China:Staatsfeindliche Triebe

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Ein chinesischer Professor muss in Haft, weil er Swingerpartys organisiert hat - und das ganze Land diskutiert, wie unmoralisch Gruppensex ist.

Henrik Bork, Peking

Für das Organisieren von Swingerpartys und Sexorgien ist ein chinesischer Professor zu dreieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt worden. Das Gericht in Nanjing in Ostchina warf dem 53-jährigen Ma Yaohai in seiner Urteilsbegründung "unmoralisches Verhalten in der Gruppe" vor. Ma selbst hatte jedoch bis zuletzt keine Reue gezeigt und den Gruppensex als eine "Privatangelegenheit mündiger Bürger" verteidigt. Der Fall hat in China eine landesweite Debatte ausgelöst. Erstaunlich viele Chinesen unterstützen den von den Medien "Swinger-Prof" genannten Ma und halten die Strafe für absurd.

Sex ist in Cina eine äußerst private Angelegenheit - auch wenn die Sexualmoral in den vergangenen Jahrzehnten deutlich freier geworden ist. (Foto: ag.afp)

Von einer anonymen Anzeige alarmiert, hatte die Polizei am 17. August 2009 das Zimmer 120 einer bekannten Hotelkette in Nanjing gestürmt und fünf Swinger "auf frischer Tat" ertappt. Nach und nach wurden dann 22 Mitglieder des Swinger-Clubs verhaftet, den Ma organisiert hatte. Die anderen 21 Angeklagten sind am Donnerstag vergangener Woche ebenfalls zu Haftstrafen bis zu zweieinhalb Jahren verurteilt worden, allerdings wurden ihre Strafen anders als bei Ma zur Bewährung ausgesetzt. Artikel 301 des chinesischen Strafgesetzbuches droht dem "Rädelsführer" oder jedem Teilnehmer von Gruppensex ab drei Personen Haftstrafen bis zu fünf Jahren an.

Die Sexualmoral der Chinesen ist seit Beginn der Wirtschaftsreformen Anfang der 1980er Jahre viel freier geworden. War in der Mao-Zeit noch das öffentliche Händchenhalten oder Küssen verpönt, so sind heute Sex vor der Ehe oder Sex unter Teenagern kein Tabu mehr. Auffällig viele Menschen haben den "Swinger-Professor" daher öffentlich verteidigt. In einer Umfrage des Nachrichtenportals sohu.com bezeichnen 61Prozent der mehr als 30000 Befragten die dreieinhalbjährige Gefängnisstrafe für Ma als "lächerlich". Die Swinger hätten sich freiwillig getroffen und hätten niemandem Schaden zugefügt, fanden sie. Knapp 20 Prozent der Befragten empfanden die Strafe für Ma hingegen als "zu leicht".

Der Professor selbst hat erklärt, er hätte überhaupt nicht gewusst, dass Gruppensex in China strafbar sei. "Ich habe nichts Böses getan", sagte er noch kurz vor der Gerichtsverhandlung und fügte hinzu, dass selbst seine beiden Söhne hinter ihm stünden. Er habe ja niemanden gezwungen, führte er an. Ein Freund hatte Ma im Jahr 2003 in einen Zirkel von Swingern eingeführt. Diese Clubs gibt es mittlerweile in fast jeder chinesischen Stadt. Allein in Nanjing gibt es 20. In ganz China dürften Zehntausende Menschen in ihrer Freizeit solchen Aktivitäten nachgehen.

Der Anklageschrift zufolge war Ma persönlich an 18 Sexpartys beteiligt. Sein Anwalt hatte vor Gericht vergeblich angeführt, dass dies jedes Mal in privater Umgebung stattgefunden hatte, also keine Störung der öffentlichen Moral vorliege.

Auch die bekannte Soziologin Li Yinhe verteidigte den Professor öffentlich. Bereits auf der Tagung des Nationalen Volkskongresses im März hatte sie eine Abschaffung der Strafe für Gruppensex gefordert. "Diese Menschen haben niemanden verletzt, nur soziale Normen", wurde Li jetzt von einer chinesischen Zeitung zum Fall Ma zitiert. Dafür sollte niemand hinter Gitter, sagte die Sexualforscherin.

© SZ vom 26.05.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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