Berlin:Keine Lüge

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Eröffnungs-Walzer im Adlon: Joachim Gauck und Daniela Schadt. (Foto: Clemens Bilan/Getty Images)

Normalerweise schimpft AfD-Chefin Frauke Petry gerne auf die "Pinocchio-Presse". Den Bundespresseball im Hotel Adlon ließ sie sich aber trotzdem nicht entgehen.

Es ist noch nicht spät am Abend, als Regierungssprecher Steffen Seibert zum ersten Mal auf die Tanzfläche geht. Seibert kennt man sonst von der Bundespressekonferenz. Da sitzt der frühere ZDF-Moderator, stets mit Scheitel und Krawatte, immer kontrolliert, und gibt der Presse gestrenge Auskunft. "Ich denke, diese Frage wurde bereits beantwortet", sagt er. Oder: "Die Bundeskanzlerin wird sich zu gegebener Zeit dazu äußern." Beim 64. Bundespresseball, der erstmals im Hotel Adlon am Pariser Platz gefeiert wird, wirft der Regierungssprecher alle Zurückhaltung über Bord. Als die Band den Titel "September" von Earth, Wind & Fire spielt, grölt Seibert los, kreist mit den Hüften und tanzt ausgelassen mit seiner Frau.

Aus der Regierungsmannschaft sind an diesem Abend aber nur wenige gekommen in das Berliner Luxushotel, in dessen früheren Gemäuern Charlie Chaplin, Greta Garbo oder Thomas Mann logierten. Die Kanzlerin hat wie immer abgesagt. Außenminister Frank-Walter Steinmeier ist zur Trauerfeier für die Terror-Opfer nach Paris gefahren. Doch Bundespräsident Joachim Gauck ist da, der den Ball traditionell mit einem Walzer eröffnet. Außerdem Vizekanzler Sigmar Gabriel, Christian Schmidt ("ach, das ist der Landwirtschaftsminister?"), das Model Franziska Knuppe und FDP-Chef Christian Lindner. Mehr als 2000 andere Gäste streifen zwischen dunklen Hölzern durch die verschachtelten Flure und Gänge des Adlon.

Selbstverständlich wird auch an diesem Abend über das Thema Terror geredet, von dem sich aber selbstverständlich keiner die Laune verderben lassen will. Außerdem kreisen manche Gespräche um die AfD-Vorsitzende Frauke Petry, die (noch) nicht im Bundestag sitzt, aber mit ihrem neuen Lebensgefährten Marcus Pretzell, AfD-Chef in NRW, beim Presseball auftaucht, so als ob ihre Partei nie gegen die "Lügenpresse" gepöbelt hätte. Petry scheint das egal zu sein. Hauptsache, sie kann zeigen, dass sie auch zur Berliner Bühne gehört.

Und sonst? Viele sind froh, dass sie nicht mehr wie 2014 im ungemütlichen früheren Tempelhofer Flughafen feiern müssen. Zu essen gibt es diesmal auch genug: 5000 Sushi, 4000 bretonische Austern, 1000 Currywürste. Ach ja, Manuela Schwesig, die Familienministerin, ist auch da. Sie schwingt im hautengen roten Abendkleid ihren ansehnlichen Sieben-Monats-Bauch über die Tanzfläche. "Who is a superwoman?", ruft irgendwann die Sängerin ins Publikum. Schwesig ist eine der Ersten, die die Hand hebt.

© SZ vom 30.11.2015 / SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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