Berlin:Zwei Obdachlose im Schlaf angezündet

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Ort der Trauer: Am S-Bahnhof Schöneweide hat ein Unbekannter zwei Obdachlose angezündet. (Foto: Britta Pedersen/dpa)

Ein Unbekannter überschüttete zwei Schlafende mit einer Flüssigkeit und zündete sie an. Beide schweben in Lebensgefahr.

Von Antonie Rietzschel

Sie haben Blumen und Kränze niedergelegt. Rund 150 Menschen haben sich am Montagabend an einer Mahnwache am Berliner Bahnhof Schöneweide beteiligt. Sie richtete sich gegen "Obdachlosenfeindlichkeit und Ausgrenzung", teilten die Veranstalter mit. Ein Ausdruck des Mitgefühls angesichts dessen, was sich in der Nacht auf Montag in Berlin ereignete. Ein Unbekannter überschüttete zwei schlafende Obdachlose mit einer Flüssigkeit und zündete sie an. Passanten kamen mit einem Feuerlöscher zu Hilfe. Rettungskräfte brachten die beiden Männer, 47 und 62 Jahre alt, ins Krankenhaus, sie schweben aufgrund ihrer Brandverletzungen in Lebensgefahr. Die Identität des Täters ist unklar, genauso wie das Motiv.

Die Mordkommission ermittelt. Der Fall ist ein besonders brutales Beispiel für eine Entwicklung der vergangenen Jahre: Die Zahl der Übergriffe auf Wohnungs- und Obdachlose steigt. Im Jahr 2016 zählte die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAGW) 128 Fälle von Körperverletzungen, Vergewaltigungen, Raubüberfällen und bewaffneten Drohungen. Weit höher liegen die Angaben des Bundeskriminalamts (BKA). Demnach wurden 475 Obdachlose im Jahr 2016 Opfer von Gewaltdelikten. Das BKA zählte 18 Tote, die BAGW 17.

Die Dunkelziffer von Übergriffen dürfte weit größer sein. Viele Taten werden erst gar nicht angezeigt. Die Schätzungen der BAGW beziehen sich zudem auf Medienberichte, die jedoch nur besonders krasse Taten thematisieren.

Als Jugendliche 2016 versuchten, am Berliner U-Bahnhof Schönleinstraße einen Obdachlosen anzuzünden, löste das deutschlandweit Schlagzeilen aus. Da es sich bei den Tätern um Flüchtlinge handelte, suggerierten rechte Blogs, Ausländer würden zunehmend deutsche Hilfsbedürftige angreifen. Dabei sind unter den geschätzten 52 000 Obdachlosen selbst viele Ausländer, vor allem aus Osteuropa. Und die Übergriffe werden vor allem von Menschen begangen, die selbst wohnungs- oder obdachlos sind. Die Konkurrenz im Kampf um Geld, Essen oder einen Schlafplatz ist groß, die Aggressivität nimmt zu. Besonders drastische Erfahrungen machte im vergangenen Jahr die Bahnhofsmission am Berliner S-Bahnhof Zoologischer Garten, die jeden Tag Hunderte Menschen versorgt. Zu den "Kunden", wie sie von den Helfern respektvoll genannt werden, zählen psychisch Kranke, Alkoholiker, Drogensüchtige. Ärger ist da programmiert. Im Sommer 2017 eskalierte ein Streit um gespendete Kleidung. Die Polizei griff mit 25 Beamten ein, der dritte Einsatz innerhalb kürzester Zeit. Die Bahnhofsmission musste vorübergehend schließen. Die BAGW beunruhigt aber auch die Zahl der Übergriffe durch Menschen, die nicht auf der Straße leben. Bei den für 2016 gezählten Delikten waren die Täter in 52 von 128 Fällen keine Obdachlosen. Aus einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung geht hervor, dass bei viele Menschen in Deutschland eine menschenfeindliche und Obdachlose abwertende Einstellung vertreten.

© SZ vom 24.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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