DDR-Relikt:Im Kellerpalast der Republik

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Großküche, OP-Saal, Blümchentapete - alles war da, in dem Bunker, in dem Erich Honecker einen Atomschlag überleben wollte.

Renate Meinhof

Wer die Deutsche Demokratische Republik noch einmal riechen möchte, wer im Halbdunkeln mit der Hand über Sprelacart-Platten streichen und Aluminiumlöffel auf ihre vertraute Leichtigkeit hin prüfen will, wer gerne mit Hunderten noch einmal Schlange steht, wie früher nach Südfrüchten und Raufasertapete, der soll jetzt in den Wald fahren und sich anstellen.

Gut gesichert hätte Erich Honecker 14 Tage in seinem Bunker ausharren können. (Foto: Foto: Reuters)

Im Wald nahe dem Dorf Prenden, nordöstlich von Berlin, öffnet sich eine Tür zum "Objekt 17/5001", der unterirdischen Bunkerwelt, von der aus Erich Honecker und sein Nationaler Verteidigungsrat im Falle eines gegnerischen Atomschlages die Führung der NVA-Truppen und des Landes übernommen hätte.

85.000 Tonnen Beton, ein Not-Operationssaal, eine Großküche, die Kommandozentrale, Sendeplätze für Funk und Fernsehen, Entseuchungsduschen. 7500 Quadratmeter Fläche auf drei Etagen. Eine kleine autarke Stadt, in der 400 Menschen 14 Tage lang hätten überleben können. Und dann?

"Tja, und dann ...", sagt Susanne Voß. Sie ist 1965 in Ostberlin geboren, eine schmale Person von nachdenklicher Fröhlichkeit. Im Wehrkundeunterricht in der Schule, im Zivilverteidigungslager, hatten sie ihr beigebracht, dass man, sollte der Westen mit Atomwaffen angreifen, sich eine Plastetüte auf den Kopf legen-und sich, zum Beispiel, hinter einen Baumstumpf retten solle.

Nun gab es aber in der DDR keine Plastetüten (und in Berlin auch nicht genügend Baumstümpfe), und wer doch mal eine Tüte als Füllmaterial im Westpaket bekam, der hütete sie über Jahre wie etwas Kostbares und benutzte sie voll Stolz als Turnbeutel. Nein, so eine Tüte hätte sie nicht dem Strahlensturm der imperialistischen Offensive geopfert. "Diese ganze Welt wird hier ja wieder wach", sagt Susanne Voß und knipst ihre Taschenlampe an, "die Leute wären hinter Baumstümpfen gestorben, und Honecker hatte seinen Bunker".

Mischkompott aus Ungarn

Die Luft schmeckt stumpf und moderig. Auf den Pritschen des "Bedienpersonals" liegt flächig der Schimmel wie Decken aus Schnee. Immer 25 Leute dürfen mit zu einer Führung. Sie kommen von überall. Die Ausländer erkennt man daran, dass sie nichts sagen. Die Westdeutschen, weil sie viel sagen, und Plastik statt Plaste und Resopal statt Sprelacart.

Die Ostdeutschen erkennt man an mittellauten, teils glücklichen Zwischenrufen. "Mensch, so'n Duschvorhang hab' ick ooch noch in der Laube hängen!" (als die Gruppe durch die Entseuchungsduschen zieht). Oder: "Globus Mischkompott aus Ungarn kam zweefünfundsiebzich, siehste?" (in der Küche stehen noch leere Mischkompott-Gläser). Oder, in Honeckers Privaträumen, wo es ein zweites Bett für seine Frau gibt: "Hier hätte Margot jepennt? Jetzt kriegt se Orden von den Genossen in Nicaragua!"

Das Wettrüsten war auf dem Höhepunkt, da begannen 1971 die Planungen für den Bunker. Gebaut wurde von 1978 an. In Prenden ahnten die Leute wegen des Sperrgebiets und der ständig rollenden Transporte, dass im Wald etwas Großes entstehen würde. Es hielt sich das Gerücht, dass es sich um einen Raketenstützpunkt handele. Für die Prendener mag es wie ein später Lohn sein, dass der Bunkerrummel jetzt in manche Kasse Geld bringt. Im "Jagdhotel" gehen Wildgulasch und Soljanka "in Größenordnungen" über die Theke, sagt der Kellner. Und das alles wegen Honecker!

Honecker war nur ein Mal da - ganz kurz

Der betrat den Bunker nur ein einziges Mal. Das war im Dezember 1983, zur Einweihung. Man zeigte ihm alles, dann verließ er das Gelände nach fünfzehn Minuten. Er wohnte nur ein paar Kilometer entfernt, in Wandlitz.

Bis 1989 die Mauer fiel, hielten Tag und Nacht an die zwanzig Techniker den Bunker in Bereitschaft. Vier Jahre nach der Wende wurde er verplombt. Dass die Anlage nun für drei Monate geöffnet ist, um dann vermutlich für immer verschlossen zu werden, dafür hat Hannes Hensel vom Berliner Bunker Netzwerk gesorgt. Es sei die Leidenschaft für verlassene Orte, die ihn dazu gebracht habe. Das Geld, das geflossen ist, um den Bunker begehbar zu machen, hat Hensel vorgeschossen. Wenn die Schlange im Wald bei Prenden über die Wochen nicht kürzer wird, könnte es sich gelohnt haben.

Aber wohin wäre denn nun Erich Honecker 14 Tage nach dem Atomschlag mit seinem Nationalen Verteidigungsrat geflohen? "Es standen Spezialfahrzeuge bereit", sagt Hannes Hensel, "man hätte ihn dann ausgeflogen, vermutlich in Richtung Sowjetunion".

"Nee", sagt Susanne Voß, "der hätte sich 'ne Plastetüte übern Kopf gezogen und hintern Baum gehockt. Und dann?"

"Dann wär' er hops gegangen wie alle andern auch", sagt einer aus der Gruppe, und da drängen schon die nächsten aus der Schlange nach unten.

© SZ vom 4.8.2008/vw - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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