Um 2:29 Uhr ist alles vorbei. Die Bombe entschärft, der Zünder mit einem Wasserstrahlschneider unschädlich gemacht. So verfrachtet der Kampfmittelräumdienst spät in der Nacht nur noch einen alten, schweren, rostigen Metallklumpen mit einem Schaufelbagger auf die Ladefläche eines Lasters.
Eine Stunde hatte der Sprengmeister in Hannovers Südstadt an der Bombe gewerkelt. "Wir sind alle erleichtert. Es ist gut über die Bühne gegangen", erklärt ein Feuerwehrsprecher. Dann gibt er das Zeichen, dass die Menschen in ihre Wohnungen zurückkehren können. Hannover durfte endlich schlafen gehen.
Die Stunden zuvor sind aufreibend gewesen. Voller Unruhe, ob der größten Evakuierungsaktion, die die Stadt je erlebt hat. Voller Ungewissheit, wie die Nacht für die Menschen in den Notunterkünften ablaufen würde. Und auch mit etwas Angst, ob wirklich alles gutgehen, ob die eigene Wohnung bei der Rückkehr tatsächlich unversehrt sein würde.
Bombe lag unter Schulgebäude versteckt
Jeder weiß, dass Hannover im Zweiten Weltkrieg mit Bomben übersät wurde, die Stadt ist es gewöhnt, dass alte Blindgänger gefunden werden. Doch so dramatisch wie diesmal war es lange nicht. Bei Bauarbeiten auf dem Gelände einer ehemaligen Grundschule in der Birkenstraße im Süden der Stadt war am Dienstagvormittag eine 250-Kilo-Bombe gefunden worden. Vermutlich aus jener Nacht im Zweiten Weltkrieg, als US-Fliegerverbände 261 000 Bomben auf die Stadt abwarfen. Mehr als 70 Jahre hatte die Bombe hier gelegen, versteckt unter einem maroden Schulgebäude - nun wurde sie nach dem Abriss des Gebäudes von einem Bagger ans Tageslicht befördert. Das Problem: Die Südstadt ist ein sehr dicht besiedelter Stadtteil. Ein enges Wohngebiet, mit kleinen Geschäften und Restaurants, Hotels, Altersheimen und Schulen. Die Parkplatzsituation ist eine der schlechtesten in ganz Hannover - wer mal einen Parkplatz findet, lässt sein Auto danach am besten stehen und nimmt den Bus, so eng ist es hier.
Die Liste der Polizei umfasste 103 Straßen, die geräumt werden mussten. Ein umfangreiches Sperrgebiet: vom nordöstlichen Maschseeufer hinauf bis zur Marienstraße, fast runter bis zum Altenbekener Damm. 2011 in Koblenz waren einmal 45 000 Menschen von einer Evakuierung betroffen, in Hannover sollten es 31 000 sein - die Dimension einer Kleinstadt. Und es blieb nur wenig Zeit: Denn die Bombe, so erklärte der Kampfmittelräumdienst, müsse noch am gleichen Abend entschärft werden. Alles andere sei ein nicht zu verantwortendes Sicherheitsrisiko.
Abiturprüfung verschoben, Konzerte abgesagt
Das geregelte Leben in der Stadt wurde im Nu aus den Angeln gehoben. Über die Medien wurden die Hannoveraner den ganzen Nachmittag über informiert, was auf sie zukommt. Konzerte wurden abgesagt, das Wilhelm-Raabe-Gymnasium verschob seine mündlichen Abiturprüfungen. Auch das Stadtarchiv brachte seine besonders wertvollen Stücke in andere Gebäude. Knapp konnte ein großes Krankenhaus, das Henriettenstift, aus dem Evakuierungsgebiet herausgehalten werden. Parallel wurde am Fundort der Bombe mit Überseecontainern ein Schutzwall errichtet, der Splitter und Druck abfangen soll - falls doch etwas schiefgeht.
Von 19 Uhr an fuhren Polizei- und Feuerwehrfahrzeuge durch die Straßen, über Lautsprecher wurden die Menschen mit metallisch scheppernden Ansagen aufgefordert, bis 20 Uhr ihre Wohnungen zu verlassen. Die Senioren aus den Altersheimen wurden abgeholt, in andere Heime gebracht. Das dauerte, erst gegen 1:30 Uhr tief in der Nacht melden die Behörden: "Die Sicherheit ist gegeben." Der Sprengmeister konnte sich an die Arbeit machen.
Ein Szenario, das jederzeit wieder vorkommen könnte
Davor wirkte es teilweise wie im Krieg. Hubschrauber kreisten über der Südstadt, die Straßen menschenleer. In kleinen Gruppen liefen Polizei und Feuerwehr zu Fuß die Straßen ab, klingelten an Häusern, ließen einzelne Wohnungen aufbrechen - bis wirklich Gewissheit herrschte, dass niemand mehr im Gebiet weilte. Die trubelige Hildesheimer Straße, wo sich sonst auf vier Spuren eng gedrängt die Autos entlangschieben, war wie leer gefegt. Er danke den Bürgern "außerordentlich für Verständnis und Geduld", so der zuständige Feuerwehrdezernent Harald Härke.
Für alle, die keine Bleibe fanden, wurde die Swiss Life Hall am Sportpark geöffnet. Wo sonst die Handballer des TSV Hannover-Burgdorf spielen oder sich bei Konzerten bis zu 6000 Menschen drängen, wurden Betten für die Nacht errichtet. Es gab Getränke, Suppe wurde ausgeteilt. 1400 Menschen kamen hierher, etwas weniger als erwartet. Die meisten waren bei Freunden und Familie untergekommen. Dort erhielten sie tief in der Nacht die Nachricht, dass auch diesmal alles gutgegangen war.
Am Morgen danach scheint die Sonne müde über Hannover. Die wichtigsten Fragen lassen sich recht zügig beantworten. Wer kommt für die Kosten des Einsatzes auf? Die Stadt Hannover. Wird Gastronomen und Geschäftsinhabern der Verdienstausfall ersetzt? Nein, sie bleiben auf ihren Kosten sitzen. Und kann sich so ein Szenario in Hannover wiederholen? Diese Antwort ist besonders eindeutig: leider ja.