Abenteurer:Berg der verlorenen Seelen

Lesezeit: 3 min

Zum zweiten Mal versucht sich Hans Kammerlander an der Besteigung des 8163 Manaslu - auch, um ein Trauma zu besiegen. Beim ersten Versuch 1991 kamen zwei seiner besten Freunde ums Leben.

Von Titus Arnu, München

Der 8163 Meter hohe Manaslu ist für Hans Kammerlander ein Problemberg. Beim Versuch, den achthöchsten Gipfel der Welt zu besteigen, erlebte er 1991 eine Tragödie: In einem Gewittersturm verlor er seine zwei besten Freunde. Karl Großrubatscher hatte sich verirrt und stürzte ab, Friedl Mutschlechner wurde beim Abstieg direkt neben Kammerlander vom Blitz erschlagen. Dieser war zuvor alleine bis zum Gipfelgrat gekommen, dann aber wegen zu starken Windes umgedreht.

Manaslu bedeutet "Berg der Seelen", und dem Südtiroler Bergsteiger lag diese Geschichte 26 Jahre lang auf der Seele. Er war richtig wütend auf diesen Eisriesen in Nepal. "Ich wollte zurückkehren auf den Bau, wieder als Maurer arbeiten und nie mehr auf einen Berg steigen", schrieb Kammerlander in seinem Buch "Bergsüchtig", "der Berg hatte mir zwei Freunde genommen. Für mich war klar: Der Manaslu war schuld an ihrem Tod." Obwohl er sich damals geschworen hatte, nie mehr an den Ort des Dramas zurückzukehren, startet der mittlerweile 60-jährige Kammerlander nun doch noch einen zweiten Versuch. Zusammen mit dem Nordtiroler Extrembergsteiger Stephan Keck ist er gerade im Manaslu-Basislager angekommen.

Der Manaslu in Nepal ist mit 8163 Metern der achthöchste Berg der Erde. Aktuell herrschen auf dem Gipfel 40 Grad minus und Sturmböen - nicht gerade einladend. (Foto: Titus Arnu)

Mit dem zweiten Anlauf will Kammerlander einen Schlussstrich ziehen und sein Trauma von 1991 hinter sich lassen. Und wahrscheinlich auch seine Achttausender-Sammlung vervollständigen. Wenn die Besteigung des Manaslu gelingt, hat Kammerlander alle 14 Achttausender geschafft - fast. Eine seiner Besteigungen ist offiziell nicht anerkannt, weil er 1996 an der 8027 Meter hohen Shishapangma nur auf dem 13 Meter niedrigeren Mittelgipfel stand, aus Versehen, wie er hinterher sagte. Kammerlander hatte zusammen mit Reinhold Messner Alpingeschichte geschrieben, ihnen gelang 1984 am Gasherbrum I und Gasherbrum II in Pakistan die erste Achttausender-Doppelüberschreitung. Weltberühmt wurde er 1996, als er ein Paar Ski auf den Gipfel des Mount Everest trug und auf der Nordseite abfuhr - das hatte vor ihm keiner gewagt. Damals war Hans Kammerlander mit leichtem Gepäck unterwegs, er schaffte es ohne zusätzlichen Sauerstoff in nur 16 Stunden und 40 Minuten alleine auf den Gipfel, eine Bestmarke, die lange Bestand hatte.

Im Herbst 2017 hat er deutlich mehr dabei, die Manaslu-Expedition ist auf erstaunliche 3000 Kilogramm Material angewachsen. Der Besteigungsversuch wird aufwendig dokumentiert, für einen geplanten Kinofilm über Kammerlanders Leben. Film- und Bergsteigerausrüstung, Verpflegung, Kochutensilien, Zelte und vieles mehr wurden vom Ende einer befahrbaren Straße von 40 einheimischen Trägern, mithilfe von Yaks und zum Teil auch per Hubschrauber, ins Basislager transportiert.

Der Südtiroler Alpinist Hans Kammerlander, 60, hat fast alle Achttausender bestiegen. Es fehlen ihm nur der Shishapangma, wo er 1996 den falschen Gipfel erwischte, und der Manaslu. (Foto: oh)

"Manaslu - Berg der Seelen" soll im Herbst 2018 in die Kinos kommen. Die Manaslu-Expeditionen von 1991 und 2017 werden den Rahmen bilden für ein Porträt über Kammerlanders Leben, mit allen Höhen und Tiefen. Nicht nur am Berg hat der Alpinist Tragödien erlebt. 2013 verursachte er alkoholisiert einen Verkehrsunfall in Südtirol, bei dem ein junger Mann tödlich verletzt wurde. 2015 wurde Kammerlander in einem Vergleichsurteil zu einem Jahr Führerscheinentzug und zwei Jahren Haft auf Bewährung wegen fahrlässiger Tötung und Alkohol am Steuer verurteilt.

In diesem Fall ist die Schuldfrage klar, aber ist er auch mitschuldig am Tod der beiden Freunde am Manaslu? Oder war wirklich der Berg schuld? "Als Expeditionsleiter fühlst du dich immer ein bisschen schuldig", sagte Kammerlander dem Berg-Blogger Stefan Nestler vor seinem Aufbruch nach Nepal. "Und doch möchte ich den Menschen jetzt sagen: Egal, was euch im Leben passiert, geht nach vorne."

Der Manaslu wird im Vergleich zum Everest nicht so oft bestiegen. Die Hauptroute von Nordosten her ist technisch nicht extrem anspruchsvoll, aber die Querung der vergletscherten, steilen Flanke ist sehr oft lawinengefährdet. In diesem Herbst herrschten am Manaslu zeitweise Everest-Verhältnisse mit überfüllten Lagern und Kolonnen auf dem Weg zum Gipfel. Bis zu 350 erfolgreiche Besteigungen hat Billi Bierling von der Himalayan Database im September und Oktober registriert - so viele wie nie zuvor. Wenn alles gutgeht, werden in dem Verzeichnis bald auch die Namen von Kammerlander und Keck stehen. Allerdings sind die Aussichten nicht so vielversprechend: Es habe sehr viel geschneit, auf dem Gipfel herrschen Windgeschwindigkeiten von 100 Kilometern pro Stunde und 40 Grad minus, meldet das Team aus dem Basislager. Der Manaslu bleibt Kammerlanders Problemberg.

© SZ vom 06.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: