Auf den Hund gekommen (1):Der nackte Wahnsinn

Lesezeit: 4 min

Im Passauer Wahlkampf rückt ein hautkranker Hund mit Namen Cäsar in den Mittelpunkt des Interesses: Weil ein CSU-Landrat Cäsar einschläfern lassen möchte, werden nun Parteichefin Angela Merkel und Landesvater Edmund Stoiber von Tierschützern verfolgt. Das sieht gar nicht gut aus. Der Hund sowieso nicht.

Martin Zips

Der Hund lebt noch. Wunderbar. Und es scheint ihm gut zu gehen. Trotz seiner Hautkrankheit. Wie er glücklich über die Wiese des Tierheims Passau-Buch läuft und vor Freude an jede Ecke macht! Vier mal klein. Vier mal groß. "Um Himmels Willen", sagt Evi, "was hast du ihm denn zu essen gegeben?" "Nur ein paar Leckerlis", sagt Gabi. "Cäsar und ich haben den ganzen Abend geschmust. Wiedersehensfreude." Der Hund war monatelang versteckt. Um seiner Tötung zu entgehen, musste er - mit Spezialjacke und Hautcremes ausgestattet - in den Untergrund. Unbekannter Ort, unbekannte Unterkunft. Angst vor tödlichen Spritzen. Eigentlich soll ihn auch hier keiner sehen.

Hätte er Haare, würde er wie ein Spitz aussehen. Doch so ähnelt er eher einer Hyäne. "Würden sie ihn deshalb einschläfern?", fragen Evi Alt und Gabi Brockers. Nein. Sicher nicht. (Foto: Foto: Andreas Heddergott)

Evi und Gabi sind Mitglieder des Tierschutzvereins, der das Heim allein mit Spenden betreibt. Sie tragen T-Shirts, auf denen Cäsar abgebildet ist. Vorne steht: "Cäsar will heim". Hinten: "Wenn wir das Recht auf Andersartigkeit verlieren, verlieren wir das Recht auf Freiheit." Nun, Cäsar ist ein beeindruckendes Exemplar vollkommener Andersartigkeit. Seine Augen sind rot wie Tomatensuppe, seine nackte Haut glänzt wie eine alte Mortadella, nur noch auf seinem Schwanz und seinen Riesen-Ohren wachsen Haare. Rein optisch ist der kranke Cäsar nicht unbedingt ein Tier, das man kleinen Kindern als Pfötchengeber wünscht. Hätte er Haare, würde er wie ein Spitz aussehen. Doch so ähnelt er eher einer Hyäne. "Würden sie ihn deshalb einschläfern?", fragen Evi Alt und Gabi Brockers. Nein. Sicher nicht.

Evi hat sich die Fingernägel lackiert. Abwechselnd gelb und blau. Die Farben der Liberalen. Sie hat sich ihre Nägel für Hansi Brandl lackiert, der bei der Wahl am 21. September als FDP-Kandidat in den Landtag einziehen möchte. Überall im Tierheim, nur wenige Kilometer von der Autobahnausfahrt Passau Nord entfernt, hängen Wahlplakate mit Hansi Brandl. Brandl hat Evi, Gabi und allen anderen vom Tierschutzverein versprochen, sich für Cäsar einzusetzen. Deshalb ruft Evi: "Tierschützer wählen Hansi!" Hunde bellen. Menschen schimpfen. Auf das Veterinäramt, auf das Ordnungsamt, auf den Landrat, auf die CSU.

Es war der Zoll, der Cäsar und seine Geschwister vor sieben Jahren beschlagnahmt hat. Über die Grenze geschmuggelt, sollten die fünf Welpen in Deutschland teuer verscherbelt werden. Akita Inu nennt sich die wertvolle japanische Rasse, die nicht selten unter Hautkrankheiten leidet. Damals nahm das Tierheim in Buch die Hunde auf. Beim Landratsamt war man gar nicht zufrieden. Immer wieder hatte man den Tierschützern Auflagen erteilt. "Doch der Chef des Tierschutzvereins, Dr. Alois Alt, hält sich an keine Auflage", sagt der Passauer Landrat Hanns Dorfner, CSU. "Der meint, als Humanarzt könne er auch bei Hunden alles selber machen." Impfen zum Beispiel. Vor einem Jahr befahl Dorfners Behörde wegen Haarausfall, geschwollener Pfoten und Hautrötungen Cäsars Tod. Das Tier leide unter schlechter Pflege, sagten die Amtsveterinäre, es müsse eingeschläfert werden. Die Tierschützer aber ließen die Fristen verstreichen. Im September versteckten sie Cäsar.

Schon ermittelte der Staatsanwalt gegen Dr. Alt wegen Tierquälerei (Verfahren eingestellt), das Verwaltungsgericht in Regensburg und der Verwaltungsgerichtshof in München bestätigten das Todesurteil. Juristen und Journalisten, Humanmediziner und Veterinäre, Beamte, Politiker und Tierschützer überhäuften sich mit Briefen und Presseerklärungen, mit Fotos und Videos, mit Gutachten und Gegengutachten aus Passau, Wien und Leipzig. Die Lokalzeitung heizte den Streit weiter an: "Wenn Sie diese Zeitung in Händen halten, ist Cäsar möglicherweise bereits tot. Wenn es nach dem Willen der Bürokraten gegangen ist, die die amtliche Hinrichtung mit bislang beispiellosem Eifer verfolgt haben". Hunger, Kriege, Katastrophen? In Passau wurde plötzlich ein Hund zum Thema. Ist doch viel spannender.

Auch politisch schaukelte sich die Frage über Leben und Sterben hoch. Weil die Tierschützer den CSU-Landrat Dorfner und sein Amt ihrerseits für eine Art Tierqual halten, demonstrieren sie heute noch bei diversen Veranstaltungen für Cäsar, gegen die CSU, für Hansi Brandl. Vor einem Jahr, als Angela Merkel Passau besuchte und später, als Finanzminister Faltlhauser und Gesundheitsminister Sinner vorbeischauten, da hätten sie noch Plakate und Maulkörbe hochgehalten, erzählen Alt & Co. Doch dann kam Erwin Huber, weil er über "Lebensqualität in Niederbayern" sprechen mochte. Vor der Veranstaltung schnitt die Polizei dem Häuflein Cäsar-Freunden die Transparente vom Rücken. Einfach so. Die Demo sei nicht genehmigt gewesen, hieß es. Und vor ein paar Tagen, als Edmund Stoiber sich auf den Vilshofener Festplatz angekündigt hatte, schrieb der Bürgermeister (auch CSU) dem Chef des Tierschutzvereins: "Wir weisen bereits im Vorfeld darauf hin, dass jegliche Werbeaktion oder Demonstration auf dem Festplatzgelände der Stadt Vilshofen als Eigentümerin des Geländes nicht geduldet wird." Anbei eine Karte mit dem grün umrandeten Festplatzgelände. Ja, darf man denn hier nicht mehr seine Meinung frei sagen? So schimpfen die Tierschützer. Jetzt. Im Tierheim. Auf Bierbänken. Neben mindestens zehn Ordnern mit Schriftwechseln im Fall Cäsar.

Endlich: Der Auftritt des Exilanten. Streng geheim. Wie sich Reporter und Fotograf da freuen! Interview mit einem Häftling. Tatsächlich: Cäsar sieht und riecht und hört und kackt. Alles bestens also. Gar nicht alles bestens, sagen die Tierschützer und pumpen sich einen Kaffee aus der Thermoskanne. Alles unverschämte Schikane. Das Landratsamt solle endlich die Tötungsverordnung ohne Wenn und Aber zurücknehmen. Der Hund leide nicht. Aus.

Das sieht Angelika Jähde-Stoeckle, Leiterin des Veterinäramtes, anders: "Der Verein benutzt alles, um gegen uns zu kämpfen." Und Ordnungsamtschefin Verena Schwarz verlangte jüngst, den Hund "spätestens alle zwei Monate einem Tierarzt, möglichst einem Dermatologen" vorzustellen. Erst dann könne die Anordnung zur Einschläferung aufgehoben werden. Bei Nichtbefolgen dieser und weiterer Regelungen drohen je 500 Euro Zwangsgeld. Wer soll denn das zahlen? Und wo, bitte, gibt es in Niederbayern einen Dermatologen für Hunde?

Die Situation hat sich schlimm zugespitzt. Selbst das Tierheim darf nur noch unter Auflagen weiter leben. "Das Blut da stammt von einer läufigen Hündin", sagt die nasengepiercte Gabi später im Zwinger. "Nicht, dass sie meinen, das Tier sei verletzt." Nein. Eigentlich schön sauber hier. "Das Landratsamt hat uns verboten, weitere Tiere aufzunehmen. Dabei gibt es so viel herrenlose Hunde!" Bevor er wieder abtaucht, entleert sich Cäsar abermals auf den Rasen. Die Leckerlis. "Kot ist sachgerecht zu lagern und in kurzen Abständen zu entsorgen", lautet Auflage 3.11. des Landratsamtes. Bei Zuwiderhandlung drohen 500 Euro Strafe. Jetzt aber ab ins Körbchen.

© SZ v. 04.09.2003 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: