Berlin:Hundertfacher Missbrauch

Lesezeit: 2 min

Fast eine Stunde dauerte das Vorlesen der mehr als 400 Punkte langen Anklageschrift. Die Angeklagten saßen regungslos neben ihren Verteidigern. (Foto: Jens Büttner/dpa)

Viele Jahre nach den schweren Misshandlungen an mehreren Kindern startet der Prozess gegen ein Netzwerk pädophiler Männer vor dem Landgericht Berlin-Moabit.

Von Christian Endt, Berlin

Allein das Vorlesen der mehr als 400 Punkte langen Anklageschrift dauert fast eine Stunde, und man möchte eigentlich nicht hören, was den Angeklagten vorgeworfen wird. Sie sollen im Zentrum eines Pädophilen-Netzwerkes gewesen sein, über mehr als sieben Jahre mehrere Kinder schwer sexuell missbraucht haben. Bei einigen Vorfällen war das jüngste betroffene Kind erst sechs Jahre alt. Seit Freitag müssen sich zwei der Männer vor dem Landgericht Berlin-Moabit verantworten. Während die Anklage vorgetragen wird, sitzen sie regungslos neben ihren Verteidigern. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen vor, ein Netzwerk zum Kindesmissbrauch betrieben zu haben. Sie hätten sich nicht nur selbst an den Kindern vergangen, sondern diese auch an weitere Männer vermittelt, die wiederum die Kinder ebenfalls missbraucht hätten. Die durchweg männlichen Opfer stammten "aus wirtschaftlich prekären und dissozialen familiären Verhältnissen", ein Umstand, den die Männer ausgenutzt haben sollen: Die Kinder sollen sie mit Geld und Lebensmitteln für den Geschlechtsverkehr belohnt haben, meistens mit einem niedrigen zweistelligen Betrag. Dem Hauptangeklagten, einem 51-jährigen Brandenburger, wird vorgeworfen, zwischen 2002 und 2009 in 338 Fällen "dem Beischlaf ähnliche sexuelle Handlungen an einem Kind" vorgenommen zu haben. Meistens soll es um Oralverkehr gegangen sein. In weiteren 26 Fällen habe er anderen bei solchen Handlungen Hilfe geleistet. Das lief laut Anklage in der Regel so ab, dass der Angeklagte die Kinder mit seinem Auto abgeholt habe und mit ihnen in die Wohnungen anderer Männer gefahren sei, wo es zum Missbrauch gekommen sei. Diese Männer werden in weiteren Verfahren verfolgt.

Seit 2010 kennen die Behörden den Haupttäter. Erst 2016 erheben sie Anklage. Warum?

Als Mitglieder des Netzwerks haben die Ermittlungsbehörden insgesamt fünf Männer identifiziert. Der Älteste, Jahrgang 1925, ist bereits verstorben. Zwei weitere mutmaßliche Täter gelten derzeit aus gesundheitlichen Gründen als verhandlungsunfähig. Den beiden verbleibenden Beschuldigten drohen mehrjährige Haftstrafen. Die Höchststrafe für Kindesmissbrauch beträgt 15 Jahre Haft, bei mehreren Taten kann die Gesamtstrafe auch darüber liegen. Strafreduzierend dürfte sich auswirken, dass die Taten inzwischen einige Jahre zurückliegen.

Nach Informationen der SZ ist den Ermittlungsbehörden die Identität des Hauptangeklagten bereits seit Januar 2010 bekannt. Erst im September 2016 reichte die Staatsanwaltschaft die Klage am Landgericht ein - mehr als sechseinhalb Jahre später. Was ist in der Zwischenzeit geschehen? Der Sprecher der Berliner Staatsanwaltschaft sagt, er wisse nicht, warum das Verfahren so lange gedauert hat. Möglicherweise habe es Schwierigkeiten bei der Ermittlung gegeben, vielleicht seien aber auch "Kapazitätsengpässe" bei der Staatsanwaltschaft die Ursache für die Verzögerung. Das müsse nun intern geklärt werden. Der Prozess wird am kommenden Dienstag fortgesetzt. Das Landgericht hat vorerst 21 Verhandlungstage angesetzt, mit einem Urteil wird im Frühjahr gerechnet.

© SZ vom 04.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: