Brasilien vor dem Papstbesuch:Ein Mikrofon für Gottes Stimme

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Benedikt bereist ein Land, das als Hochburg der Katholiken galt - inzwischen müssen Priester wie Popstars sein, um die Seelen zu berühren. Nur noch Geistliche mit den Entertainer-qualitäten locken die Gläubigen in die Kirchen.

Peter Burghardt

Die Show des Popstars unter Brasiliens Priestern beginnt mit Lied Nummer fünf seiner neuen CD, die Gemeinde springt sofort aus ihren weißen Plastikstühlen. "Sei das Zentrum, sei alles in meinem Herzen, Herr", singt Padre Marcelo Rossi im weichen Portugiesisch, als er zur Musik seiner Band die Bühne betritt.

(Foto: Foto: dpa)

Er bekreuzigt sich im Takt. "Sei das Leben in meiner Brust, jeden Tag und ewig", stimmen 15.000 Kehlen mit ein, "Jesus, Jesuuuus." Jeder hier kennt die Texte und Melodien, man braucht keine Gesangbücher wie bei gewöhnlichen Gottesdiensten.

Das aktuelle Werk mit dem Titel "Minha Bencao" (Mein Segen) belegt im Reich der Samba Platz drei der nationalen Verkaufs-Charts, und wer es noch nicht hat, der bekommt das Opus an den Souvenirständen für 20 Reais, sieben Euro. "Hey", ruft Rossi, "lauter", und streckt die rechte Faust nach oben. Die rote Soutane mit goldenem Kreuz und weißen Ärmeln leuchtet im Scheinwerferlicht.

Seine eigenwillige Kirche im grauen Arbeiterviertel Santo Amaro am Rande von Sao Paulo ist an diesem Feierabend voll wie üblich, drinnen verstummt der Berufsverkehr. Der frühere Sportlehrer Rossi füllt auch Fußballstadien und die Rennstrecke der Formel 1, seit er als Pfarrer im größten katholischen Land der Erde zum berühmtesten von ungefähr 130 Millionen Katholiken aufstieg.

Früher war diese Basis von Rossis Diözese eine Lagerhalle und sieht immer noch so aus, bloß steht an den Betonpfeilern nun "Frieden", "Gott", "Jesus", "Maria", "Glauben", "Familie", "Liebe". Inzwischen heißt der Flachbau "Heiligtum Dritter Byzantiner" und wird fünfmal pro Woche zu einer Mischung aus Konzertsaal, Turnhalle und Kathedrale.

"Herr, hab' Erbarmen mit uns", flötet Rossi und lässt seine Kapelle mit einem lockeren Fingerschnippen den Rhythmus wechseln. Sein Anhang wippt in seliger Ekstase.

Gefragt sind Entertainer

Neben dem Altar hängt ein Bild von Papst Benedikt XVI., der von Mittwoch an vier Tage lang Brasilien besucht. Joseph Ratzinger würde bei diesem Spektakel vermutlich einen Schrecken bekommen, doch er muss dem schlanken Hünen von fast 40 Jahren und zwei Metern Größe dankbar sein.

Marcelo Rossi ist der Anführer jener sogenannten Charismatiker, die diese Hochburg des Heiligen Stuhls vor weiteren Verlusten verteidigen. Ein Drittel der Gläubigen wandte sich ab - nur noch sechs bis sieben von zehn Brasilianern bezeichnen sich als katholisch, einst waren es 95 Prozent. Dank Entertainern wie Rossi wurde der Schwund gebremst, und das nach dem verfeinerten Muster evangelischer Rivalen, zu denen viele Seelen übergelaufen sind.

"Wer ist zum ersten Mal hier?" fragt der Pfarrer mit smartem Dauerlächeln. Viele Hände heben sich. "Wer kommt immer?" Noch viel mehr Hände heben sich. Triumphierend nennt er eine Statistik, wonach die Abwanderung gestoppt sei. "Ich bin katholisch, Amen", wird gemeinsam gesungen, es folgt eine Ballade.

Die wichtigsten Konkurrenten sind nur ein paar Ampeln und Industrieanlagen weiter zugange. Die Igreja Universal do Reino de Deus, die Universalkirche vom Reich Gottes, hat ihr örtliches Zentrum in einem Kasten mit eigener Tiefgarage und dem Charme eines Flugzeughangars. In dem Gotteshaus sieht es aus wie bei einem Parteitag der chinesischen KP, mit 6000 Sitzen aus rostbraunem Kunstleder.

Nebenan steht das neunstöckige Verwaltungsgebäude dieser erfolgreichsten Sekte des Landes, die kühle Lobby schmückt eine goldgerahmte Darstellung des Garten Eden. Die Organisation führt allein in Sao Paulo mehr als 200 Filialen und Tausende weltweit, die Mitgliederzahlen gehen in die Millionen. Missionare schwärmen aus nach Asien und Afrika, die treuesten Kunden finden sich in der Unterschicht. Die Pfingstkirchler glauben an die Wiedergeburt nach der Taufe, die Rückkehr Jesu. Und freitags wird der Teufel ausgetrieben.

Ein Priester mit hellem Hemd, dunkler Krawatte und sehr lauter Stimme tigert zu sphärischem Orgelspiel über das Podium, assistiert von jungen Männern. "Jesus Christus ist der Herr" steht darüber, "wer mir dient, den wird der Vater belohnen" steht daneben. "Hinaus mit dem Bösen aus diesen Körpern, raus!", brüllt der Exorzist, weg mit Krankheiten, Gewalt, Alkoholismus, Prostitution, Arbeitslosigkeit und anderen Plagen.

Mitarbeiter fassen Hilfesuchende an den Köpfen und nehmen sie in eine Art Schwitzkasten, auf dass der Dämon verschwinde. Eine Frau zuckt und kreischt in Trance, lacht hysterisch - es ist wie eine kommerzielle Version afrikanischer Kulte, die vor allem schwarze Brasilianer praktizieren.

Zur weiteren Reinigung müssen die Jünger ein erleuchtetes Kreuz durchschreiten. Und zur vollständigen Befreiung verlangen die Wunderheiler eine möglichst üppige Spende, den Zehnten; die Gabe kann in vorgedruckten Briefumschlägen abgegeben werden.

Selbst ernannter Bischof mit globalem Imperium

Mit solch zupackender Bekehrung lässt sich viel verdienen, das hat der Anführer Edir Macedo gut erkannt. Der vormalige Lotterieverkäufer aus Rio de Janeiro gründete die Universalkirche 1977, angeblich im Hinterzimmer eines Begräbnisinstituts, und ernannte sich selbst zum Bischof. Inzwischen untersteht ihm ein globales Imperium mit eigenen Medien und Schulen, der Chef wohnt als Multimillionär mit Privatjet in New York, in der Heimat versammelt er schon mal 200.000 Anhänger im Maracana-Stadion.

"Pare de sofrer", hör' auf zu leiden, lautet das Motto seiner Seelenfänger, die in Schnellkursen ausgebildet werden. Satiriker machen daraus den Ratschlag "pare de pagar", hör' auf zu zahlen, doch die Scheine landen bündelweise in den Klingelbeuteln und stärken auch den politischen Einfluss. 2005 nahm die Polizei einen Parlamentsabgeordneten und Universal-Funktionär mit umgerechnet mehr als drei Millionen Euro in Kisten am Flughafen von Brasilia fest, offenbar Spendengelder.

Freikirchliche Konkurrenz

Entsprechend ungern lässt sich das Unternehmen hinter die Kulissen schauen. Filmen, fotografieren und Tonaufnahmen sind in ihren Tempeln verboten, die Igreja Universal do Reino de Deus hat ihren eigenen Fernsehsender, das landesweit erfolgreiche Rede Record. Gesprächswünsche werden abgelehnt.

Man habe mit Journalisten schlechte Erfahrungen gemacht, erläutert der scheue PR-Beauftragte Carlos Gutemberg hinter getönten Scheiben der juristischen Abteilung, "es gibt viele Missverständnisse." Er kam vor 17 Jahren dazu, nachdem seine Großmutter bei den Universalisten von nervösen Attacken geheilt worden sei, verrät Gutemberg - offiziell darf er ohne Genehmigung der Vorgesetzten gar nichts erzählen.

Ersatzweise überreicht er den Besuchern einen Stapel hausgemachter Zeitungen und geleitet sie in den kitschigen Devotionalienladen. Dort liegen Videos und Käppis und T-Shirts mit Aufschriften wie "No drugs, yes Jesus". Von Rossis und anderen Angeboten unterscheidet sich das nur geringfügig.

Längst werben alle möglichen Varianten auf diesem Jahrmarkt der Religionen, der besonders in sozialen Randlagen ankommt. Brasilien mit seinen Villen und seinen Bretterbuden, seinen Models und seinen Drogengangs geriet zum spirituellen Experimentierfeld, der starren Liturgie der Kardinäle lief das Volk in Scharen davon.

Junge Wellenreiter als Stammgäste

Die Assambleia de Deus gibt es schon lange, dazu kamen die Adventskirche des Siebten Tages, die Kirche des Vierwinkligen Evangeliums. Und im gutbürgerlichen Viertel Perdizes von Sao Paulo empfängt die Church Bola de Neve, die Schneeballkirche. Zu den Stammgästen zählen junge Wellenreiter mit weiten Klamotten und Mädchen in engen Jeans, als Altar dient ein umgedrehtes Surfbrett.

"Halleluja", brüllt der Erfinder und Pastor Rinaldo Pereira, er trägt Turnschuhe und war zuvor Marketingexperte eines Lebensmittelkonzerns. Bei ihm spielt eine Combo Pop bis Punk, man nähert sich ebenfalls tanzend und singend der Verheißung. Zwischendurch wird Geld gesammelt, insgesamt spendierten die Brasilianer allen Kirchen zuletzt 1,8 Milliarden Euro, laut einer Erhebung glauben 97 Prozent an Gott.

Paulo Suess behagt die Entwicklung zum Supermarkt wenig, nachdenklich schaut er durch seine Brillengläser, wenn er solche Phänomene erklären soll. Der katholische Theologe, geboren 1938 als Günther Suess in Köln und 1964 am Augsburger Bistum zum Priester geweiht, lebt seit 40 Jahren in Brasilien und seit 20 Jahren bei den Franziskanern in Sao Paulo, der chaotischen und faszinierenden Metropole zu Ehren des Apostel Paulus. Seine Dissertation schrieb er zum Thema Volkskatholizismus, der dem Riesenreich zunehmend abhanden kommt. "Wir haben noch nicht so ganz geschnallt, dass da ein Exodus stattfindet", sagt Suess. Bei einer Studie konnte sich die Hälfte der Befragten nicht mal an den Namen des Pontifex Benedikt XVI. erinnern. Andere Umfragen kamen zu dem weniger überraschenden Ergebnis, dass die meisten Katholiken dieser sinnlichen Gesellschaft außerehelichen Sex und Verhütung für normal halten, Kondome tragen den schönen Namen camisinha, Venushemdchen.

Der Klerus mit seinem Mangel an Seminaristen und Übermaß an Regeln ist schwerfälliger als die Freikirchen, deren Aktivisten in Scharen an die Peripherie ausschwärmen. Oft sind die Bischöfe entrückt von der Wirklichkeit und denen, die Beistand am nötigsten haben. "Schauen wir uns doch an, wie diese Leute leben", sagt Suess, er kennt die Favelas an den Hängen der Städte und die Ureinwohner im Dschungel.

"Zum Glück ist Gott Brasilianer und der Vatikan weit weg"

Der Einwanderer aus Deutschland war lange Seelsorger am Amazonas und Vorsitzender des brasilianischen Indigenenmissionsrates. Er erlebte, wie die Armen immer ärmer und die Reichen immer reicher wurden, die Einkaufszentren wuchsen und die Slums. Er begleitet die Landlosen bei ihren Protesten gegen Großgrundbesitzer, das missfällt den Vorgesetzten.

Sein Vertrag an der Universität wurde vor kurzem gekündigt - die Befreiungstheologie ist in Rom traditionell so beliebt wie der Marxismus. "Zum Glück ist Gott Brasilianer und der Vatikan weit weg", scherzt Suess. Das mit Gott und Brasilien ist ein geflügeltes Wort, mit den vermeintlichen Erneuerern kann er allerdings auch nichts anfangen.

Marcelo Rossis Auftritte sind für ihn "Verdummung und Einlullung, die Rückentwicklung zu kindlicher Frömmigkeit, das ist nicht im Sinne des Mysteriums". Als Student sei Rossi beinahe durchs Examen gerauscht. "Aber in einem Geschäft, in dem Flaute herrscht, freut man sich über jeden, der die Kirche füllt", spottet Paulo Günther Suess.

"Solange der Papst anerkannt, die Eucharistie verteidigt und Maria auf ein Podest gestellt wird, kann nichts passieren." Rossi "nimmt die Leute mit", wie die Universalkirchen und andere Evangelisten. "Die einfachen Leute sind ihrer Armut so müde, die wollen ihren Alltag vergessen. Viele wollen dem Wunder entgegen laufen."

Zwischen Fußball und Jesus

Gelegentlich fordert Antreiber Rossi zur Gymnastik auf, einer seiner Hits nennt sich "Die Freude, des Herrn Aerobic". Diesmal fällt seine Aufführung vergleichsweise besinnlich aus. Die Leuchtstoffröhren unter der niedrigen Decke des "Heiligtum Dritter Byzantiner" erlöschen, Kerzen werden angezündet.

Auch die sind im PR-Bereich erhältlich, am besten in einem Set samt Öl für die Segnung und Salz, das zuhause böse Geister vertreiben soll. "In jeder Kerze ein Leben", haucht Rossi im Halbdunkel ins Mikrofon. "Hebe jeder die Hand, der einen Arbeitslosen in der Familie hat", es melden sich ältere und auch ein paar jüngere Frauen. Die Frage fließt harmonisch in das Stück "Filho da luz", Sohn des Lichts, "im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes", er pflegt den nötigsten Teil des Katechismus.

Sonntags wird die Zeremonie auf Tele Globo übertragen, dem bedeutendsten Kanal Lateinamerikas, auch in ferne Länder. Dazu preist Rossi auf Rede Vida in seiner täglichen Sendung Jesus - geistliche Fernsehprogramme sind in Brasilien so beliebt wie Fußballspiele, die Zuschauer werden animiert wie Fans, viele Profis sind streng gläubig.

"Wenn eure Mannschaft ein Tor schießt, schreit ihr dann nicht?" will Rossi wissen. "Was ist wichtiger im Leben, Fußball oder Jesus?" Irgendwann soll es noch bombastischer zugehen, der Gastgeber lässt mit Hilfe frommer Gaben in Santo Amaro ein riesiges "Heiligtum Maria Mutter Gottes Theotokos" bauen, mit Platz für 100.000 Gläubige und einem Altar von 430 Quadratmetern. Das 46 Meter hohe Kreuz überragt die evangelische Konkurrenz um Längen, sicher wird es dazu eine potente Musikanlage geben.

Nach anderthalb Stunden neigt sich Rossis Andacht dem Ende entgegen. Besucher weinen bewegt, eine ältere Dame wird ohnmächtig und im Rollstuhl aus der Menge geschoben. "Unser Glauben hat sich gefestigt", berichtet eine Frau von Mitte zwanzig, "die Messe ist anders als andere, deshalb kommen so viele Jugendliche."

Die verbrauchte Luft riecht nach Weihrauch und überdeckt den Gestank des verdreckten Flusses vor den Toren. Am Abendmahl nehmen Gitarrist, Bassist, Schlagzeuger und Keyboarder musizierend teil, dann lassen sie den Abend mit dezenten Soli ausklingen. Zum Schluss drängen sich Rossis Groupies am Bühnenrand, der Pastor und Bandleader hat noch eine letzte Überraschung: Aus Champagnerkübeln schüttet er das Weihwasser ins kreischende Publikum - wer nass wird, geht glücklich nach Hause.

(SZ vom 7.5.2007)

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