Belgien:Mord auf dem Friedhof

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Ein 71-jähriger Bürgermeister ist im belgischen Mouscron tot aufgefunden worden. Er war so beliebt wie kaum jemand.

Von Thomas Kirchner, Brüssel

Jeder Mord ist schrecklich, aber besonders verstört es die Menschen, wenn es den beliebtesten Bewohner der Stadt trifft. So geschehen in Mouscron in der belgischen Wallonie, 60 000 Einwohner. Dort wurde dem Bürgermeister Alfred Gadenne am Montagabend mit einem Messer die Kehle durchgeschnitten - auf dem Friedhof des Stadtteils Luingne, ein paar Meter von der französischen Grenze entfernt.

Der 71-Jährige wohnte direkt gegenüber, den Job des Wärters hatte er ehrenamtlich übernommen, schloss die beiden Zugangstore morgens auf und abends um acht Uhr wieder zu. Typisch Gadenne, jeder wusste das. Als er am Montag nicht zurückkehrte, ging seine Frau nachschauen und fand die Leiche. So berichten es belgische Medien.

Die alarmierte Polizei riegelte die Gegend ab, noch am Tatort stellte sich ein Verdächtiger. Er ist 18 Jahre alt, auf einem Bild, das die Zeitungen veröffentlichten, sieht er aus wie ein Knabe. Er wollte mit dem Mord den Tod seines Vaters rächen, wie es nach unbestätigten Meldungen heißt. Dieser hatte beim Einwohnermeldeamt gearbeitet, wo man ihn vor zweieinhalb Jahren entlassen hatte. Daraufhin wurde er depressiv und beging Selbstmord. Sein Sohn habe den Bürgermeister zur Rede gestellt und sei dann "ausgerastet", meldete RTL. Anschließend habe er selbst die Notfallnummer gewählt.

In Schulen gab es eine Schweigeminute, Flaggen wurden auf Halbmast gesetzt

Kurz vor der Tat war Gadenne vom jährlichen Aperitif mit den Bürgern der Stadt zurückgekehrt. Feinde hatte er da keine, im Gegenteil, laut der belgischen Zeitung Le Soir "brach er alle Rekorde der politischen Beliebtheit". Die meisten nannten ihn einfach "Alfred", wenn sie ihn trafen; auf vielen Bildern zeigt er ein verschmitztes Lachen. Schon sein Vater und sein Großvater waren Bürgermeister von Luingne gewesen, das später in Mouscron aufging. Dort wuchs Gadenne auch als ältestes von sechs Kindern auf, führte einen Brennstoffhandel. In die Politik ging er spät, zunächst als Stadtrat. Bei der Gemeindewahl erhielt er immer die meisten Stimmen und hätte längst Bürgermeister werden können, ein Amt, das er 2006, als ihn ein neues Gesetz dazu zwang, fast widerwillig übernahm. Daneben saß er für die Christdemokraten als Abgeordneter im Parlament der französischsprachigen Gemeinschaft in Namur. Dieses Mandat gab er 2014 auf, um nicht zu viele Ämter inne zu haben und "Platz für die Jugend" zu machen. Nachdem sich sein Bürgermeister-Vorgänger im vergangenen Jahr wegen Ermittlungen im Zuge eines Finanzskandals umgebracht hatte, galt Gadenne als einer der letzten großen Christdemokraten in der überwiegend von Sozialdemokraten beherrschten frankophonen Region.

Am Dienstagmorgen standen die Menschen Schlange am Rathaus, um sich in ein Kondolenzbuch einzutragen. In Schulen gab es eine Schweigeminute, Flaggen wurden auf halbmast gesetzt. Den Mitarbeitern der Stadt wurde psychologische Betreuung angeboten. Die gesamte politische Elite der Wallonie und auch Belgiens Premierminister Charles Michel bekundeten ihre Trauer und ihr Entsetzen über den Mord in Mouscron.

© SZ vom 13.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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