CeBIT:Verloren im Land der Maschinenmenschen

Lesezeit: 3 min

Die Zukunft soll sie darstellen. Trends, Tipps, Technik. Branchenfremde Besucher hinterlässt die Computermesse jedoch im Zustand allergrößter Verwirrung.

Martin Zips

In Halle 5 an Stand C46 leuchtet einem plötzlich etwas ganz Besonderes entgegen. Etwas, das irgendwie so gar nichts mit RFID zu tun hat. Auch nichts mit DVB-H, DMB, IPTV, HD-DVD, DVB-T oder VoiP. Etwas, das nicht metallisch, klein und viereckig ist und weder Blue-Tooth, noch GPS besitzt. Es ist: Obst.

"Wie? Wo drücken? Da? Nein?" Manche Besucher sind verwirrt. (Foto: Foto: AP)

"Ich bin überzeugt, dass die Menschen von den Ergebnissen ihrer Leistungsfähigkeit irgendwann überfordert werden", hat Günter Grass einmal gesagt. Und es stimmt: Wer die Wahrheit dieses Satzes am eigenen Leib erfahren möchte, der ist noch bis Mittwoch in Hannover-Laatzen zwischen 6300 Ausstellern aus 70 Ländern bestens aufgehoben. Überall blinken Flachbildschirme, piepsen Handys, klicken Tastaturen, rufen kahlköpfige Herren in dunklen Anzügen in ihre Ohrmikrophone, während sie zwischen Robotern und Drei-D-Brillen an den Bonbon- oder Gummibärchen-Schälchen der Cebit-Stände ihren flüchtigen Hunger stillen.

Wie sehr dem Umherirrenden in dieser akkubetriebenen Graphikkarten-Welt da der Anblick des Standes C46 in Halle 5 beglückt! Hier liegen Äpfel, Birnen, Ananas und Orangen ruhig und friedlich nebeneinander - nur mitnehmen darf man sie nicht. Darüber wacht Nina aus Langenhagen.

Hotelfachfrau Nina sagt, sie habe schon auf diversen Messen gearbeitet. Meist musste sie dabei nur lächeln und Prospekte austeilen. Für 150 Euro am Tag läuft sie nun auf der Cebit Menschen hinterher, die sich am Stand ihres Auftraggebers, einer Essener Logistik-Firma, heimlich eine Ananas einstecken möchten. Und während sie erklärt, dass der Obststand eigentlich nur ein Blickfang sei, kein Selbstbedienungsladen, und während sie verschreckten Messebesuchern am Ende dann doch einen Apfel zusteckt, erfährt man von Nina viel. Vor allem über die Logistik-Firma.

Ohne Blickfänger geht auf der Cebit gar nichts. Sie tanzen um Rucksäcke herum, an die man einen Kopfhörer anschließen kann. Sie machen Staubsauger, die automatisch den Weg unter dem Küchentisch hindurch finden, irgendwie sexy. Sie zeigen auf Jacken, mit denen der Arbeitgeber via Internet seine Mitarbeiter zentimetergenau orten kann. Ralf Matten ist der Blickfang am Stand der Ortungs-Jacke.

Nur mit Muskelkraft

Den 41-jährigen Frankfurter kann man als Mr. Rob mieten. Weil er so gut zucken und wie ein Roboter sprechen kann, wird er sehr gerne für Technikmessen gebucht. Eigentlich wollte er Autoelektriker werden, doch dann hatte der ehemalige Breakdancer die Idee, eine Maschine zu spielen. Und weil die ganze Welt immer technisierter, immer schneller und immer digitaler wird, kommt so jemand wie Ralf Matten prima an beim Publikum. "Diese Zuckungen unter der Jacke, mit welchen Sensoren kriegen sie die so perfekt hin?", will ein Cebit-Besucher wissen.

"Ganz einfach", sagt Mr.Rob. "Ich setze meine Muskeln ein." Da ist der Besucher ganz verblüfft. Auf so einer Messe rechnet man ja mit vielem. Damit eher nicht. Am Nachbarstand erkundigen sich drei Frauen über die Vor- und Nachteile von Anti-Elektrosmog-Jacken. Kurz gesagt: Wer eine Elektrosmog-Jacke über der Ortungs-Jacke vom Stand des Mr. Rob trägt, der ist für seinen Arbeitgeber plötzlich wieder unsichtbar. Toll.

Es ist die Technik, die ihre Muskeln spielen lässt. "Wenn Sie sich die Informationen unseres Standes auf ihre Smart-Card laden wollen", ist in Halle 6 zu lesen, "so halten sie ihre Smart-Card bitte an den Red Dot". Am Eingang einer anderen Halle bekommen Besucher Strichcodes verpasst, mit denen genau nachvollzogen werden soll, wie lange sie sich wann wo aufhalten. Was ein bisschen stört in dieser Technik-Welt, sind die Verbindungstüren der einzelnen Messehallen. Die muss man noch immer mit der Hand aufmachen. Außerdem dauert es auf den Toiletten, bis der Sensor in den Wasserhähnen erkennt, dass man seine Hände waschen möchte. Früher hätte man hier einfach den Hahn aufgedreht.

Student im Froschkostüm

Jedenfalls schön, dass sich an den Ständen neben Zehntausenden von Computern und Special-Interest-Geräten auch noch ganz gewöhnliche Menschen finden. Die hätte man ja konsequenterweise auch durch Roboter ersetzen können. Aber so passt eben Nina auf, dass niemand einen Apfel klaut - nicht etwa ein elektronisches Auge. Und statt eines Sensors zuckt Herr Matten höchstpersönlich mit der Brust. "Vor lauter Technik darf man den Menschen nicht vergessen", sagt Markus Hauser, ein Theologe, der im hintersten Winkel von Halle 27 die Weltreligionen auf Bildschirmen miteinander kommunizieren lässt. Ein bisschen Moral muss eben auch sein, auf so einer Messe. Ist gut fürs Image.

Derweil steckt Industriemanagement-Student Dennis, 21, in einem stickigen Frosch-Kostüm und darf Handzettel verteilen. Gabriele bietet aus Werbezwecken eines Software-Herstellers Wohlfühl-Massagen für leidgeprüfte Büro-Rücken an. Nadine schwingt als lebende Justitia-Statue Schwert und Waage für den Erfinder eines Finanzbuchhaltungs-Programms. Und ein BWL-Student läuft für zehn Euro Stundenlohn als riesiges Stoffhandy herum. Viel Ahnung von Computern haben sie eher nicht.

Es gibt immer noch Menschen, die mit Bleistift oder Kuli schreiben, nicht mit der Tastatur. Typen, die bei "DDR-Speicher" an Sozialismus denken und bei Chips an Kartoffeln. Ohne Nina, Dennis und Nadine wären sie auf der Cebit sehr, sehr allein.

© SZ vom 13.3.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: