Tödlicher Angriff am Alexanderplatz:"Der Junge lag da einfach nur - als ob er schlief"

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Sechs Männer müssen sich in Berlin wegen der Tötung des 20-jährigen Jonny K. vor Gericht verantworten. Vier von ihnen zeigen sich teilweise geständig. Der Verdächtige Onur U. weist die Vorwürfe dagegen von sich - und formuliert eine eigene Version der Tatnacht.

Nach der tödlichen Prügelattacke auf den 20-Jährigen Jonny K. am Berliner Alexanderplatz haben mehrere Verdächtige Reue gezeigt. "Jonnys Tod hat mich sehr berührt, ich bin fassungslos", ließ der älteste Angeklagte am ersten Prozesstag über seinen Anwalt erklären. "Ich habe schweres Leid über die Familie gebracht", so der 24-Jährige. Auch drei weitere der insgesamt sechs Angeklagten räumten ein, Jonny K. mit Schlägen und Tritten malträtiert zu haben.

Nur der 19-Jährige Onur U., in dem die Staatsanwaltschaft die treibende Kraft des Gewaltexzesses sieht, ließ eine Beteiligung an der Tat durch seinen Anwalt bestreiten. Er habe Jonny weder geschlagen noch getreten und habe mit dem Tod des jungen Mannes nichts zu tun. Die anderen wollten alles auf ihn schieben, hieß es in der Erklärung.

Der 20-jährige Jonny K. aus Berlin-Spandau war in der Nacht zum 14. Oktober vor einem Lokal nahe dem Alexanderplatz von mehreren Angreifern so heftig attackiert worden, dass er einen Tag später an Gehirnblutungen starb. Der Gewaltexzess hatte deutschlandweit Entsetzen und eine Debatte über Jugendgewalt ausgelöst. Auch ein Freund von Jonny K. war schwer verletzt worden. Sechs Männer im Alter zwischen 19 und 24 Jahren sitzen jetzt auf der Anklagebank. Vier von ihnen wird gefährliche Körperverletzung mit Todesfolge vorgeworfen, zweien gefährliche Körperverletzung.

Verdächtiger: Flucht aus Angst vor Vorverurteilung

Onur U. räumte in seiner Erklärung lediglich ein, in jener Nacht einen anderen Mann mit beiden Fäusten ins Gesicht geschlagen zu haben, als er nach einer Party auf dem Weg nach Hause gewesen sei. Seine Mitangeklagten habe er damals nur flüchtig oder gar nicht gekannt. Nachdem er von dem Mann weggezogen worden sei, sei er an jemand vorbeigekommen, den er zuvor nicht gesehen habe. "Der Junge lag da einfach nur - als ob er schlief."

Onur U. beteuerte laut Erklärung, er bedauere den Tod von Jonny K., sei dafür aber nicht verantwortlich. Die Flucht in die Türkei habe er angetreten, weil er Angst vor einer Vorverurteilung gehabt habe. Onur U. war monatelang in der Türkei untergetaucht und stellte sich erst nach längerem juristischem Tauziehen - und nachdem Kanzlerin Angela Merkel beim türkischen Premier Recep Tayyip Erdogan interveniert hatte.

Der Vorsitzende Richter Helmut Schweckendieck äußerte Zweifel an dieser Version der Geschichte. Mehrere andere Angeklagte hätten bei der Polizei ausgesagt, Auslöser des Streits sei gewesen, dass Onur U. einen Stuhl weggestoßen habe, auf den Jonny K. und seine Begleiter einen betrunkenen Freund gesetzt hatten, um ein Taxi zu rufen. "Das klingt ein bisschen anders als das, was Sie gesagt haben", so der Richter zu dem 19-Jährigen.

Debatte über Gewalt in Berlin

In dem Verfahren tritt die Schwester des Opfers, Tina K., als Nebenklägerin auf. Die 28-Jährige kündigte an, zu jedem Prozesstag zu kommen."Ich will wissen, wer schuld ist", sagte sie vor Prozessbeginn. "Ich hoffe, dass das nie wieder passiert. Die Tat ist nicht zu entschuldigen", kommentierte sie die Aussagen der Verdächtigen. Tina K. wurde nach dem Tod ihres Bruders mit ihrem Einsatz für Zivilcourage bekannt.

Auch die Öffentlichkeit wird den Prozess gespannt verfolgen - der Tod von Jonny K. hatte bundesweit Entsetzen und eine neue Debatte über Gewalt in Berlin und die Sicherheit an öffentlichen Plätzen ausgelöst. Bundespräsident Joachim Gauck, Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) und Innensenator Frank Henkel (CDU) forderten die Zivilgesellschaft auf, jegliche Form von Gewalt zu ächten.

Aufforderungen, deren Erfolg angezweifelt werden darf: Am Wochenende hat die Polizei erneut wegen einer brutalen Schlägerei am Alexanderplatz Ermittlungen aufgenommen. Eine 17-Jährige wurde von zwei jungen Frauen krankenhausreif geschlagen - ganz in der Nähe des Tatorts, an dem Jonny K. starb.

© Süddeutsche.de/dpa/feko - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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