China:"Es war die Hölle"

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Massenpanik nach vermeintlichem Geld-Regen: An Silvester sterben in Shanghai mindestens 36 Menschen. Die Tragödie erinnert an eine ähnliche Katastrophe vor zwei Jahren in Afrika.

Es war die Hölle", berichten Überlebende nach der Massenpanik in Shanghai, "entsetzlich." Hunderttausende drängten sich am Bund, der legendären Uferpromenade der ostchinesischen Hafenmetropole, sie hofften am Silvesterabend auf ein farbenfrohes Spektakel. In einer bösen Vorahnung hatte die Stadtregierung wie im Vorjahr die geplante Lasershow und das Feuerwerk um Mitternacht kurzfristig abgesagt. Es wurde befürchtet, dass die Massen nicht zu kontrollieren sein könnten. Diese Angst wurde tragisch bestätigt. Nachgemachte Geldscheine sollen der Auslöser für die Tragödie gewesen sein.

Der Ansturm war gewaltig. Viele waren trotz der Absage des Feuerwerks gekommen oder hatten nicht einmal davon gehört. Die Menschenmassen standen auf den Straßen, den erhöhten Uferterrassen und ihren Treppen, um zumindest die allabendliche bunte Lichtershow auf den grandiosen Hochhäusern auf der anderen Seite des Huangpu-Flusses zu verfolgen. "Die Stufen waren voller Menschen", schildert ein Augenzeuge im Internet. Die einen hätten hoch gewollt, die anderen hinunter. "Wir waren in der Mitte gefangen und sahen, wie einige Mädchen schreiend hinfielen", berichtet eine Augenzeugin laut Staatsagentur Xinhua. "Reihe für Reihe fielen die Leute dann hin."

"Einige riefen nach Hilfe, aber der Lärm war zu groß", sagen Augenzeugen

Die Katastrophe begann nach amtlichen Angaben 25 Minuten vor Mitternacht, um 16.35 Uhr mitteleuropäischer Zeit. "Die Massen waren in Panik", schildert ein Mann. "Wir standen in der Menge, wurden zusammengequetscht und bekamen kaum noch Luft", erzählt er. "Einige riefen nach Hilfe, aber der Lärm war zu groß." Während die Tragödie unaufhaltsam ihren Lauf nahm, wurden an anderer Stelle die letzten Sekunden des Jahres bis Mitternacht gezählt: "Fünf, vier, drei, zwei, eins . . ." Da versuchten Helfer schon verzweifelt, die ersten am Boden liegenden Opfer aus der Menge zu ziehen oder sie wiederzubeleben. "Die Polizei versuchte zu helfen, aber vergeblich, weil es viel zu viele Menschen waren", berichtet ein Augenzeuge namens Xiao Ji in chinesischen sozialen Medien. Er habe verzweifelt versucht, Gestürzte aus der Menge zu bergen, habe sie aber erst nicht rausziehen können. "Ich sah, wie vor mir einer nach dem anderen bewusstlos wurde." Erst später habe er einige bergen können. "Nicht vorstellbar: Du liegst am Boden. Jemand zieht dich von hinten an den Haaren hoch, um dich auf die Beine zu bringen. Direkt vor dir bittet dich ein Mädchen, ihr Leben zu retten, und sagt, dass sie stirbt, während jemand anderes einfach nur reglos daliegt", schreibt ein örtlicher Journalist laut Xinhua auf seinem Konto beim Kurznachrichtendienst Sina Weibo.

Was die Massen so unkontrolliert und katastrophal ins Wanken brachte, sollen nachgemachte Geldscheine gewesen sein, die "wie Schnee vom Himmel" fielen, wie ein Augenzeuge sagt. Aus einem Fenster im dritten Stock des Gebäudes an der historischen Adresse Bund 18 seien sie geflattert, sagen die einen, andere berichten davon, dass die Scheine vom Dach geworfen worden seien. Das Internet ist voll von Bildern dieser falschen Geldscheine, die wie Hundert-Dollar-Noten aussehen und einen Aufdruck "M18" und "Neujahr 2015" haben. Die Aktion war wohl eine Idee des luxuriösen Clubs M18. Die Vergnügungsstätte stellt sich als "Shanghai's Sexiest Boutique Nightclub" vor und bietet vom vierten Stock einen imposanten Blick auf die Skyline von Pudong.

"Da wird Geld geworfen", riefen Menschen auf der Straße - und glaubten an einen unverhofften Dollar-Regen. "Die Leute nahe am Gebäude eilten zuerst los", schildert ein Augenzeuge der Agentur Xinhua. "Dann wehten die Scheine durch starken Wind auf die Aussichtsplattform. Viele wollten sie greifen." Daraufhin stürzten die ersten in der Masse. Am Ende sind 36 Menschen tot, kämpfen 13 Schwerverletzte nach amtlichen Angaben im Krankenhaus um ihr Leben.

Die Polizei wollte den Geldschein-Regen als Ursache für die Panik zunächst nicht bestätigen. Der Vorfall werde noch untersucht, erklärte sie in einer Pressekonferenz, zu der ausländische Medien nicht zugelassen wurden. Die Bar, von der die Geldscheine fielen, war am Donnerstag zunächst geschlossen. Mitarbeiter waren nicht zu einer Stellungnahme bereit.

Aussagen von Anwohnern, in der Neujahrsnacht seien weniger Polizisten vor Ort gewesen als in den vergangenen Jahren, entgegnete ein Polizeivertreter: Für den Bund-Bezirk sei nach der Absage der Feierlichkeiten keine offizielle Großveranstaltung geplant gewesen, sodass keine große Polizeipräsenz notwendig gewesen sei. Chinas Präsident Xi Jinping rief die Führung von Shanghai auf, den Vorfall restlos aufzuklären.

Die Katastrophe von Shanghai erinnert an das Unglück von Abidjan in der Elfenbeinküste vor zwei Jahren, als bei den Neujahrsfeiern 62 Menschen starben. Nach dem Ende des Feuerwerks gegen ein Uhr morgens waren damals mehr als zwei Millionen Menschen auf dem Weg nach Hause. Vor dem Haupteingang eines Stadions sowie in einigen wenig beleuchteten angrenzenden Straßen sei es zu einem enormen Gedränge gekommen. Die Menschen sind damals totgetrampelt worden oder erstickt.

© SZ vom 02.01.2015 / SZ, dpa, afp, rtr - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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