Blumenmeer:Die Wallstreet der Rosen

Lesezeit: 4 min

Auf der weltgrößten Börse ihrer Art in Aalsmeer wechseln täglich 30 Millionen Blumen den Besitzer - vor Muttertag herrscht Hochbetrieb.

Paul-Anton Krüger

Über den Wiesen um Aalsmeer hängen wattige Nebelbänke, Schafe stehen auf der Weide, die Sonne steigt gemächlich höher. Friedliche Morgenstimmung kommt trotzdem nicht auf. Minütlich grollen Flugzeuge mit ausgefahrenem Fahrwerk über monströse Hallen aus Blech und Waschbeton hinweg.

Hier hat der Tag schon längst begonnen. Durch den Kreisverkehr zwängt sich die ganze Nacht über ein Strom Tausender Kühllaster. Aus den ganzen Niederlanden und vom nahen Amsterdamer Flughafen Schiphol schaffen sie Blumen hierher; 13 500 verschiedene Sorten, zu jeder Jahreszeit.

Um die 19 Millionen Stück pro Nacht, geschnitten nur ein paar Stunden zuvor. In der Woche vor Muttertag sind es bis zu 30 Millionen Blumen, die an einem einzigen Tag den Besitzer wechseln, hier an der Bloemenveiling Aalsmeer, der größten Blumenversteigerung der Welt.

Drinnen gleißt kaltes Neonlicht. Ein Schwarm kleiner roter Elektrotrecker flitzt durch die Hallen, im Schlepptau Schlangen von scheppernden Aluminiumwagen, Dutzende Meter lang. Dicht an dicht ragen Blüten hervor aus den sandfarbenen Plastikbehältern, die sich auf den Etagen der Trolleys stapeln.

Von den Stegen, die hoch über dem chaotisch anmutenden Arrangement hinwegführen, sieht es aus, als hätte jemand quadratmeterweise Stücke aus einem Teppich knallgelber Sonnenblumen geschnitten, aus orangen Gerbera oder violetten Tulpen.

Doch Blumenduft erschnuppert die Nase in der kühlen Luft allenfalls in homöopathischen Dosen. Und das Auge müht sich vergebens, das Tohuwabohu da unten zu entwirren. Dennoch, es folgt einem strengen System, das allein einem Gebot gehorcht: Geschwindigkeit.

Die Schönheit, die hier gehandelt wird, ist vergänglich. Ein Zehntel ihres Werts büßt eine Blume ein mit jedem Tag, der auf dem Weg in den Laden vergeht. Den Händlern ist nicht nach langem Feilschen. Deshalb diese Auktion, die samt ihrer ungewöhnlichen Regeln 1911 erfunden wurde in einem Café, in dem sich Blumenzüchter und Händler trafen.

"Das geht wie am Flipperkasten", sagt Alexander van Egmont, der für den niederländischen Exporteur C. van Starkenburg einkauft. Der Flipper, das ist ein schwarzer Knopf, angeschraubt an der Vorderseite eines Pults, das an das Mobiliar eines Unihörsaals erinnert.

Jeden Morgen von sechs Uhr an hockt der 29-Jährige auf Platz F 338, mittendrin im Auditorium der 400 Bieter. Vor ihm fallen die Ränge steil ab. An die Stirnwand werfen Projektoren oben drei riesige Uhren; unten ziehen drei endlose Korsos vorbei: Rosen in rot und rosé, in gelb und weiß, mit langen Stielen oder kurzen, mit großen wie kleinen Blüten; alle in den sandfarbenen Eimern auf den Alu-Karren, die hier im Boden eingelassenen Schienen folgen. In diesem Saal, einem von vier, gibt es nichts als Rosen, davon aber 600 verschiedene und sechs bis acht Millionen Exemplare pro Tag.

Wie bei Markenklamotten

Über Kopfhörer lauscht van Egmont dem Auktionator. Im Sekundentakt rattert die eintönige Stimme klangvolle Namen herunter: Passion, Red Calypso, Akito, so heißen die Züchtungen; dazu Mengen und Preise. Aus der Ferne sind die Rosen schwer zu taxieren, auch wenn Mitarbeiter einen Kübel pro Wagen den Einkäufern entgegenneigen.

Die Rosen muss man kennen, sagt van Egmont, die Züchter auch - Namen zählen, ganz wie bei Markenklamotten. Und auf die Qualität muss man sich verlassen können. 60 Prüfer kontrollieren allmorgendlich die Ware, sortieren in Güteklassen. Und im Testzentrum schauen sie Blumen beim Welken zu, um zu erfahren wie lange ihr Vasenleben üblicherweise währt.

Vorne fliegt ein roter Punkt über die Versteigerungsuhr, dem Uhrzeigersinn entgegen. 100 Cent beträgt der Startpreis. Je länger der Punkt läuft, desto billiger die Rose. Gerechnet wird nach Stück. Bis auf null braucht die Uhr fünf Sekunden, jede Zwanzigstelsekunde fällt der Preis um einen Cent.

Den rasenden Punkt zu stoppen - im richtigen Bruchteil einer Sekunde -, darauf lauert der Einkäufer, den Daumen auf dem schwarzen Knopf, den Körper gespannt oder betont lässig. Ein Druck, und er bietet für die Charge. Den Zuschlag bekommt der Schnellste. Der Computer entscheidet, denn oft zucken 20 Daumen zugleich. Zu früh drücken will keiner; das kommt auf die Dauer teuer.

Was macht der Markt?

Ein leises Fluchen hier, und dort drüben fliegt eine Kaffeetasse aus Plastik unter die Sitze. Für Ärger bleibt keine Zeit, denn schon zählt die Uhr von neuem herunter. Zwölf, fünfzehn Mal geht das so pro Minute, und Alexander van Egmont bietet auf allen drei Uhren zugleich, dazu noch über Internet an anderen Blumenbörsen.

Zwei Laptops hat er dafür vor sich aufgebaut. "Fingerspitzengefühl", gibt er zur Antwort, wenn man ihn fragt, woher er denn weiß, wann er zuschlagen muss. Seit zehn Jahren "sitzt er an der Uhr", wie sie hier sagen, und "das meiste ist Erfahrung". Man müsse gucken, "was der Markt macht", fügt er hinzu. Der Markt sind die anderen im Saal, fast durchweg Männer, die dem Weltmarkt den Takt vorgeben - die Wallstreet der Rosen.

Stimmt der Preis, und er bekommt den Zuschlag, "dann ist das der Kick für mich", sagt Alexander van Egmont grinsend. Stress? Nein, den habe er nie. Sagt's und lehnt sich zurück, die Hand streicht über den gegelten blonden Kurzhaarschnitt. 82 Cent, zwei Drittel mehr als sonst, hat er heute gezahlt für "Passion", 70 Zentimeter Stiel, tiefes Samtrot, große Blätter. "Ein tolles Produkt", wie er sagt, auch weil es aus Holland kommt, nicht wie ein Drittel der Blumen von der Billigkonkurrenz aus Kenia, Israel oder anderswo. Zufrieden betrachtet er den Einkauf im Kühlhaus seiner Firma.

Der Aalsmeer-Shuttle, eine vollautomatische Hängebahn, liefert den Großexporteuren die Ware direkt in ihre Lager. Bis 16 Uhr sollen die Blumen auf der Straße sein. Für ein paar Stunden senkt sich dann Stille über die Hallen, nur die Flugzeuge donnern immer noch. Wenn anderenorts die Nacht anbricht, in der Zeitrechnung von Aalsmeer aber der neue Tag, werden die Lastwagen ein neues Meer von Blumen bringen.

© SZ vom 12.5.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: