitig ist der Bahnhofsvorplatz fertig geworden. Am Donnerstag stand Bürgermeister Ronald Seeger mit der Schere vor dem roten Band und durfte das neue Entree der Stadt freigeben.

Der Mann hat zu tun, jetzt so kurz vor Beginn der Gartenschau, dieser Chance für die Stadt, endlich einmal mit Blumen in den Schlagzeilen zu stehen und nicht schon wieder mit Rechtsradikalen. Mit denen hatte man doch wirklich genug zu tun, damals, als die Asylbewerber der Stadt einen Brief an die Bundesregierung geschrieben haben, sie könnten sich nicht ohne Angst in der Stadt bewegen.

Da ist man doch tätig geworden, hat Präventionsräte eingerichtet, einen Ausschuss gegen Gewalt, Integrationskonzerte veranstaltet. Sogar Lea Rosh war zweimal in der Stadt. So was muss doch helfen.

Und jetzt, so kurz vor der Gartenschau, der Schock mit Potsdam. "Ich möchte nicht an der Stelle sitzen, wo der Jakobs jetzt sitzt", sagt Bürgermeister Seeger.

Jann Jakobs ist der Oberbürgermeister von Potsdam. Der, der jetzt täglich erklären darf, dass in Potsdam doch eigentlich alles ganz anders ist. Gar nicht rechts dominiert, eigentlich ganz harmlos. "Am Ende wird doch immer der Bürgermeister gefragt: Was hast du getan?", sagt Seeger und lehnt ein Glas Sekt ab, das ihm gerade gereicht wird.

Weiß er, dass sich Jugendliche, die nicht rechts sind, an den Wochenenden nicht mehr über die Berliner Straße trauen, weil dort die Rechten lauern? "Das ist doch übertrieben", sagt Seeger. "Wenn ich da langgehe, tut mir keiner was. Aber natürlich: Die Rechten sind da." Und die habe man auch nicht im Griff.

Selbstbewusst treten die Herren auf, auch beim Fußball. Es gibt eine Mannschaft, die in der Stadtliga von Rathenow spielt, eine ganz besondere Mannschaft: Sie besteht aus Mitgliedern der ehemaligen verbotenen Kameradschaft Hauptvolk und des Sturm 27.

"Sportvolk" nennen sich die jungen Männer. Sie sind nicht besonders erfolgreich, aber sie finden immer wieder Mannschaften, gegen die sie spielen können. Alle wissen, aus wem die Mannschaft besteht. Aber beim Fußball, da fallen sie ja nicht auf, da brüllen sie keine Parolen, sagt der Bürgermeister.

Und Fußballspielen sei ja wohl strafrechtlich nicht relevant, oder? "Es gibt niemand in der Stadt, der sagt: Mit denen spiele ich nicht."

Die Klimmzüge der Polizei

In ihrer neuen weißen Polizeiwache am Rand der Stadt sitzen Polizeichef Volkland und seine Leute und erzählen, was sie alles unternehmen, damit sie die Rechten in den Griff kriegen.

Eine eigene Staatsanwältin für rechte Intensivtäter hätten sie gern. Dann müssen sie mal ernsthaft mit dem Privatmann sprechen, der den Rechtsradikalen seine Lagerhalle vermietet hat. Nicht, dass am Ende die Rechten aus dem ganzen Land nach Rathenow strömen. Am 20. April, Hitlers Geburtstag, war man natürlich mit allen Kräften draußen, auf Patrouille - aber an diesem Abend blieb es diesmal ruhig. Kein Eintrag im Polizeibericht.

Als Florian Egert mit zerschlagenem Gesicht und zerrissenem Pullover auf die Polizei zurannte, da, erzählt Volkland, habe man nur gesagt: "Schon wieder Sie, Herr Egert. Ist doch jedes Wochenende dasselbe." Polizist Volkland hat den Einsatz überprüft. Es gebe keinerlei Hinweise, dass sich die Polizisten, die in der Nähe waren, taktisch falsch verhalten hätten. Innerhalb kürzester Zeit seien da die verschiedenen Gruppen aufeinander gestoßen. Man habe Schlimmeres verhindert.

Es ist bekannt in Rathenow, dass Egert einer ist, der sich mit den Rechten anlegt. "Die müssen einen Gegenpol haben", sagt er trotzig. Dafür hat er schon eine dicke Narbe auf der Nase. Und ein rot unterlaufenes Auge.

Er sagt: "Wir kommen uns schon ganz schön allein vor. Außer uns macht doch keiner was." Polizist Volkland will nächste Woche jetzt mal mit der Stadt sprechen, auch wegen des Sportvolks. "Es ist ein bisschen traurig, dass sich immer wieder welche finden, die mit denen spielen", sagt Volkland. Es gebe einfach zu viele Leute, die gleichgültig seien, unpolitisch. "Manchmal fühlen wir uns schon als Alleinkämpfer. Wir als Polizei."

© SZ vom 24.4.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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